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Humanitäre Hilfe per Mausklick

Claudia Witte19. August 2012

Auch humanitäre Organisationen nutzen das Mobilisierungspotenzial von Social Media Kampagnen. Die Weltverbesserung per Mausklick hat allerdings ihre Tücken. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht...

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Schatten einer Jugendlichen vor der Twitter-Seite (Foto: dpa)
Bild: picture alliance/dpa

Jedes Jahr am 19. August würdigen die Vereinten Nationen die Arbeit der humanitären Helfer mit einem speziellen Gedenktag. Dieses Jahr geschieht das zum ersten Mal über eine Social Media Kampagne. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen nicht etwa die Helfer oder gar die Notleidenden, sondern die Sängerin Beyoncé sowie die Facebook- und Twitter-Nutzer selbst. "Ich war hier" - "I was here" lautet die Botschaft.

Es gehe bei dieser Kampagne darum, "den humanitären Geist" zu feiern, erklärt Jens Laerke, der Sprecher des Koordinierungsbüros für humanitäre Angelegenheiten der Vereinten Nationen (OCHA) in Genf: "364 Tage im Jahr reden wir über den Jemen, über Afghanistan, Pakistan, den Sudan, Kongo, über all diese langwierigen Krisen. Aber einmal im Jahr", sagt Jens Laerke, "am Internationalen Tag der humanitären Hilfe, möchten wir die Botschaft etwas anders rüberbringen".

Jens Laerke (Foto: DW/Claudia Witte)
"Botschaft anders rüberbringen" - Jens Laerke vom UN-Büro für humanitäre Hilfe, OCHABild: DW

Eine Milliarde gute Taten

Im Internet können Nutzer auf "Add your support" klicken und dann online eine gute Tat ankündigen, "irgendwo - für jemanden anderen". Das können Taten wie das Rasenmähen für einen Nachbarn oder das Verschenken von nicht benötigten Dingen sein. Die Organisatoren hoffen auf diese Weise eine Milliarde Versprechen zusammenzubekommen. Am 19. August werden dann sämtliche Nachrichten veröffentlicht und das Internet wird auf diese Weise mit "humanitären Botschaften" regelrecht überschwemmt.

Logo für die Social Media Kampagne der OCHA
Botschaft anders rüberbringen - die OCHA-Kampagne für humanitäre HilfeBild: OCHA

Jens Laerke von OCHA hält es für eine Illusion zu glauben, allein mit Mausklicks auf "Like"- und "Support"-Buttons die Welt verändern zu können. Sobald eine Aktion realiert werde, sei das allerdings anders. Auch wenn das Rasenmähen beim Nachbarn kein Menschenleben im Kongo oder im Südsudan rette, handele es sich doch um eine humanitäre Tat, ist er überzeugt.

Großes Mobilisierungspotenzial

Marketingprofi Rolf Olsen von der Genfer Consultingfirma Leidar hält die "I was here"-Kampagne für gut gemacht und schreibt ihr ein großes Mobilisierungspotenzial zu. Olsen berät Organisationen und Firmen in Sachen internationaler Kommunikation und erklärt seinen Kunden immer wieder, dass es bei Social Media Kampagnen nicht allein darum geht, Aufmerksamkeit zu erregen. Eine Kampagne solle vielmehr mit einer einfachen Botschaft konkrete Aktionen auslösen.

"Erfolgreiche Social Media Kampagnen", sagt Olsen, "decken sämtliche Schritte bis hin zur Aktivierung ab. Es reicht nicht aus, irgendwas zu wissen, um Dinge in Bewegung zu setzen. Das passiert erst, wenn du tatsächlich handelst."

Party für Menschenrechte

Das Hochkommissariat für Menschenrechte hat schon erste Erfahrungen mit Social Media Kampagnen gesammelt und ist mit der Wirkung sehr zufrieden. Aus Anlass des Internationalen Tags der Menschenrechte startete die UN-Organisation im vergangenen Dezember über Twitter, Facebook und ihre Webseite eine Informationskampagne über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Was auf den ersten Blick wie eine Einladung zum Kindergeburtstag wirkt - "celebrate human rights" heißt die Kampagne - spricht nach Auskunft von Hochkommissarin Navi Pillay besonders jüngere Leute an, die das Thema Menschenrechte neu für sich entdecken wollen.

Navi Pillay (Foto: OCHA)
Vom Arabischen Frühling gelernt - Navy Pillay, UN-Hochkommissarin für MenschenrechteBild: OHCHR

"Es war der Arabische Frühling, der uns gezeigt hat, dass soziale Medien, das Internet, Handykameras und SMS-Nachrichten immer wichtiger werden", sagt die Hochkommissarin. "Sie sind Werkzeuge, um sich zu vernetzen, um Bewusstsein zu schaffen, sie können vorwarnen und dokumentieren. Deshalb bin ich so begeistert."

Ehrlich, glaubwürdig und wahr

Soziale Medien können eine Botschaft in Windeseile auf der ganzen Welt verbreiten und unzählige Reaktionen auslösen. Dabei kann sich, wie im Fall der Kony 2012-Kampagne der amerikanischen Nichtregierungsorganisation "Invisible Children", eine unbeabsichtigte Eigendynamik entwickeln. Mehr als 100 Millionen Menschen haben innerhalb kürzester Zeit das Video über den brutalen Milizenführer Joseph Kony angeklickt, und die ganze Welt fordert jetzt, dass Kony für die Rekrutierung von Kindersoldaten in Uganda zur Rechenschaft gezogen wird.

Doch die Machart des Videos ist umstritten, der Film weist inhaltliche Schwächen auf. Und der Regisseur brach unter der nicht nur wohlmeinenden Aufmerksamkeit für seine Person in aller Öffentlichkeit zusammen. Der als Höhepunkt der Kampagne geplante internationale Aktionstag erwies sich weitgehend als Flop. "Je größer dein Zielpublikum ist, desto besser musst du vorbereitet sein und desto stärker muss deine Botschaft sein", erklärt Kommunikationsexperte Rolf Olsen. Die Kony 2012-Kampagne halte für potenzielle Nachahmer noch eine weitere wichtige Lehre bereit. "Du kannst die Öffentlichkeit nicht wirklich manipulieren. Das funktioniert vielleicht kurzfristig, aber irgendwann wirst du dann von Journalisten oder smarten Leuten vorgeführt. Du musst eine echte Botschaft haben: Sie muss ehrlich und glaubwürdig sein und den Tatsachen entsprechen."

Rolf Olsen (Foto: DW/Claudia Witte)
"Gut gemacht" urteilt Marketingexperte Rolf Olsen aus GenfBild: DW