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Tschechische Studenten im Kampf gegen Nazis und Kommunisten

15. November 2001

Am 17. November 1939 schlossen die Nazis tschechische Hochschulen, am 17. November 1989 begann die Samtene Revolution.

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Prag, 15.11.2001, Radio Prag Is, deutsch

Der 17. November gehört hierzulande zu den geschichtsträchtigen Daten: vor zwölf Jahren gingen an diesem Tag Tausende von Studenten auf die Straße, die ihre Unzufriedenheit mit dem herrschenden sozialistischen Regime ausdrückten. Ihre Demonstration löste damals die Samtene Revolution aus.

Das Datum war nicht zufällig gewählt: 50 Jahre zuvor, am 17. November 1939, hatten die Nazis die tschechischen Hochschulen geschlossen. Bereits während des Zweiten Weltkrieges war der 17. November zum Weltstudententag erklärt worden, an dem weltweit an das Schicksal der tschechischen Studenten erinnert werden sollte. Begonnen hatte alles am 28. Oktober 1939.

Der 28. Oktober ist der Staatsgründungstag der Tschechoslowakei. An jenem Tag im Jahre 1918 wurde die Unabhängigkeit des Staates der Tschechen und Slowaken ausgerufen. In der jungen Republik war er der Staatsfeiertag. Kein Wunder, dass die Tschechen nach der Besatzung ihres Landes durch die Deutschen im März 1939 an diesem Tag ihren Protest äußern wollten. In Flugblättern wurde zu friedlichen Protestaktionen aufgerufen. Die Bürger sollten am 28. Oktober 1939 feierliche Sonntagskleidung tragen und mit Bändern in den tschechischen Nationalfarben am Revers in das Prager Stadtzentrum kommen.

Zunächst verlief diese Demonstration des Nationalstolzes friedlich, wie sich der heute 84jährige Jakub Cermin erinnert: "Wir wollten sagen, dass wir mit dem Zerfall der Republik nicht zufrieden sind, dass die Nazis für uns nicht annehmbar sind, dass wir keine Unterdrückung wollen. Das wollten wir öffentlich sagen. Das war keine Demonstration, es war keine gewaltige Revolution."

Am Nachmittag kam es zu ersten Auseinandersetzungen zwischen Tschechen und Deutschen. Am Abend fielen Schüsse. Der Polizeibericht vom 28. Oktober 1939 lautete:

"Beim Einschreiten gegen die Demonstranten auf dem Karlsplatz nach 19 Uhr kam es zu Schüssen von Seiten der deutschen Organe, durch die einige Personen verletzt wurden. Kurz zuvor kam es zu ähnlichen Vorkommnissen in der Zitna-Straße bei denen der Arbeiter Vaclav Sedlacek tödlich getroffen wurde."

Unter den 15 Verletzten war auch der 23jährige Medizinstudent Jan Opletal. Am 11. November erlag er in einem Krankenhaus seinen Verletzungen. Die Nachricht vom Tode des Studenten verbreitete sich schnell unter seinen Kommilitonen. Die deutschen Behörden gaben die Erlaubnis für eine öffentliche Trauerfeier, nachdem Studentenvertreter versprochen hatten, dass es dabei zu keinen politischen Demonstrationen kommen werde. 3.000 Studenten nahmen am 15. November am Trauermarsch im Prager Stadtzentrum teil. Zunächst herrschte Schweigen, dann begannen die Studenten, die tschechoslowakische Nationalhymne zu singen und weitere tschechische nationale Lieder. Nachdem die tschechische Polizei den Trauerzug aufgelöst hatte, zogen die Studenten in Gruppen durch das Stadtzentrum, riefen antideutsche Parolen und rissen deutsche Aufschriften von Geschäften.

