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Justizreform Türkei

Senada Sokollu, Istanbul16. Februar 2014

Das türkische Parlament hat eine umstrittene Justizreform verabschiedet. Sie gibt der Regierung mehr Einflussmöglichkeiten auf die Justiz. Kritiker fürchten um die Gewaltenteilung.

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Abgeordnete schlagen sich im Parlament in Ankara (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: AFP/Getty Images

Gerangel und Geschubse. Eine gebrochene Nase und ein gebrochener Finger. So ging es in der Nacht von Freitag auf Samstag (15./16.02.2014) im türkischen Parlament zu. Am Ende wurde die umstrittene Justizreform verabschiedet. Dabei geht es um den Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte, der für die unabhängige Kontrolle der Gerichte zuständig ist. Er ist unter anderem für die Ernennung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten zuständig. Die Reform sieht einen Machtzuwachs des Justizministeriums in diesem Rat vor.

Bereits im Januar hatte die islamisch-konservative Regierungspartei AKP unter Premierminister Recep Tayyip Erdogan einen Gesetzesentwurf eingebracht, durch den seine Regierung mehr Einfluss bei der Ernennung von Richtern und Staatsanwälten erhalten sollte. Doch die Kritik war groß. Nicht nur im Parlament, sondern auch auf den Straßen demonstrierten Tausende gegen die Pläne. Sie befürchteten, Erdogan wolle durch die Reform mehr Kontrolle über den Justizapparat durchsetzen. Auch der türkische Präsident Abdullah Gül und die Europäische Union warnten, der Entwurf könnte gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verstoßen. Bei seinem jüngsten Besuch in Brüssel versicherte Erdogan jedoch, er werde die Rechtsstaatlichkeit respektieren. Nun wurde der Entwurf nachgebessert. Doch die Kritik ebbt nicht ab.

Demonstranten halten Schilder gegen die Justizreform hoch (Foto: Ozan Kose/AFP/Getty Images)
Proteste in der Türkei wegen eines Korruptionskandals, in den auch Politiker verwickelt sindBild: Ozan Kose/AFP/Getty Images

Der Korruptionsskandal

Die Regierung Erdogans ist seit Dezember vergangenen Jahres in einen schweren Korruptionsskandal verwickelt. Es geht um Bestechung, illegale Goldgeschäfte mit dem Iran und illegale Bauprojekte. Es kam zu dutzenden Festnahmen. Darunter ranghohe Politiker und Wirtschaftsbosse, sowie Söhne von Ministern. Erdogan antwortete mit einer Säuberungsaktion und ließ hochrangige Richter, Staatsanwälte und Polizisten entlassen oder zwangsversetzen.

Hintergrund der Ermittlungen sei laut Erdogan ein "Parallelstaat", der durch den in den USA ansässigen islamischen Prediger Fethullah Gülen gesteuert werde – ein ehemaliger Verbündeter Erdogans. Die sogenannte Gülen-Bewegung ist bekannt dafür, in der Türkei großen Einfluss in Justiz und Polizei zu haben und zunehmend Erdogans Machtposition zu gefährden. Erdogans Justizreform wird daher von Kritikern als Versuch interpretiert, die Macht der Gülen-Bewegung innerhalb des Justizapparats zu schwächen. Die Säuberungsaktion seitens Erdogan wurde von der Opposition kritisiert. "Alles ist vorbei. Das ist ein klarer Staatsstreich der Exekutive gegen die Justiz", wird der CHP-Abgeordnete Ali Ozgunduz von der türkischen Zeitung Hürriyet zitiert. Nach all den Entlassungen mache es keinen Unterschied mehr, ob das Gesetz in Kraft trete oder nicht, erklärte er weiter.

