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Ulrich Ritzel: Die schwarzen Ränder der Glut

Ulrich Noller2. April 2004

Im Verhältnis zu Verbrechenspotenzial und Einwohnerzahl, ist die Gegend zwischen Allgäu, Alb und Schwarzwald auf der Genrekarte eine Ansammlung großer weißer Flecken. Mit einer Ausnahme: Ulm.

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Krimiland ist im Süden fest in Münchener Hand - könnte man konstatieren, hätte sich in den letzten drei Jahren am Markt nicht eine Ausnahme etabliert: Ulrich Ritzel, 62, ein in der Nähe von Ulm wohnender Ex-Journalist und Ex-Gerichtsreporter.

Buchcover: Ulrich Ritzel - Die schwarzen Ränder der Glut

Ritzel hat sich daran gemacht, seine Heimat aus dem Dornröschenschlaf zu erwecken und das Ländle nun auch fiktional kriminologisch zu kartieren. Und "Die schwarzen Ränder der Glut", Ritzels dritter Kriminalroman, beweist einmal mehr, dass da nicht nur irgend eine, sondern eine bedeutende Stimme erklingt.

Am Tag seiner Entlassung in den Ruhestand erhält der Ulmer Kripokommissar Berndorf einen Anruf, der ihn noch vor dem Abschluss der Entlassungszeremonie nach Heidelberg zwingt: Ein ehemaliger Polizeikollege hat sich erhängt und seinen Abschiedsbrief ausgerechnet an den Fastpensionär gerichtet.

Was es mit einer silbernen Kette auf sich gehabt habe, fragte der Todeswillige in seinem Schreiben - und ruft bei Berndorf damit nie ganz verdrängte Bilder aus einer anderen Zeit zurück ans Licht. Unter Berndorfs Leitung hatte der Verstorbene 1972 bei der Festnahme eines mutmaßlichen RAF-Mitglieds einen Unschuldigen erschossen; wer diesen Unschuldigen denunziert hatte, konnte niemals ermittelt werden. Die silberne Kette war ein Indiz in dem Fall gewesen; eines, dem damals niemand Beachtung schenkte. Und jetzt, fast dreißig Jahre später, macht Berndorf sich auf die Suche.

Die erbärmliche Verlogenheit des Seins

Peu à peu spürt der Kriminalpensionär die Menschen auf, die damals im Umfeld des Opfers verkehrten. Sie alle haben sich von den Idealen und Zielen der Jugend weit entfernt; sind Lehrer, Prediger oder Immobilienmakler. Im Spiegel der Berndorfschen Fragen und gemessen an der Vergangenheit sehen sie sich konfrontiert mit der erbärmlichen Verlogenheit des Seins. Geradezu liebevoll detailliert und weitgehend schnörkellos schildert der Autor Geschichten und Soziologie solcher Charaktere; beschreibt wie unter gutbürgerlicher Gemütlichkeit ein explosiver Cocktail aus der Vergangenheit köchelt. Das ist die eine, die personale Ebene, auf der Ulrich Ritzels Roman hervorragend funktioniert.

Die andere ist die der Politik. Aus den Verwerfungen der alten Linken, den Ambitionen der neuen Rechten und der Schnittmenge aus beidem entwickelt Ritzel - sprachlich höchst versiert - einen Politthriller, der sich gewaschen hat. Und der in der beschaulichen süddeutschen Provinz allen Erwartungen zum Trotz ausgesprochen faszinierende Handlungsorte besitzt.

Ulrich Ritzel, Krimiautor
Ulrich RitzelBild: Sven Paustian

Ulrich Ritzel
Die schwarzen Ränder der Glut
btb, 2003
ISBN 3-442-73010-4
EUR 9,00