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Erlöse uns von dem Bösen

Astrid Prange21. Mai 2016

Am UN-Gipfel für Humanitäre Hilfe in Istanbul nehmen auch religiöse Führer teil. Sie sollen unter anderem den weltweiten Kampf gegen Terror unterstützen. Ein Ansatz, der an positive Erfahrungen aus der Praxis anknüpft.

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Türkei Gipfeltreffen zu humanitärer Hilfe in Istanbul
Bild: picture alliance/AA/M. Keles

An ihr kommt keiner vorbei, und ihre Kraft kann bekanntlich Berge versetzen: die Religion. Nun soll sie auch die wirtschaftliche Entwicklung in armen Ländern vorantreiben, Flüchtlingen helfen, ein neues Leben aufzubauen, und islamistischen Terrorgruppen den gesellschaftlichen Nährboden entziehen.

So jedenfalls wünschen es sich die großen Geber und die zahlreichen Staatschefs, die am 23. Mai beim Weltgipfel für humanitäre Hilfe in Istanbul zusammenkommen, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das weltweit einzigartige Treffen wurde von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon einberufen, "weil die Menschheit die größte humanitäre Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt".

Friedensvermittler und Brandstifter

Das Thema Religion steht weit oben auf der Tagesordnung. In einer "Special Session" sind die Vertreter religiöser Gemeinschaften am Montag eingeladen, vor der Weltgemeinschaft darzulegen, welchen Beitrag sie zur Bewältigung der zahlreichen humanitären Krisen leisten können. Zu dem erlesenen Kreis der Teilnehmer gehört auch der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller.

"In vielen Ländern genießen Religionsführer ein hohes Ansehen", sagte Müller im Vorfeld des Gipfels der DW. "Dieses Potenzial müssen wir nutzen, ohne die Augen davor zu verschließen, dass Religion auch für Gewalt und Terror instrumentalisiert wird."

Gerd Müller in Kenia (Foto: Michael Gottschalk/BMZ/dpa)
Will religiöse Führer einbinden: Entwicklungsminister Gerd Müller, hier im Flüchtlingscamp Dadaab in KeniaBild: picture-alliance/M. Gottschalk/BMZ-Poolfoto

Müller will gemeinsam mit den großen Playern in der internationalen Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit das religiöse und insbesondere das islamische Potenzial für Frieden und Entwicklung ausloten. "International Partnership on Religion and Sustainable Development" (PaRD) lautet der sperrige Name des neuen Anti-Terror-Programms aus dem Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ).

"Die Religionsgemeinschaften leisteten auf der ganzen Welt wichtige Arbeit im Gesundheitsbereich, bei der Bildung, der Ernährung und der Versorgung von Flüchtlingen", sagt Müller. Rund 80 Prozent der Weltbevölkerung bezeichneten sich als religiös. "Bei vielen Themen kommt man deshalb nur mit und nicht gegen die Religionen weiter", so der Minister.

Bei muslimischen Hilfswerken rennt der Minister mit seiner Initiative offene Türen ein. "Die deutsche Regierung ist sicherlich froh, dass es uns gibt", glaubt Nuri Köseli, Sprecher von "Islamic Relief Deutschland". "Wir haben in Syrien viel aufgebaut."

Gemeinsam gegen Ebola

Islamic Relief Deutschland gehört zu den größten Gebern des internationalen Dachverbandes Islamic Relief Worldwide (IRW). Dieser ist über seine Landesverbände und Partnerbüros in 40 Ländern aktiv. 113 Millionen Euro standen dem Verband 2014 für seine Projekte zur Verfügung. Zu seinen Kooperationspartnern gehören das britische und das schwedische Entwicklungsministerium, UN-Hilfsorganisationen, die EU, der Lutherische Weltbund und die katholische Agentur Cafod.

Sierra Leon Ebola Beerdigung Opfer 14.08.2014 (Foto: CARL DE SOUZA/AFP/Getty Images)
Bei der Ebola-Epidemie in Sierra Leone überzeugten Geistliche Menschen, hygienischen Bestattungen zuzustimmenBild: AFP/Getty Images

Wie wichtig die Zusammenarbeit mit religiösen Führern in Krisenregionen sein kann, beschreibt ein gemeinsamer Report von Cafod und IRW über den Kampf gegen Ebola in Westafrika. Muslimischen und christlichen Geistlichen gelang dort mit religiösen Argumenten etwas, woran staatliche Behörden und UN-Organisationen scheiterten: Sie veränderten traditionelle Bestattungsriten und stoppten dadurch die Ausbreitung der Epidemie.

Denn erst als Priester und Imame den Trauernden glaubhaft vermitteln konnten, dass ein würdevoller Abschied auch ohne körperliche Berührung möglich sei, gingen die Infektionsraten zurück. Zuvor hatte der Kontakt mit infizierten Leichnamen zur rasanten Ausbreitung der Ebola-Epidemie beigetragen.

"Wenn religiöse Führer gleich zu Beginn eingebunden worden wären, hätten wir viele Menschenleben retten können", heißt es in dem Report "Keeping the faith", der nun auf dem Humanitären Weltgipfel in Istanbul erneut diskutiert wird.

Vorreiter Kirchen

Die Zusammenarbeit mit religiösen Führern baut auf langjährigen Erfahrungen auf. So arbeitet das BMZ seit mehr als 50 Jahren erfolgreich mit kirchlichen Hilfswerken wie Brot für die Welt und Misereor zusammen und überweist diesen jährlich rund 200 Millionen Euro für ihre Projekte.

Nigeria Jos Zerstörte Kirche nach Anschlag (Foto: picture-alliance/dpa/Stringer)
In Nigeria zerstören islamistische Terroristen Kirchen und vertreiben Christen aus dem Norden des LandesBild: picture-alliance/dpa/Stringer

Einer der größten Player für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit ist das Aga Khan Development Network (AKDN). Das Netzwerk mit 80.000 Mitarbeitern und einem Jahresbudget von 625 Millionen US-Dollar wird seit 60 Jahren von Aga Khan angeführt. Er ist das geistliche Oberhaupt der Nizari-Ismailiten, einer schiitischen Strömung innerhalb des Islams.

Doch trotz aller Bemühungen um Dialog und Kooperation wird auch beim World Humanitarian Summit der Riss deutlich, der durch das religiöse Lager geht. Denn eine Institution wurde bewusst nicht nach Istanbul eingeladen: Die "International Islamic Relief Organization of Saudi Arabia"(IIROSA). Die 1979 durch ein königliches saudisches Dekret gegründete Hilfsorganisation leistet ebenfalls Nothilfe, sie finanziert allerdings auch den Bau von Moscheen und steht laut UN im Verdacht, radikale Islamisten zu unterstützen.