Ein Machtkampf ist Grund für die Reform

Auch für den Rechtswissenschaftler Lami Bertan Tokuzlu hängt die jetzige Justizreform mit der Machtposition der Gülen-Bewegung zusammen. "Die Gülen-Bewegung ist sowohl im Justizministerium als auch im Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte sehr einflussreich. Durch diese Machtposition konnten Beweise gesammelt und Telefongespräche aufgezeichnet (und gegen die Regierung verwendet, Anm. d. Red.) werden. Die Regierung Erdogan sieht das als Revolte. Damit wird die neue Justizreform gerechtfertigt", so Tokuzlu im DW-Gesrpäch. Doch die Beweissammlung und Strafverfolgungen basieren auf Gerichtsbeschlüssen und erfolgen demnach innerhalb des rechtlichen Rahmens, so Tokuzlu. "Es ist also eindeutig, dass hier ein Machtkampf vorliegt", betont der Rechtswissenschaftler.

Justizminister gewinnt an Einfluss

"In der Reform aus dem Jahr 2010 wurde dem Gremium (dem Hohen Rat der Richter, Anm.d.Red.) eine weitest gehende Unabhängigkeit vom Justizministerium zugesprochen. Beispielsweise wurde ihm finanzielle Unabhängigkeit erteilt und es wurden Kammern geschaffen. Diese Kammern konnten ohne Einmischung des Justizministers arbeiten. Was vor allem bei der Strafverfolgung wichtig ist", so Tokuzlu. Die Reform von 2010 sei ein Fortschritt gewesen, doch die Regierung scheine nicht glücklich damit zu sein, sagt der Rechtsexperte. "Die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit des Rates arbeitet gegen sie. Als die Ermittlungen gegen die Interessen der Regierung liefen, konnte die Regierung sie nicht aufhalten und daher fühlen sie sich dazu veranlasst, es jetzt zu tun", so der Rechtswissenschaftler.

Der Rechtswissenschaftler Lami Bertan Tokuzlu (Foto: DW/S. Sokollu)
Der Rechtswissenschaftler Lami Bertan TokuzluBild: DW/S. Sokollu

Durch die jetzige Reform werde dem Justizminister mehr Macht innerhalb des Gremiums verliehen, sagt Tokuzlu. "Wenn eine Straftat vorliegt, hat der Justizminister von nun an die Kontrolle über die Strafverfolgung. Er benennt drei Mitglieder des Rates, die die Ermittlung übernehmen und einen Bericht darüber verfassen", so Tokuzlu. Als weitere Einflussmöglichkeit des Justizministeriums nennt Tokuzlu die Justizakademie, die für die Richterausbildung verantwortlich ist. "Das dafür eingerichtete Generalsekretariat wird abgeschafft. Dafür wird ein Präsidium errichtet. Für die Wahl und Festlegung des Präsidenten ist nun der Justizminister verantwortlich, indem er drei Mitglieder nominiert", so Tokuzlu.

Unangenehme Ratsmitglieder werden entlassen

Sobald das Gesetz in Kraft trete, so der Rechtswissenschaftler, sei die Entlassung der jetzigen Ratsmitglieder innerhalb von zehn Tagen vorprogrammiert. Dies sei Bestandteil der Reform. "Innerhalb dieser Zehntagesfrist bestimmt auch hier wieder der Justizminister die Positionen. Die Regierung hat Probleme mit den jetzigen Mitgliedern. Sie werden einfach neue Mitglieder einsetzen, mit denen besser zusammengearbeitet werden kann ", so der Rechtswissenschaftler.

Premierminister Recep Tayyip Erdogan (Foto: picture-alliance/landov)
Will seine Justizreform durchsetzen: Ministerpräsident ErdoganBild: picture-alliance/landov

Die Unabhängigkeit der Justiz sei ein wichtiger Aspekt einer Demokratie, so Tokuzlu. "In der Türkei wurde in den letzten Wochen und Monaten vor allem gegen Staatsanwälte vorgegangen, die die jüngsten Verbrechen strafrechtlich verfolgten. Es ist wichtig, dass sie unabhängig sind. Das Symbol dieser Unabhängigkeit ist der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte. Und wenn der Rat von der Ermessungsbefugnis der Justizministers abhängt, dann kann man nicht von einer unabhängigen Justiz sprechen", so Tokuzlu.