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Unabhängigkeit oder Konföderation?

14. Oktober 2004

- Montenegro bemüht sich um internationale Unterstützung für mögliche Loslösung von Serbien

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Bonn, 14.10.2004, DW-RADIO, Bahri Cani

"Jeder Frühling bringt einen neuen Krieg" - diesen Spruch konnte man zu Zeiten Slobodan Milosevics in den 1990-er Jahren hören. Milosevic ist vor vier Jahren gestürzt worden, und es rechnet keiner mehr damit, dass der nächste Frühling einen Krieg bringen könnte. Streit aber schon: Im März jährt sich das Belgrader Abkommen zum dritten Mal, jenes Abkommen zwischen Serbien und Montenegro, die mittlerweile nur noch einen losen Staatenbund bilden. Damals hatte die Europäische Union einen Kompromiss durchgesetzt: Die montenegrinische Führung rückt vorerst ab von ihren Plänen, ein Referendum über die Unabhängigkeit von Serbien abzuhalten. Eine solche Volksabstimmung solle es frühestens nach drei Jahren geben. Und diese Frist läuft im März 2005 aus. Bahri Cani mit Einzelheiten.

In den Beziehungen zwischen Belgrad und Podgorica wird es langsam heiß. Auch innerhalb Montenegros selbst: Die pro-serbische Opposition ist der Meinung, dass der jetzige gemeinsame Staat immer noch die beste Lösung sei. Der montenegrinische Ministerpräsident Milo Djukanovic hingegen sagte der Deutschen Welle, dass er auf jeden Fall eine Loslösung von Belgrad anstrebe - ob auf diplomatischem Wege oder per Volksabstimmung:

"Montenegro wird drei Jahre nach der Gründung des Staates Serbien und Montenegro auf jeden Fall ein Referendum organisieren - falls wir keine andere Lösung für eine friedliche Teilung des Staatenbundes finden. Unser Angebot an Serbien lautet: die Gründung einer Konföderation unabhängiger Staaten. Das wäre in unserem Interesse, im Interesse der Europäischen Union und der Internationalen Gemeinschaft."

Um Unterstützung für sein Unabhängigkeits-Bestreben zu finden, haben Djukanovic und seine Mitarbeiter in den vergangenen Wochen eine diplomatische Offensive gestartet: Österreich, Deutschland und Russland waren die letzten Stationen. Offene Unterstützung gibt es nicht, in den europäischen Hauptstädten ist man zurückhaltend. Aber wenn ein Referendum in Montenegro ein klares Votum für eine Unabhängigkeit ergeben sollte, wird die internationale Anerkennung wohl kein Problem werden.

Doch soweit ist es noch nicht. Eine der Hauptfragen, die man dem montenegrinischen Ministerpräsidenten derzeit stellt, ist, ob ein so kleiner Staat wirtschaftlich überleben kann. Darauf antwortet Milo Djukanovic:

"Absolut. Montenegro hat bewiesen, dass es ein stabiles ökonomisches System hat. Montenegro hat 620.000 Einwohner und viele wirtschaftliche Ressourcen, die eine normale Entwicklung garantieren. Der Tourismus und andere Dienstleistungen, die Montenegro anbieten kann, bringen uns viel Geld, mit dem wir unser Leben auf europäisches Niveau heben können."

Der montenegrinische Ministerpräsident betont, dass ein gemeinsamer Staat zwischen Serbien und Montenegro unmöglich sei, weil Belgrad und Podgorica die Verantwortung für ihre eigene Zukunft übernehmen müssten. Dabei verweist die montenegrinische Führung darauf, dass die jährliche Inflation und das Haushaltdefizit unter drei Prozent liegen würden - in Serbien sehe das ganz anders aus. Außerdem hat Montenegro eigenmächtig zuerst die D-Mark und später dann den Euro eingeführt, während in Serbien nach wie vor mit Dinar bezahlt wird.

Aber auch politisch gehen die Meinungen auseinander - vor allem bei der Kooperation mit der internationalen Gemeinschaft. Der Vorsitzende des montenegrinischen Parlaments, Ranko Krivokapic, meint:

"Es gibt zwei Hauptunterschiede: die Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag und die Klage gegen die NATO-Länder wegen des Bombardements auf Jugoslawien. Mehr als 60 Prozent der serbischen Öffentlichkeit sind gegen die Zusammenarbeit mit Den Haag."

Wird also der Staatenbund Serbien-Montenegro in zwei völlig unabhängige Staaten zerfallen? Der Vorsitzende des Belgrader Forums für Ethnische Beziehungen, Dusan Janjic, hält die Idee einer Union nach dem Vorbild der post-sowjetischen GUS für denkbar:

"Die beste Lösung liegt irgendwo in der Mitte, also so etwas, was die Regierung in Podgorica vorgeschlagen hat: die Gründung einer Union unabhängiger Staaten. Es ist offenkundig, dass Serbien und Montenegro verschiedene politische und wirtschaftliche Systeme haben. Es ist aber auch klar, dass sie ein gemeinsames Interesse haben: gemeinsamen Handel, Tourismus oder Versorgung mit Nahrungsmitteln. Es gibt also viele Gründe für eine Union Unabhängiger Staaten. Betrachten Sie nur die Nachfolge-Lösung für die Sowjetunion: Es läuft viel besser mit der jetzigen Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Sonst wäre Russland möglicherweise auch zerstört worden." (fp)