1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kräfte gebündelt

26. Juli 2010

Die Vereinten Nationen haben eine neue Organisation für Frauen und Gleichberechtigung gegründet. Das zeigt, dass die UN reformfähig ist, meint Silke Weinlich vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

https://p.dw.com/p/OS9a
Bild: DW

Anfang Juli 2010 gründeten die Vereinten Nationen (VN) in New York eine neue Organisation für Frauen und Gendergerechtigkeit: UN WOMEN - the United Nations Entity for Gender Equality and the Empowerment of Women. Außerdem wurden wichtige Beschlüsse zur Verbesserung der Entwicklungszusammenarbeit der VN-Organisationen gefasst. Sie hören heute das erste Mal davon? Dies ist bedauerlich, zeigen diese Reformerfolge doch, dass die Vereinten Nationen reformfähig sind und der Multilateralismus von 192 Staaten kein Auslaufmodell ist.

Besser bündeln

VN-Organisationen wie das Entwicklungsprogramm UNDP, das Kinderhilfswerk UNICEF oder die Weltgesundheitsorganisation WHO - um die größten drei zu nennen - sind wichtige multilaterale Akteure. Ihnen kommt eine besondere Aufgabe bei der Umsetzung universell gültiger Regeln zu, etwa zu Menschenrechten, Geschlechtergerechtigkeit oder Umweltstandards. Neben weltweiten operativen Aufgaben leisten sie wissenschaftliche Beiträge zum Entwicklungsdiskurs (z. B. der jährliche UNDP-Bericht zur menschlichen Entwicklung) und ergreifen Partei für benachteiligte Gruppen. Weil Entwicklungsländer gleichberechtigt an ihrer Steuerung mitwirken, werden VN-Organisationen von ihnen als besonders legitim wahrgenommen. So können sie sich auch besser in sensiblen Politikbereichen engagieren.

Allerdings ist das VN-System stark fragmentiert. Die vielen Organisationen arbeiten oft nicht gut zusammen, ihre Tätigkeitsfelder überschneiden sich, und sie müssten ihre jeweiligen Stärken besser ausspielen. Dies waren die Ergebnisse eines Expertenberichts, der 2006 empfahl, die VN müsse einheitlicher auftreten. Auch eine Vereinfachung der Strukturen hielten die Experten für nötig, u. a. auch im Frauen- und Genderbereich. Hier sollten die damit befassten vier Institutionen in einer neuen Organisation aufgehen, um durch die Bündelung von Ressourcen und Kapazitäten mehr Sichtbarkeit und Durchsetzungsfähigkeit zu erreichen.

Faustpfand für Kompromisse

Während westliche Industriestaaten Ideen zur Vereinfachung der Strukturen und Fokussierung der Tätigkeitsfelder befürworteten, betrachteten einige tonangebende Entwicklungs- und Schwellenländer derartige Pläne von vornherein mit Argwohn. In ihren Augen dient dies eher der Schwächung der VN, die auf dem Papier ein umfassendes Mandat für Wirtschafts- und Finanzfragen hat. Sie befürchteten, dass die Entwicklungspolitik zugunsten der vom Westen favorisierten Sicherheitsagenda zusammengespart würde und betonten, dass gerade die institutionelle und thematische Vielfalt den Mehrwert der VN ausmache. Angesichts ihres inhaltlichen Dissenses mit einem Großteil der Expertenvorschläge beharrten sie darauf, dass die Verhandlungen - und damit mögliche Kompromisse - alle Themen umfassen müssten. Die Einrichtung der neuen Frauenorganisation, die auch von vielen Entwicklungsländern befürwortet wurde, wurde so zu einem Faustpfand.

