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Die Fußball-Exoten

Lydia Leipert15. September 2008

Sie haben kein eigenes Trainingsgelände, eine chaotische Organisation und trotzdem Erfolg: Der Verein Türkiyemspor, vor 30 Jahren von Türken in Berlin gegründet, spielt jetzt in der Regionalliga mit.

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Der Trainer Uwe Erkenbrecher und sein Co-Trainer Erdal Güncü, Quelle: dw
Der Trainer Uwe Erkenbrecher (links) und sein Co-Trainer Erdal GüncüBild: Lydia Leipert

"Alles frei Männer, ihr sollt Euch austoben". Coach Uwe Erkenbrecher schreit mit seinem kräftigen Organ über den Rasenplatz im Jahnsport Park des Berliner Bezirks Prenzlauer Berg. Bei einem Mini-Turnier macht sich das Team von Türkyiemspor warm und hechtet in bunten Laibchen dem Ball hinterher. Sie spielen zum ersten Mal auf dem Platz, in dem sie in wenigen Tagen ihr erstes Heimspiel absolvieren müssen. Hier ist nichts perfekt geregelt: Gestern wurde in ihrem Bezirk Kreuzberg trainiert, wo das Training morgen stattfindet, ist ungewiss.

Ein Freak muss man schon sein

Der Trainer Uwe Erkenbrecher am Spielfeldrand, Quelle: dw
Der Coach im EinsatzBild: Lydia Leipert

Für einen Regionalligisten eine relativ chaotische Organisation. Der 53-jährige Erkenbrecher hat sich schon auf den "wenig deutschen" Terminplan eingestellt. Er war bereits für ein paar Monate Assistenztrainer bei Esteghlal Teheran und sagt von sich selbst, dass er Extremsituationen liebt. "Ein bisschen ein Freak muss man schon sein, wenn man für Türkiyemspor arbeitet. Das ist schon ein besonderer Verein. Die sozialen Kulturen und Strukturen hier sind schon anders als in einem normalen deutschen Verein."

Das liegt auch daran, dass Türkiyemspor kein eigenes Trainingsgelände hat. Coach Erkenbrecher sieht das nicht nur negativ: "Ich bin ja relativ neu in Berlin und so ist das für mich auch eine Möglichkeit, neue Ecken der Stadt zu entdecken. Aber für einen richtig konzentrierten Trainingsbetrieb ist das von Nachteil, weil man auch inhaltlich die Trainingsprogramme oft ändern muss", sagt der ehemalige Bundesligaprofi von Werder Bremen. "Man merkt auch, dass man sich noch mehr konzentrieren muss, weil ich das Arbeiten anders gewohnt bin."

Back to the roots

Ein Spieler wird beim Training versorgt, Quelle: dw
Ein Spieler wird beim Training versorgtBild: Lydia Leipert

Weil es kein eigenes Trainingsgelände und kein Vereinsheim gibt, spielt man mal neben einer fremden Jugendmannschaft oder einem unbekannten Seniorenverein. "Mich erinnert das an Straßenfußball", sagt Erkenbrecher. "Denn wir kennen die Kids vom Nachbarfeld überhaupt nicht, weil die nicht von unserem Verein sind. Das ist so ein bisschen Back to the roots – der Freizeitsportgedanke eben." Er arbeitet seit dieser Saison für Türkiyem hauptberuflich, wie auch einige Spieler. Aber der Großteil der Mannschaft kickt nur neben dem eigentlichen Job.

Co-Trainer Erdal Güncü ist eigentlich Referendar und weiß, dass bei kleinem Budget viel von den Spielern verlangt wird. "Ja, es wird viel abverlangt, aber auf der anderen Seite ist das auch ganz gut, weil wir in der Regionalliga als Underdog gelten", sagt er. "Natürlich will man bessere Trainingsbedingungen haben, aber es ist für die Psyche auch nicht so schlecht, dass die Spieler sehen, wo wir stehen. Das kann man vielleicht auch auf das Sportliche übertragen. Wir müssen umso mehr zusammen halten und kämpfen."

Gerade verteilt er knalloragene Hütchen für die nächste Übung auf dem Rasen. Es werden noch immer Spieler für die Mannschaft gesucht, die sich seit der letzten Saison fast komplett erneuert hat. 17 Fußballer sind neu im Kader – das Team ist logischerweis noch dabei, sich zu finden. Trainingssprache ist trotz der Entstehungsgeschichte des Vereins Deutsch - sehr zum Glück des Trainers Erkenbrecher, dessen Türkisch nicht existiert, wie er sagt.

Viele Nationen – ein Team

Mittlerweile haben nur noch die Hälfte der Spieler türkische Wurzeln; Deutsche, Amerikaner und Afrikaner verstärken die Truppe. Die Nationalität war kein Auswahlkriterium, sagt auch Trainer Erkenbrecher. Das gefiel ihm: "Die Unterschiede sind spannend. Weil je nachdem, woher die Spieler kommen, haben sie natürlich eine eigene Mentalität und eine andere Art Fußball zu spielen. Es ist eine Herausforderung, es zu schaffen, dass eine Multi-Kulti Truppe zusammenwächst." Der bunte Mix aus Spielern sorgt für ein außergewöhnliches Teamgefühl, sagt der 26-jährige Ilter Senkaya, der seit der letzten Saison bei Türkiyem spielt. "Das Besondere an Türkiyemspor ist das Flair der Mannschaft. Außerdem zeigen wir so, dass Immigrantenkinder sportlich auch was bewegen können."

Der Verein engagiert sich darüber hinaus auch sozial. Man versucht, Jugendliche mit Sport von der Straße zu holen und organisiert Aktionen gegen Gewalt. Letztes Jahr hat der Verein für seine gute Jugendarbeit und die verschiedenen Mädchen-Teams den Integrationspreis des Deutschen Fußballbundes bekommen.

Als gewachsener Gastarbeiterverein, der einen nicht-deutschen Namen hat, kommen mit dem Aufstieg auch neue Probleme auf das Team zu. Denn bei Turnieren in den östlichen Bundesländern wird die Mannschaft möglicherweise auf einige ausländerfeindliche Fußballfans treffen, sagt Co-Trainer Erdal Güncü. Er sieht den Spielen in Leipzig oder Halle trotzdem entspannt entgegen: "Es gibt immer wieder ein paar Verrückte im Fußball. Aber es ist jetzt nicht so, dass wir Angst haben, da hin zu fahren. Wir werden uns so teuer wie möglich verkaufen und werden da die Punkte holen." Der Wille sei da, sagt er. Gilt nur noch zu beweisen, dass sich der Verein auch in der Profiliga halten kann.