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Uncool in Mitte

Constantin Schreiber22. Juli 2005

Weil Berlin sich im Sommer von seiner besten Seite zeigt, vergisst man gerne, dass meistens im Jahr Winter herrscht. Leider lockt die warme Luft auch Gestalten an, die was fürs Auge, aber nicht gerade fürs Hirn bieten.

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Manchmal stelle ich mir Berlin-Mitte vor, wie es vor 14 Jahren war, 1991, kurz nach der Wende. Mitte, das alte Zentrum des kommunistischen Ostens, wird zum Mekka von Nachtschwärmern und Abenteurern aus aller Welt. Partys in Hinterhofkellern, Sit-Ins in verfallenen Altbauruinen, alles geht. Ohne Regeln im wilden Osten.

Eigene Regeln

Wenn ich heute durch die Straßen gehe, stelle ich fest: dieses Mitte existiert nicht mehr. Ganz ohne Regeln geht es hier heute nichts mehr, auch wenn Mitte sich seine eigenen Regeln geschaffen hat. Zuerst: Wer nicht von oben bis unten durchgepierct und tätowiert ist, gilt zwischen Alex und Oranienburger Tor als sozial auffällig, oder schlimmer noch: total uncool.

Schlafende Babys in coolen Clubs

Cool ist hier sowieso das erste Wort, das Babys von ihren Müttern lernen, und Babys gibt es hier viele: Mitte hat eine der höchsten Geburtenraten ganz Deutschlands. Woran das liegt, lässt sich nicht genau bestimmen. Aber man geht sehr offensiv mit dem Kinderreichtum um. Wenn man abends in einen der zahlreichen coolen Clubs geht, kommt es auch mal vor, dass ein 20- jähriges Elternpaar seine Zwillinge im Doppelkinderwagen vor den Boxen bei 300 beats per minute vorbeischiebt - um 1 Uhr nachts.

Ist auch egal

Total cool ist es auch, in der Strandbar von seinen neuesten Projekten zu erzählen, die keiner so genau versteht. Hilfe für allein erziehende Mütter in Conakry. Vernissage in einem Paternoster. Aber das ist auch egal. Hier gibt's in erster Linie was fürs Auge und nicht fürs Hirn. Also: Wer Authentizität sucht, besagte Orte unbedingt meiden!

Leute, die hier geblieben sind

Authentizität in Mitte - gibt es das noch? Ja. Der Aufbruch nach der Wende, der Heerscharen nach Mitte trieb, das Outlaw-Gefühl jenseits vom Alexanderplatz lebt weiter. Er findet sich heute hinter den hochgestylten Fassaden und sanierten Gesichtern von Mitte. Bei den Leuten, die hier geblieben sind, und ihren Kiez als Spielwiese sehen für ihre alternativen Lebenskonzepte. Nebenbei bemerkt: Ich wohne selber in Mitte und obwohl ich natürlich total cool bin, bin ich noch ungepierct.