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Tschetschenien unter Kadyrow: "Ruhe durch Gewaltherrschaft"

22. Februar 2007

Seit dem 15. Februar ist Ramsan Kadyrow amtierender Präsident. Im Gespräch mit DW-RADIO bewertet Rudolf Bindig, ehemaliger Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, die dortige Lage.

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Rudolf Bindig beklagt Menschenrechts-VerletzungenBild: DBT

DW-RADIO/Russisch: Ramsan Kadyrow ist nun nicht nur de facto, sondern auch de jure der wahre Herrscher in Tschetschenien. Wird sich Ihrer Meinung nach die Lage nun verändern?

Rudolf Bindig: Eine Ernennung von Ramsan Kadyrow zum Präsidenten war eigentlich zu erwarten. Man kann aber auch sagen: es war zu befürchten. Denn Ramsan Kadyrow steht in dem Ruf, ein arroganter, machtbesessener Politiker zu sein und dass seine private Sicherheitsmiliz schwerste Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung begangen hat. Deshalb wird das intern wenig ändern, und es wird nicht dazu führen, dass sich in diesem Lande demokratische Rechte und Prinzipien ausbreiten.

Man sagt, Kadyrow habe heute mehr Vollmachten als seinerzeit der frühere tschetschenische Präsident Aslan Maschadow.

Bisher muss man sagen, dass Kadyrow eng mit dem Kreml und der Führung der Russischen Föderation zusammenarbeitet. Seine ganze Macht ist davon abgeleitet, dass er die Unterstützung durch den Kreml erhält. Seine Sicherheitsmiliz wird hervorragend ausgestattet mit Waffen und Gerät. Sie wird auch ansonsten logistisch unterstützt von den Truppen der Russischen Föderation. Kadyrows ganze Macht hängt davon ab, dass er ein treuer Befürworter ist, dass Tschetschenien ein integraler Bestandteil Russlands ist.

In den letzten Tagen kam es zu einem offenen Konflikt zwischen Kadyrow und dem früheren Präsidenten Alu Alchanow. Kann man Kadyrow als berechenbar betrachten?

Ich habe Herrn Kadyrow mehrmals gesprochen und muss sagen, dass er einen wenig berechenbaren Eindruck macht. Er ist angetrieben von Selbstüberzogenheit und Machtbesessenheit. Wohin sich das letztlich wenden wird, ist sehr schwer vorauszusagen. Dass er mit dem früheren Präsidenten Alu Alchanow gewisse Konflikte hat, hängt mehr damit zusammen, dass er endlich die ganze Macht in Tschetschenien haben wollte, und deshalb den früheren Präsidenten auch verdrängt hat. Es ist auch verwunderlich, dass der frühere Präsident, der immerhin für eine ganze Amtsperiode gewählt worden ist, so einfach abgesetzt werden kann, indem man in hochlobt, so dass er in der Russischen Föderation Vize-Justizminister wird.

Viele Menschenrechtler berichten, wie schlecht es den Menschen in Tschetschenien geht. Aber ging es den Menschen unter Aslan Maschadow etwa besser?

Die Lage in Tschetschenien war immer schwierig. Zur damaligen Zeit standen verschiedene Gruppen von tschetschenischen Führern gegeneinander und trugen miteinander Konflikte aus. Immerhin muss man sagen, dass unter Ramsan Kadyrow jetzt eine gewisse Ruhe eingekehrt ist, aber es ist eine Ruhe, die durch Gewaltherrschaft erzeugt worden ist. Es ist ein Klima der Angst. Die Bevölkerung ist total kriegsmüde und zieht die Ruhe vor. Aber das ist natürlich kein gedeihlicher Aufbau eines Staatswesens, wo Rechtsstaatlichkeit vorherrscht – das ist eine Gewaltherrschaft.

Die Menschenrechtler werden in Tschetschenien zwar massiv unterdrückt, sie dürfen aber trotzdem ihre Arbeit in der Republik fortsetzen.

Ich glaube, dass dies zur Außendarstellung einfach akzeptiert wird. Aber man muss sehen, dass es immer wieder schwerste Vergehen gegeben hat, ohne dass die Täter zur Rechenschaft gezogen wurden. Und die Vermutungen sind sehr stark, dass Leute aus der Sicherheitsmiliz von Ramsan Kadyrow an diesen schwersten Menschenrechtsverletzungen selbst beteiligt sind.

Kann man sagen, dass die Ernennung Kadyrows das endgültige Aus für die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit den Separatisten bedeutet?

Der Widerstand ist durch die vielfältigen Maßnahmen weitgehend unterdrückt worden, es gibt ihn nicht mehr in der aktiven Form. Trotzdem kann man die Entwicklung in Tschetschenien schwer vorhersagen. Dazu wirken dort viel zu viele Kräfte. Man hat in der Vergangenheit immer wieder erlebt, dass es zu überraschenden Veränderungen gekommen ist. Nun haben wir den neuen Präsidenten, und man kann nur hoffen, dass er wesentlich mehr Recht und Ordnung einhält - Recht vor allen Dingen. Bisher hat er sich kaum an Gesetze gehalten.

Das Gespräch führte Viacheslav Yurin
DW-RADIO/Russisch, 16.2.2007, Fokus Ost-Südost