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Typisch deutsch?

Nils Casjens4. Juni 2003

Deutsche vertrauen ihren Politikern weniger als viele andere Europäer. Diesen Satz hört und liest man in letzter Zeit immer häufiger in deutschen Medien. Die Deutschen jammern - und zwar auf hohem Niveau.

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Nicht vertrauenerweckendBild: AP

Die Unzufriedenheit der Bürger hier zu Lande ist auch statistisch belegt: Alle sechs Monate fragt die Europäische Union (EU) in der Eurobarometer-Umfrage ihre Bürger, wie zufrieden sie mit ihrem Leben sind - und die Deutschen liegen konstant weit hinten. Ähnlich sieht es mit dem Vertrauen in die nationale Politik aus.

Optimismus in Schweden und Dänemark

Nordische Luft nimmt den Menschen offenbar ihre Sorgen - nirgends sonst in der EU vertrauen die Menschen der nationalen Politik so sehr wie in Schweden und Dänemark. Das ist eines der Ergebnisse der regelmäßigen Eurobarometer-Umfragen der EU. Etwa zwei Drittel der Bürger in diesen beiden Ländern vertrauen Regierung und Parlament. Ähnlich zufrieden sind nur die Luxemburger und die Niederländer.

In Deutschland sehen Viele ihre Politiker mit Skepsis: Hier misstraut jeder zweite Bürger dem Bundestag - obwohl er doch die Parlamentarier direkt wählen kann. Noch schlechter sieht es für die Bundesregierung aus: Nur jeder dritte Deutsche spricht ihr sein Vertrauen aus.

Vertrauen beruht auf guten Erfahrungen

Ist Misstrauen gegenüber den eigenen Politikern ein typisch deutscher Zug? Nein, meint Oskar Niedermayer. Er ist Professor für Politikwissenschaft in Berlin, und hat sich auf die Analyse europäischer Umfragen spezialisiert. Er meint: Vertrauen hat nur, wer gute Erfahrungen gemacht hat – und das gilt auch für die Politik. Die Ostdeutschen hätten noch immer ein relativ geringes Vertrauen in die staatlichen Institutionen, weil die Erfahrungen aus der DDR-Zeit noch frisch seien, meint Niedermayer.

Aber auch in Westdeutschland ist das Vertrauen in Bundestag und Regierung nicht sehr viel größer. Am schlechtesten schneiden diejenigen Institutionen ab, die die politische Debatte führen: Gewerkschaften, Regierung, Parlament. Besonders schlecht steht es um die Parteien: Ihnen vertraut nicht einmal jeder fünfte Deutsche.

Mehr Vertrauen in rechtsstaatliche Institutionen

Doch auch in Deutschland gibt es Institutionen, mit denen die Menschen zufrieden sind. Niedermeyer erklärt, dass in Deutschland über die Zeit hinweg den rechtsstaatlichen Institutionen wie Bundesverfassungsgericht, Gerichten und Polizei viel höheres Vertrauen geschenkt werde als den politischen Institutionen im engeren Sinne. "Und das ist auch erklärbar", sagt der Politikwissenschaftler, "weil die rechtsstaatlichen Institutionen etwas abgehoben sind vom normalen politischen Wettbewerb und auch vom Streit. Die Leute vertrauen ihnen als Garanten der demokratischen Entwicklung."

Beim Blick zu den europäischen Nachbarn fällt vor allem eines auf: Es gibt nur wenige Länder, in denen die Menschen mit ihrem Parlament und ihrer Regierung noch unzufriedener sind als in Deutschland: Dazu zählt Frankreich, wo nicht einmal jeder Dritte der Regierung vertraut, sowie Großbritannien und Italien.

Selbst in Osteuropa größere Leichtigkeit

Der Eurobarometer-Trend wird auch durch eine Umfrage bestätigt, die die Zeitschrift "Reader's Digest" kürzlich unter ihren Lesern durchführen ließ. Demnach misstrauen die Deutschen der Politik ihrer Regierung in fast jeder Hinsicht. Die anderen Europäer sind dagegen deutlich unbeschwerter - sogar in vielen osteuropäischen Ländern: So sind mehr als 60 Prozent der Ungarn mit der Bildungspolitik ihrer Regierung zufrieden - in Deutschland sind es nur 24 Prozent. Die deutschen Politiker können sich nur beim Thema Umwelt wirklich zurücklehnen: 43 Prozent der Bevölkerung sind hier mit den Maßnahmen der Regierung einverstanden.

Niedermayer sieht die Skepsis der Deutschen gegenüber ihren Politikern sogar positiv: "Ich denke, das entspricht eigentlich einer reifen Demokratie, dass man den politischen Institutionen nicht total unkritisch gegenübersteht. Von einer Vertrauenskrise zu reden, ist anhand dieser Werte einfach nicht sinnvoll."