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Virtuelle Menschenrechte

Sarah Judith Hofmann 6. Juli 2012

Der UN-Menschenrechtsrat hat eine Resolution zur Freiheit im Netz verabschiedet. Die Meinungsfreiheit muss demnach online genau so geschützt werden wie im realen Leben. Aber ist das überhaupt möglich?

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Computertastatur und Handschellen (Foto: mezzotint_fotolia)
Bild: fotolia/mezzotint

Ausgerechnet die Menschen, die sich wohl am meisten über die Resolution des Menschenrechtsrates freuen dürften, werden sie nicht mit einem Klick lesen können. Vermutlich aber wird der Text sie doch über SMS, Mikroblogs oder andere Dienste erreichen - trotz Zensur und Netzsperren.

In der am 5. Juli 2012 in Genf verabschiedeten Resolution bekräftigt der UN-Menschenrechtsrat, "dass die gleichen Rechte, die Menschen offline haben, auch online geschützt werden müssen, insbesondere die Meinungsfreiheit, die ohne Rücksicht auf Grenzen und über Medien jeder Art der eigenen Wahl anwendbar ist".

China hat nicht unterschrieben

Erstaunlich: nicht allein demokratische Musterstaaten wie Schweden, das zu der Erklärung angeregt hatte, haben unterschrieben. Zu den 71 Unterzeichnern zählen auch Länder, in denen die Meinungsfreiheit teilweise eingeschränkt ist: Algerien, Aserbaidschan, die Elfenbeinküste, Nigeria, Tunesien, die Türkei und die Ukraine. Wenig verwunderlich ist hingegen, dass China, Russland und Indien die UN-Resolution ablehnen.

Das Eingangstor der Vereinten Nationen (united nations, Nations Unies), aufgenommen am Montag (26.12.2011) in Genf. Foto: Fredrik von Erichsen
Die Vereinten Nationen in GenfBild: Picture-Alliance/dpa

Matthias von Hein, Leiter der DW-Chinaredaktion, ist daher skeptisch, wie viel eine Erklärung verändern kann. "Natürlich werden sich chinesische Dissidenten in Zukunft auf die UN berufen, bei ihrem ewigen Katz- und Maus-Spiel mit den Behörden im eigenen Land. Aber an der Tatsache, dass Menschen verhaftet werden, die im Internet kritisch ihre Meinung äußern, ändert das nichts." Das leuchtende Beispiel dafür, wie wenig Deklarationen aus dem Ausland brächten, sei der chinesische Schriftsteller Liu Xiaobo. Auch wenn ihm die Verleihung des Friedensnobelpreises sicherlich Mut gemacht habe, im Gefängnis sitze er nach wie vor.

Täglich neue Blogs und Mikroblogs

Der Grund, weshalb Liu Xiaobo zu elf Jahren Haft verurteilt ist, liegt in einem Bürgerrechtsmanifest, das im Internet veröffentlich wurde. Gemeinsam mit anderen Intellektuellen hatte er das Dokument zum Internationalen Tag der Menschenrechte unterschrieben. Die offizielle Anklage lautete "Untergrabung der Staatsgewalt".

Lesung für Liu Xiaobo im Berliner Martin Gropius Bau. Copyright für alle Fotos: Rebecca Roth Zulieferung 21.3., Rebecca Roth. Bild 7 Schauspieler Roland Schäfer liest Liu Xiaobo, Total
Solidaritätsveranstaltung für Liu Xiaobo in BerlinBild: Rebecca Roth

Auch das Internetangebot der DW wird in China geblockt. Zensur sei nach wie vor Alltag in China und das werde leider auch nach der Resolution so bleiben, sagt Matthias von Hein. Und doch ist er überzeugt, dass das Internet auch in China ein wesentlicher Faktor bei der Bildung einer Zivilgesellschaft ist. Zwar werden täglich Mikroblogs geschlossen, bei denen User Kurznachrichten versenden, um der Zensur zu entgehen. Doch es entstehen auch immer wieder neue Plattformen.

Die langsamen Mühlen der Vereinten Nationen

Der deutsche Netzaktivist Markus Beckedahl meint, die UN-Resolution hätte deutlicher machen müssen, "dass jede Form der Zensur im Netz schlecht ist". Als Gründungsmitglied der "Digitalen Gesellschaft" engagiert er sich für Bürgerrechte im Netz und kämpft gegen das geplante Antipiraterieabkommen ACTA. Im Text der UN sieht er zu viel Interpretationsspielraum. Indirekt werde erneut zwischen "böser Zensur" und "guter Zensur" unterschieden. Trotzdem findet er es erfreulich, dass die UN endlich klar gestellt habe, dass die Menschenrechte natürlich auch im Internet Gültigkeit besäßen. Und fügt schmunzelnd an: "Eigentlich hätte man diese Deklaration aber schon vor zehn Jahren herausbringen müssen." Es zeigten sich die langsamen Mühlen der Vereinten Nationen. Das Internet gehöre seit langem zur Realität.

In Deutschland zählt der Computer seit kurzem gar zu den Dingen, die ein Gerichtsvollzieher unter keinen Umständen pfänden darf. Denn laut Bundesverfassungsgericht sind "informationstechnische Systeme allgegenwärtig und für die Lebensführung vieler Bürger von zentraler Bedeutung." Fernseher dürfen seit langem nicht gepfändet werden. Sie ermöglichten "die Teilnahme am öffentlichen Leben". Diese Teilhabe findet aber zunehmend im Netz statt. 

In Afrika haben bisher 13,5 Prozent der Bevölkerung Internetzugang

Wie aber steht es mit dem Recht auf Freiheit im Internet, wenn Menschen der Zugang zum Netz aus technischen Möglichkeiten verwehrt bleibt? Hierauf verweist die Resolution in Punkt drei. Sie fordert "alle Staaten auf, den Zugang zum Internet und die internationale Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Medien-, Informations- und Kommunikationseinrichtungen allen Ländern zu fördern und zu erleichtern".

Mark Kaigwa internationale Blogger-Konferenz re:publica in Berlin (Fotot: Matthias Müller)
Mark Kaigwa aus KeniaBild: DW

Für Internetaktivisten und Unternehmensberater Mark Kaigwa aus Kenia ist dies ein wichtiges Signal. "Es wird Zeit brauchen, bis auf dem afrikanischen Kontinent tatsächlich jeder das Menschenrecht besitzt, sich im Internet zu informieren." Dafür seien die Voraussetzungen in den verschiedenen afrikanischen Ländern auch vollkommen unterschiedlich.

Aber es hat sich schon viel getan. Seit der Jahrtausendwende hat sich die Internet-Nutzungsrate um 3000 Prozent erhöht. 700 Millionen Menschen in Afrika nutzen mittlerweile ein Mobiltelefon, 140 Millionen das Internet. Dieser Entwicklung, so hofft Mark Kaigwa, könnte die UN-Resolution weiteren Schub verleihen.