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Streit um Gedenken

Gederts Gelsis, Riga / db6. Oktober 2012

In Lettland sorgt ein 67 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges enthülltes Soldatendenkmal für Streit. Russen kritisieren eine Glorifizierung des Nationalsozialismus. Doch es steckt mehr dahinter.

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Veteranen der Waffen-SS marschieren durch Riga (Foto: dpa)
Bild: picture alliance/dpa

Mitte September wurde in Bauska das Denkmal zur Erinnerung an die lettischen Truppen enthüllt, die den Ort südlich der lettischen Hauptstadt Riga im Zweiten Weltkrieg gegen die Rote Armee verteidigten. "Die meisten Freiwilligen, die Bauska am 14. September 1944 verteidigt und sich nicht ergeben haben, starben in der Schlacht", erinnert sich der 87-jährige Imants Zeltins, einer der wenigen Überlebenden. Er war erst 17 Jahre alt, als er und 300 andere Freiwillige ihr Leben riskierten, um die Stadt zu verteidigen.

Der Vorsteher des Distrikts, Major Janis Uluks, sei der einzige Statthalter in Lettland gewesen, der nicht nach Riga oder in den Westen geflohen sei, als die Sowjetische Armee näher kam, erinnert sich der Veteran gegenüber der Deutschen Welle. "Er organisierte zum Schutz der Stadt ein Freiwilligen-Bataillon. Die Jüngsten waren 16, die Ältesten 70 Jahre alt." Bei dem Kampf um die Stadt verlor Zeltins beide Hände. Aber er bedauere nichts, sagt er. Niemand hätte damals gewollt, dass sich die Gräueltaten der ersten sowjetischen Besatzung in Lettland 1940 wiederholen. Daher habe man gekämpft. Manche Leichen seien nie richtig beerdigt und die Soldaten nicht geehrt worden, erklärt Zeltins: "Also hatte ich die Idee, ein Monument zu bauen."

Karlis Ulmanis (Quelle: derstandard.at)
Karlis Ulmanis: Bei der Besatzung Lettlands 1940 MinisterpräsidentBild: picture-alliance/IMAGNO/Austrian Archives

Willige Kollaborateure?

Das fünf Meter hohe, braune Granit-Denkmal stößt jedoch nicht nur auf Zustimmung. Kurz nach seiner Enthüllung wurde es von einigen russischen Fernsehsendern als "Glorifizierung des Faschismus" verurteilt. Eine Plakette der Lettischen Legion - die zur Waffen-SS gehört - mit der Gravur eines deutschen Soldatenhelms, ähnlich dem der Waffen-SS, wird als besonderer Affront empfunden. Kritik an dem Denkmal kommt aber nicht nur aus Russland, sondern auch aus den Reihen der Moskau nahen lettischen Opposition. Bauskas Bürgermeister habe kürzlich den Einsatz der Freiwilligen gegen die Rote Arme als "heroische Tat" gelobt, erklärt Janis Kuzins, Aktivist der "Union gegen Nazismus" in Riga. Dabei hätten sie sich nur der Waffen-SS angeschlossen. "Sie kämpften auch nicht für die Unabhängigkeit Lettlands, sie kämpften für Adolf Hitler."

In der Tat waren viele der 300 Einheimischen, die sich der Roten Armee entgegenstellten, Mitglieder der Lettischen Legion. Auch Imants Zeltins gehörte dazu. Aber man dürfe nicht vergessen, dass besonders der Kampf gegen die Invasionsmacht aus dem Osten den Letten einen hohen Preis abverlangt habe, meint Uldis Neiburgs vom Lettischen Okkupationsmuseum in Riga. Anders als Westeuropa wurde Lettland im Zweiten Weltkrieg von den Nationalsozialisten und den Sowjets besetzt.

Russische Minderheit in Lettland

Den lettischen Politikwissenschaftler Ivars Ijabs verwundert die russische Kritik nicht. Moskau neige dazu, alles zu missbilligen, das nicht dem russischen Bild des "Großen Vaterländischen Krieges" entspreche. Beunruhigend sei dagegen, dass viele der circa 500.000 Russen in Lettland diese Meinung teilen. Seit Jahren schaue die russischsprachige Minderheit Programme im russischen Fernsehen, so Ijabs. Lettland habe es versäumt, "eine Alternative zur Information und dem Geschichtsbild dieser Sender zu bieten". Zwar gebe es Programme für die russischsprachige Minderheit im lettischen Fernsehen, doch die würden nicht gut angenommen. Viel hinge davon ab, ob Lettland endlich tätig werde, stellt der Politologe fest.

Frua steckt Wahlzettel in Wahlurne (Foto: dapd)
2012 stimmten die Letten gegen Russisch als zweite StaatsspracheBild: dapd

Pro-russische Politiker in Lettland verfolgten mit dem Streit um das Denkmal in Bauska ihre eigene Strategie, ergänzt Ijabs. Nach außen beziehe sich ihre Empörung auf die komplexe Geschichte des Landes, in Wirklichkeit habe sie aber mehr mit der anti-russischen Stimmung in Lettland zu tun. Die ist eindeutig: In einem Referendum im Februar sprach sich eine klare Mehrheit gegen die Einführung des Russischen als zweiter Staatssprache aus. Das Fazit des lettischen Politologen: Es ist unwahrscheinlich, dass sich Letten und die russischsprachige Minderheit in nächster Zukunft aussöhnen werden; genauso wahrscheinlich ist es, dass der Streit um das Denkmal in Bauska nicht der letzte über die Geschichte des baltischen Landes ist.