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TTIP: Streit um Klageklausel

Chris Cottrell / dk17. März 2015

Während die USA und die EU noch über eine Freihandelszone verhandeln, wächst auf beiden Seiten der Unwillen, durch eine TTIP-Vereinbarung Unternehmen ein Klagerecht gegen Staaten einzuräumen.

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Eine US- und eine EU-Fahne hinter einer halbverschlossenen Tür

Eine Gruppe von 100 Anwälten und Jura-Professoren hat kürzlich einen Brief an die führenden Köpfe im US-Kongress und an verschiedene US-Handelsvertreter geschrieben und darin ihre Ablehnung eines umstrittenen Teils des geplanten US-EU-Freihandelsabkommens TTIP unmissverständlich klargemacht. Sollten, so schrieben sie, Investoren das Recht bekommen, Regierungen für Schäden zu verklagen, die ihnen durch deren Gesetzgebung entstehen, wäre dies ein "unfairer Vorteil" für multinational agierende Konzerne.

Der umstrittene Passus wird bei den TTIP-Verhandlungen unter dem Titel "Investor-State Dispute Settlement" (ISDS) diskutiert. "ISDS bedroht die staatliche Souveränität, indem ausländische Konzerne in die Lage versetzt werden, das jeweils heimische Justizsystem zu umgehen und so ihre Vorstellungen durchzusetzen", formuliert die "Allianz für Gerechtigkeit" (AFJ), eine Anwaltsvereinigung in Washington, in ihrem Brief.

"Ein gerechter Ausgleich"

Die Auseinandersetzung dreht sich um die Einrichtung von Schiedsgerichten oder unabhängigen Richtern, die Streitigkeiten entscheiden sollen, die es zwischen Regierungen und Unternehmen gibt, die sich ungerecht behandelt fühlen - etwa durch ein Gesetz oder eine Enteignung. Diese Schiedsgerichte arbeiten unabhängig von der Justiz, ihre Beschlüsse sind jedoch rechtsgültig. TTIP-Gegner, darunter auch Politiker, befürchten, dass große Firmen auf diese Weise einen unangemessenen Einfluss auf Regierungen nehmen und Gesetze unterlaufen könnten.

Die Befürworter von Schiedsgerichten argumentieren, diese könnten die Rechte von Firmen in Ländern garantieren, auf deren Justizsystem kein Verlass sei. Das könnte zu mehr ausländischen Investitionen führen. Sie weisen ebenfalls darauf hin, dass in vielen Fällen, in denen alle Rechtswege ausgeschöpft waren und ein Schiedsgericht angerufen wurde, in der Mehrheit für die staatliche Seite, und nicht für die Firmen, entschieden worden sei.

"Internationale Schiedsgerichte sorgen für einen gerechten Ausgleich. So einfach ist das", sagt Mark Appel vom Internationalen Institut für Streitschlichtung (ICDR), einer Unterorganisation des amerikanischen Schiedsgerichtsverbandes "American Arbitration Association" (AAA): "Sie werden dafür bezahlt, sich wie ein guter Schiedsrichter zu verhalten: Sie sagen, was der richtige Weg ist."

Den globalen Handel im Blick

Seit den 1960er Jahren haben sich 180 Länder in mehr als 3000 einzelnen Vereinbarungen darauf geeinigt, Investorenrechte zu schützen, teilt das Weiße Haus in Washington auf seiner Web-Seite mit. Die meisten dieser Regelungen sähen auch Schiedsgerichtsverfahren vor. Doch das Thema findet erst große öffentliche Beachtung, seit einige groß angelegte Freihandelsverträge zwischen bedeutenden Wirtschaftsräumen jeweils kurz vor ihrer Verabschiedung stehen.

Die USA haben Verhandlungen über eine Pazifik-Freihandelszone, besser bekannt unter dem Akronym TPP, fast abgeschlossen und ein Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU muss nur noch von den nationalen Parlamenten abgesegnet werden.

