Underground Russia
12. Oktober 2003und nun ist es passiert
woran niemand gedacht hat
das worauf man so lange gewartet hat
das was zuerst nicht alle glauben konnten
RUSSLAND IST UNTER DIE ERDE GESTÜRZT
die new york times berichtet – es geschah am abend
die irish times tönt – na was machen kann man nichts
der Spiegel konfus – wohin soll man die humanitäre hilfe schicken
und niemand auf der oberfläche wusste
dass das leben unter der erde weitergeht
GRAD-KITEZ wird schon wiedergeboren
die erde braucht kein drittes rom
arbeiter was fühlst du?
ARBEITER – ich fühle begleite das leben
direktor wie denkst du?
DIREKTOR – du verstehst nichts davon
Farmer wovon lebst du?
FARMER – solltest mich besser nicht rufen
businessman was liest du?
BUSINESSMAN – das was du im supermarkt zählst
general woher kommst du?
GENERAL – gib ... hurensohn
und das unterirdische russland dachte sich
während es auf den machtlosen globus schaute
es naht, es naht, es naht der messias
nur der bus kommt zu spät.
Andrej Sen-Senko: Der Millimeter als Genre
Er malt so kleine Bilder;
dass man bei seiner letzten Ausstellung
neben jede Arbeit
eine Lupe hängte
an einem schönen seidenen Faden.
Die Alben mit Reproduktionen seiner Werke,
erschienen beim Verlag Random house,
sind nach Verlangen des Autors
nie größer als eine Streichholzschachtel.
Er glaubt daran, dass ein eigener Schutzengel
nur den aufsucht, der unscheinbar klein ist.
Auf einer seiner Arbeiten
sieht man die Hände von Liebhabern,
die sich Asche in die Handflächen streuen.
Die Arbeit heißt
„Engel der Zigarettenasche, die mal zunimmt,
mal abnimmt
in Abhängigkeit davon, wie sich die Linien auf den Handflächen
füllen“.
Dmitrij Chernyj: (Links in die Metro)
Wenn der zweitausendste Februar
Schmelzend das Herz erdrückt
Im Rhythmus der strömenden Venenklumpen
Im Puls der Tage im Schädelinnern
Ohne Himmel
Scheinen uns die weißen Nächte des Winters
Den Gewölben ähnlich nach und nach in die Metro
Nacheinander gleiten wir hinab
Flossenartig flimmernd treffen sich Blicke
Der Grund dieser Tage unter der Erdlast
Als menschlicher Unterwasserstrom in den Tunneln
Unter der steinernen Schwere in den stickigen
Kabeln scheinen die Alltagsgesichter älter
Fügen sich der lügenden Reklame doch
Der Stahl der Mayakovskaya
In den roten Steinrahmen der
Säulen rostfreie Linien eingebogen
(nur ein weißer Belag wie Kalk
von den Strahlen des durchgesickerten Grundwassers)
Der helle Gips deines Kopfes
Vor marmorgelbem Hintergrund
Die rauhe entschiedene Kurve
Deines Halses ein Traum der Zwanziger
Doch die Vierziger drückten prüfend
Der junge Rücken der Sowjeträte
Hatte es häuslich hier bei dem Lärm
Unter jeder Säule vor den Bomben Schutz suchend
An den Mosaiken oben in den Gewölben am Himmel der
Heimat hielten sich fest mit einem gemeinsamen Blick
Die Fallschirme am Sport und die Sterne des Kreml
An jedem festen Gedanken
Der den Stein dem Stahl verwandt machte
(die Belüftungsgitter unter dem
weißen Anstrich wellenartig wie Häuser
dorther drang das Dröhnen der Explosionen
vielleicht unseres)
Hatte man etwa für diese Fische
Den Übergang zur Kaluzhsko-Rizhskaya Linie gebaut
Die Metro heute ein Supermarkt der Gebrechen
Besiedelt mit Verkäufern Bettlern
Für eure demokratische Wahl Russlands
Verstümmelte Glieder und Hände der Verunstalteten aufgereiht
Mit körperlich-süßen Zeitschriften
Im Blick der Vorübergehenden verschmelzen die Blinden
Mit den nackten Pressebildern
Ekzemflecken mit dem klebrigen
Make-up der hurschönen Schauspielerinnen
vogue helfen sie
in Gottes Namen
muss ohne Vater auskommen
komm ins Marlboro Land
lächle geh in den Zirkus
Links gehen
Genossen.