SS- Gruppenführer Karl Herman Frank und der Reichsprotektor Konstantin von Neurath flogen nach den Studentendemonstrationen vom 15. November nach Berlin, um mit Hitler persönlich das weitere Vorgehen abzusprechen. Hitler drohte, bei weiteren antideutschen Aktionen Prag dem Erdboden gleichzumachen. Vorerst ordnete er die Schließung der tschechischen Hochschulen für eine Dauer von drei Jahren an. Doch bei der Schließung der Hochschulen blieb es nicht, die Bestrafung fiel härter aus. Neun Studentenführer wurden am 16. November verhaftet und ohne Gerichtsverfahren noch am selben Tag erschossen.

In der Nacht zum 17. November wurden 1.200 Studenten in ihren Wohnheimen aus den Betten gezerrt, in ein Prager Gefängnis verschleppt und von dort in das Konzentrationslager Sachsenhausen abtransportiert. Unter ihnen war auch Jakub Cermin, damals 22jähriger Jura-Student: "Wir dachten, die Deutschen wollen nur ihre Macht demonstrieren, wir dachten, wir können nach drei Wochen wieder zurück. Keiner wurde verurteilt. Wir wurden drei Jahre eingeschlossen. Wir haben damit nicht gerechnet, das war schrecklich."

Von den 1.200 tschechischen Studenten starben 20 im KZ Sachsenhausen. Die anderen wurden nach zwei bis drei Jahren entlassen. Jakub Cermin kehrte nach Prag zurück, wo er bis Kriegsende lebte. Andere Studenten flohen in den Westen und schlossen sich dort tschechoslowakischen Einheiten an. So erfuhren Tschechen und Slowaken im englischen Exil von den Vorkommnissen am 17. November 1939 in Prag. Vaclav Strakader, der damals in England lebte, schilderte die Ereignisse wie folgt: "Nach England kam damals ein Student aus Sachsenhausen und hat uns erzählt, was passiert ist. Wir haben beschlossen, die ganze Welt über das Schicksal der Prager Studenten in Kenntnis zu setzen. Zuerst verbreiteten wir den Bericht jenes Studenten im Rundfunk. Dann haben wir Kontakt zu anderen Studentengruppen aufgenommen, in Großbritannien, Frankreich, den USA. Jedes Jahr fanden dann am 17. November große Versammlungen statt und daraus entstand die Weltorganisation der Studenten. Es wurde beschlossen, nach dem Krieg ihren Sitz nach Prag zu verlegen."

In der Tat erhielt die Weltorganisation der Studenten ihren Sitz in Prag. Der 17. November wurde bereits 1941 zum Weltstudententag erklärt. Doch nach der Machtergreifung der Kommunisten 1948 missbrauchten diese die Organisation für ihre Zwecke. Die Studenten des 17. Novembers 1939 hatten zum Großteil auch unter den neuen Machthabern Probleme, 20 von ihnen wurden wegen antisozialistischer Tätigkeiten zu langen Gefängnisstrafen verurteilt, unter ihnen auch Jakub Cermin, der sechs Jahre in kommunistischen Gefängnissen verbrachte.

50 Jahre nach den blutigen Ereignissen in Prag und der Schließung der tschechischen Hochschulen riefen erneut Studenten zu einer Demonstration auf. Sie wollten an das Schicksal ihrer Kollegen während des Protektorats erinnern - und wagten, es mit dem ihrigen zu vergleichen. Kritik am sozialistischen Regime wurde laut und die Polizei griff ein. Doch das war ein großer Fehler. Sofort wurden Parallelen gezogen: 1939 waren die Nazis gegen tschechische Studenten vorgegangen. Nun waren es tschechische Polizisten, die das sozialistische Regime repräsentierten, die die Studenten blutig schlugen. Dieser Tropfen brachte das Fass zum überlaufen: nun kamen auch die Eltern auf die Straße, um ihren Unmut zu äußern. Täglich wurden die Demonstration größer - 10 Tage später trat die sozialistische Regierung zurück - die Samtene Revolution hatte gewonnen. Der 17. November ging ein zweites Mal in die tschechische Geschichte ein - diesmal als ein Datum der Befreiung. (...) (ykk)