MSC Oscar in Bremerhaven Foto: Ingo Wagner/dpa
Der transatlantische Markt ist bereits der größte der Welt - TTIP beträfe mehr als ein Drittel des globalen HandelsBild: picture-alliance/dpa/I. Wagner

Doch keines dieser beiden Verfahren findet so viel Beachtung in der Öffentlichkeit wie die "Transatlantic Trade and Investment Partnership", kurz TTIP. Und zwar aus gutem Grund: Der transatlantische Markt ist bereits der größte der Welt und TTIP beträfe danach mehr als ein Drittel des globalen Handels.

Ein riskantes Geschäft

TTIP wird damit beworben, dass es die USA und Europa vor wirtschaftlichem Bedeutungsverlust angesichts der schnell wachsenden Schwellenländer in den kommenden Jahrzehnten bewahren könnte. Am vergangenen Donnerstag (12.03.2015) sagte ein britischer Minister, dass ein Scheitern des transatlantischen Freihandels die Botschaft transportiere, die Bedeutung der EU als Handelspartner schwände.

"Die Alternative wäre, dass wir in ein paar Jahren aufwachen und feststellen: Die pazifischen und asiatischen Länder haben ihre eigenen Standards gesetzt und Europa wäre dann in der unwürdigen Position, hinterherlaufen und deren Entscheidungen kopieren zu müssen," zitiert die Nachrichtenagentur Reuters den britischen Europa-Minister David Lidington. Damit sich Investoren sicher fühlen, müssten bestimmte Garantien gegeben sein.

"Es geht nicht darum, die Justizsysteme anderer Länder zu umgehen", sagt Nikolas Kesslers von der Freien Universität Berlin. "Es geht um Investorenschutz in dem Sinn, das es eine gewiss Sicherheit gibt, wenn es um Investitionen geht." Bei den Verhandlungen zur geplanten TTIP seien Investoren, so Kessler, sich wohl bewusst, dass die Justizsysteme neuer EU-Mitglieder wie Rumänien und Bulgarien weniger ausgereift seien als beispielsweise die von Deutschland oder dem Vereinigten Königreich.

"Wenn's nicht kaputt ist, braucht man's nicht zu reparieren."

Ungeachtet der möglichen Verdienste eines gemeinsamen Marktes zwischen den USA und Europa, stellen einige Rechtsexperten den Nutzen eines Schiedsverfahrens infrage, da die meisten Industrieländer verlässliche Rechtssysteme hätten. Sie meinen, dass erst alle lokal verfügbaren Rechtsmittel ausgeschöpft sein müssen, bevor es Kläger erlaubt sein dürfte, andere Gerichte anzurufen.

"Mir erscheint es nicht logisch, zu sagen: Wir ersetzen nicht-perfekte Gerichte durch nicht-perfekte Schiedsgerichte, die anders als offizielle Gerichte keine institutionalisierte Absicherungen haben", sagt Gus van Harten, Jura-Professor an der Osgoode Hall Law School in kanadischen Toronto.

Vattenfall Brunsbüttel Foto: dpa
Ein potenzieller Fall für die Schiedsgerichte? Vattenfall hat Deutschland wegen des Atomausstiegs verklagtBild: picture-alliance/dpa

Seine Vorbehalte fanden ihr Echo in einem Beitrag der Washington Post, den die prominente, linksgerichtete Demokratin im US-Senat, Elizabeth Warren geschrieben hat. Sie argumentiert, dass die Existenz von Schiedsgerichten es mächtigen, international tätigen Konzernen ermögliche, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Wie auch andere Autoren des eingangs zitierten Briefes sorgt sich Warren, dass, obwohl aufgrund einer ISDS-Klausel kein Staat gezwungen werden könnte, Gesetze oder Bestimmungen zu ändern, Politikern bewusst sei, dass ihre Entscheidungen auch finanzielle Auswirkungen auf Steuerzahlen haben können.

Den Grund für diese Vorbehalte kann man jetzt in Deutschland beobachten: Hier wird der Staat vom schwedischen Energieversorger Vattenfall verklagt, weil die Bundesrepublik nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima beschlossen hatte, ihre Atomkraftwerke stillzulegen. "Ausländischen Konzernen spezielle Rechte einzuräumen," so Warren, "mit denen sie unter Umgehung unseres Justizsystems unsere Gesetze aushebeln können - das wäre ein schlechter Deal."