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Türkische Bauern als Problem

Cem Sey17. November 2004

Ein Drittel der Türken lebt von der Landwirtschaft - zu viele für einen EU-Beitritt des Landes. Der Sektor muss darum moderner werden und die Bildung der Bauern besser. Doch das würde viel Geld kosten.

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Transportmittel auf dem LandBild: AP

Die Türkei drängt in die Europäische Union (EU). Am 17. Dezember 2004 werden die Staats- und Regierungschefs der EU ein entscheidendes Wort aussprechen müssen. Ein "Nein" zu Beitrittsverhandlungen könnte die Beziehungen zur Türkei belasten und unvorhersehbare Probleme im Land selbst auslösen. Ein "Ja" dagegen wird womöglich irgendwann mit einer Vollmitgliedschaft enden. Doch diese Perspektive birgt riesige Risiken für beide Seiten in sich. Eines davon ist die Landwirtschaft.

Museumsreife Ackergeräte

Schon kurz hinter der türkischen Hauptstadt Ankara fühlen sich Reisende wie in einer Zeitmaschine. Denn dort gibt es Bauern, die ihre Felder mit Geräten beackern, die in Europa nur noch in Museen zu sehen sind. Pflüge werden von Ochsen gezogen, der Weizen wird mit Sicheln geschnitten. Türkische Wissenschaftler haben berechnet, dass die landwirtschaftliche Produktivität der EU das 15-fache der türkischen beträgt.

Landwirtschaft in der Türkei Kühe auf der Straße
Kuhherde im Südosten der TürkeiBild: AP

Noch weiter östlich wird die Natur wilder und das Bildungsniveau sinkt. Dort, wo es kaum etwas anderes als die Landwirtschaft zum Leben gibt, im Osten der Türkei, wird die mangelnde Bildung den Bauern zum Verhängnis. Sie wissen nicht, wie man ein Feld richtig bewässert, die Pestizide einsetzt und die geeignete Saat auswählt. Viele Bauern können sich für ihre Kinder eine Zukunft auf dem Lande nicht vorstellen.

Agroindustrie und Dienstleistungen

Doch 33 Prozent der Türken leben von der Landwirtschaft. Die EU verlangt, diese Zahl auf sechs Prozent, also auf den europäischen Durchschnitt zu verringern. Das ist nur möglich, wenn vor Ort Agroindustrie entsteht oder sich der Dienstleistungssektor vergrößert. Beides verlangt bessere Bildung, die bislang nicht vorhanden ist. Dennoch versucht Seyhmus Akbas, der Vorsitzende des Industriellenverbandes im südostanatolischen Diyarbakir, seine Region ausländischen Investoren schmackhaft zu machen. Er wirbt mit "massenweise unqualifizierten und deshalb billigen Arbeitskräften". So könne dort ein türkisches Singapur entstehen, meint er.

Experten fürchten, dass im Zuge notwendiger Reformen des anatolischen Agrarsektors Millionen Menschen arbeitslos werden könnten. Dies wiederum würde die Migration gen Westen erhöhen.

EU-Finanzspritze unbekannter Höhe

Die Kosten dieser Reformen verursachen daher sowohl in Brüssel als auch in Ankara Kopfschmerzen. EU-Experten gehen davon aus, dass es jährlich 2,3 Milliarden Euro bedarf, um die türkischen Bauern fit für den EU-Beitritt zu machen. Die türkische Presse berichtete bereits von einer solchen Vereinbarung mit der EU. So soll das jüngst verkündete "Nationale Landwirtschaftliche Entwicklungsprojekt" der türkischen Regierung finanzielle Unterstützung aus Brüssel erhalten. Wie groß die EU-Finanzspritze für dieses Projekt sein wird, ist noch nicht bekannt. Bekannt ist nur, dass das Projekt zur Förderung des Lebensstandards, des Wohnungsbaus, der Infrastruktur, der Bodenreform und des Ausbaus der Bewässerungskanäle, 2005 starten soll.

Die Regierung in Ankara setzt vor allem auf die positiven Effekte eines möglichen "Ja"-Wortes der EU. Denn dann, so hofft man in der türkischen Hauptstadt, werden ausländische Investoren ins Land strömen.