Die wichtigste Entscheidung ist die Einrichtung von UN WOMEN. Die Organisation soll bereits im Januar 2011 die Arbeit aufnehmen und einerseits normativ arbeiten, also bestehende internationale Verpflichtungen weiterentwickeln und weltweit auf deren Einhaltung und Umsetzung hinwirken. Anderseits soll sie entwicklungspolitische Programme durchführen, wofür ihr ein Budget von 500 Millionen US-Dollar zur Verfügung stehen soll. Weniger spektakulär, aber dennoch von Bedeutung, sind weitere Beschlüsse zur Verbesserung der Steuerung des VN-Systems, zur systemweiten Harmonisierung von Verwaltungsverfahren, zur künftigen Sicherstellung einer verlässlichen Finanzierung und zu bereits laufenden Reformvorhaben, bei denen die VN-Familien in acht Ländern einheitlich auftritt.

Kleinteiliger Reformprozess

Dem Beschluss ging ein vierjähriger Verhandlungsprozess voran. Radikale Umstrukturierungen waren schnell vom Tisch, stattdessen war nur ein kleinteiliger Reformprozess konsensfähig. Obwohl die Konfliktlinie traditionellerweise zwischen Entwicklungsländern (G-77) und Industriestaaten verlief, zeigten sich deutliche Unterschiede. Kleinere, ärmere Länder wie Ruanda und Tansania sowie Länder mittleren Einkommens wie Vietnam und Uruguay, bei denen die bilaterale Entwicklungshilfe allmählich abnimmt, haben ein großes Interesse an einer einheitlicheren und effektiveren Zusammenarbeit mit VN-Organisationen. Einige ideologisch motivierte Länder wie Kuba oder Schwellenländer wie Indien und Ägypten positionierten sich in den Verhandlungen vor allem unter machtpolitischen Gesichtspunkten und versuchten, Veränderungen zu verhindern bzw. Zugeständnisse zu erzielen. Bei den Industriestaaten waren die Positionen einheitlicher. In der allerletzten Verhandlungsphase allerdings erzürnten die USA die anderen Staaten, in dem sie im Alleingang Zugeständnisse beim neuen Aufsichtsgremium von UN WOMEN machten. Der Einrichtung der lange geforderten Organisation wollte letztendlich aber niemand im Wege stehen.

Mit der Resolution wurde ein wichtiger Meilenstein in der Reform der Entwicklungszusammenarbeit der VN erreicht. Allerdings muss UN WOMEN nun unter Beweis stellen, dass es mehr als die Summe der einzelnen Organisationen sein kann. Der Besetzung der Leitungsposition mit einer bekannten und glaubwürdigen Persönlichkeit aus dem Süden kommt dabei eine zentrale Rolle für die Akzeptanz der Arbeit in den Entwicklungsländern zu, aber auch für die nun notwendige Freigiebigkeit der Geberländer. Auch Deutschland sollte sich trotz Sparzwängen an der finanziellen Ausstattung der Organisation beteiligen. Nicht nur um seine Chancen auf die im Oktober 2010 anstehende Wahl in den Sicherheitsrat zu vergrößern, sondern auch, um angesichts der in den letzten Monaten angekündigten Beitragskürzungen zu demonstrieren, dass die VN für Deutschland weiterhin einen wichtigen Partner darstellen. Denn die Vereinten Nationen bleiben ein unverzichtbares Forum zur Konsens- und Entscheidungsfindung für drängende globale Herausforderungen. Die Entwicklungsarbeit der Weltorganisation trägt dabei wesentlich zur Akzeptanz ihrer sicherheitspolitischen oder regelsetzenden Tätigkeit in den Ländern des Südens bei. Daher liegt eine Stärkung der VN auch in Zeiten der G-20 im deutschen Interesse.

Silke Weinlich, Abteilung Bi- und multilaterale Entwicklungspolitik, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten und Think Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik. Das DIE berät auf der Grundlage unabhängiger Forschung öffentliche Institutionen in Deutschland und weltweit zu aktuellen Fragen der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Das einzigartige wissenschaftliche Profil des DIE ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Forschung, Beratung und Ausbildung. Dadurch baut das DIE Brücken zwischen Theorie und Praxis der Entwicklungspolitik.