1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Tschechien und seine Grenzen - der Handel mit Menschen, die in die EU-Länder drängen, ist zu einem Milliardengeschäft geworden

29. April 2002

- das Durchgangsland Tschechien ist mittlerweile auch zum Zielland geworden

https://p.dw.com/p/28Pk

Köln, 29.4.2002, DW-radio, Angela Fitsch

Der Handel mit Menschen, die in die EU-Länder drängen, ist längst zu einem Milliardengeschäft geworden. Nicht selten landen Flüchtlinge im Durchgangsland Tschechien. Man will deshalb die Grenzen undurchlässiger machen. Doch die "Festung Europa" wird Schleuserbanden werden andere Wege suchen, um ihre menschliche Fracht in die "Festung Europa" zu schmuggeln.

25 Mitglieder einer international organisierten Schleuserbande, darunter Tschechen, Russen und Albaner, waren vor wenigen Wochen in Prag festgenommen worden. Ihre Opfer waren überwiegend Menschen aus Südostasien und aus arabischen Ländern. Die Schleuser müssen sich gut ausgekannt haben, denn ihr Menschentransport durch die Slowakei und die tschechische Republik funktionierte über eineinhalb Jahre lang ungehindert.

28.500 Migranten sollen sie seit Beginn ihrer Operation nach Deutschland verschleppt haben, durch das Haupteinfallstor Tschechien. Ihr Gewinn: rund zehn Millionen Euro. Derartige Festnahmen werden gerne als Erfolgsmeldungen von tschechischen Behörden verbreitet. Dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist, darüber wird jedoch häufig geschwiegen. Nicht selten endet die Reise für die Migranten im Transitland Tschechien.

Anna Grusova, Leiterin der Beratungsstelle für Flüchtlinge des tschechischen Helsinki-Komitees in Prag, kümmert sich um die Gestrandeten.

"Der schlimmste Fall, den ich je erlebt habe, das waren drei junge Männer aus Sri Lanka, die im Winter hierher verschleppt wurden. Es muss im Januar gewesen sein. Sie hatten keine Schuhe an den Füßen. Und die Schlepper hatten sie direkt hinter der slowakisch-tschechischen Grenze in den Schnee hinausgeschmissen. So kamen sie nach Prag, und jemand schickte sie dann zur Fremdenpolizei. Und als der Beamte sie dort sah, rief er sofort den Rettungsdienst an, weil die Menschen total erfrorene Füße hatten. Bei allen musste man einige Zehen amputieren"

Anna Grusova erzählt von Migranten, denen nicht nur das Geld gestohlen wurde, sondern auch die Pässe und andere persönliche Dokumente, ganz zu schweigen von ihrer Würde. Die meisten, die in den fünf Auffanglagern der tschechischen Republik landeten, wüssten oftmals gar nicht, wo sie sich befinden, sagt sie.

Bis zu 200.000 Flüchtlinge leben nach Schätzungen der Behörden derzeit illegal in Tschechien, - die Mehrheit von ihnen zieht es in die EU.

Hinzu kommen weitere 250.000 Sinti und Roma, von denen die meisten ebenfalls lieber heute als morgen Tschechien verlassen würde.

Allein in Russland, Weißrussland und der Ukraine wartet ein Millionenheer auf die Einreise in den Westen. Dabei wird auch Tschechien für viele attraktiver. Die Situation habe sich verändert, sagt Anna Grusova:

"Als wir uns nach 1989, nach der Öffnung des eisernen Vorhangs, zum ersten Mal mit den Flüchtlingen befassten, waren sie sozusagen auf der Durchreise in das Mekka aller Flüchtlinge, nach Deutschland. Heute ist die Situation eine andere. Immer mehr Flüchtlinge wählen die Tschechische Republik als Zielland. Der Grund: wir sind ein demokratisches Land geworden und außerdem kann man voraussehen, dass wir in der nächsten Zeit in der europäischen Union sein werden"

Die Grenze nach Deutschland ist rund 800 Kilometer lang, unübersichtlich und auf weiten Strecken gebirgig. Die Grenzübergänge in Nordböhmen gelten als die Achillesverse der deutsch-tschechischen Außengrenzen, dieses Gebiet ist dicht besiedelt, hier haben viele Tschechen ihre Chattas, ihre Hütten für das Wochenende. Mehr als 10.000 Flüchtlinge wurden letztes Jahr von den deutschen und den tschechischen Behörden aufgegriffen. In diesem Jahr werden es nicht weniger sein. Denn die Grenzposten an der gesamten deutsch-tschechischen Grenze haben ihr Material in den vergangenen Jahren mächtig aufgerüstet. Hightech Errungenschaften orten auf eine Entfernung von drei Kilometern Wärmeunterschiede von 0,1 Grad Celsius. Jeder Hubschrauberflug über dem Grenzstreifen lässt auf den Überwachungsmonitoren jeden noch so gut getarnten Menschen im Unterholz deutlich sichtbar werden. Das Netz wird engmaschiger. An den Grenzstreifen patrouillieren mittlerweile auch fahrradfahrende Grenzpolizisten in Zivil.

"Der zivile Einsatz - egal ob jetzt mit dem Fahrzeug oder mit dem Fahrrad oder zu Fuß - wird bei uns immer wichtiger, weil sich ja doch das Gegenüber auf die taktischen Maßnahmen der Behörden einstellt, und man gewinnt wesentlich mehr Erkenntnisse, wenn wir das jetzt sozusagen im zivilen Rahmen erlangen kann. Ich sage mal, dieses ganze Schleusungsgewerbe ist ein sehr lukratives Geschäft, da werden unheimliche Summen umgesetzt, da zahlen Vietnamesen, Chinesen teilweise zehn bis zwölf oder 15.000 Dollar, das ist das, was hier zu verdienen ist. Das ist also gut strukturiert und durchdacht die Schleusung, da wird ausspioniert, da werden vor Ort Ausspähungen gefahren und dem kann man aus dem Wege gehen und kann es besser bekämpfen, wenn man mit zivilen Kräften arbeitet"

Die tschechisch-slowakische Grenze gilt dagegen immer noch als grüne Grenze. Sie könnte über Nacht, wenn Tschechien vor der Slowakei der Europäischen Union beitritt, zur EU-Außengrenze werden. Viele Bewohner in den Grenzgebieten überschreiten sie täglich ohne Probleme auf dem Weg zur Arbeit, um Freunde auf der jeweils anderen Seite zu besuchen oder um ihre Freizeit in ihren Wochenendhäuser zu verbringen. Auch die Schleuserbanden haben hier ein leichtes Spiel. Das soll sich jetzt ändern. Tschechien versucht, den Migrantenstrom, der ins Land fließt, in den Griff zu bekommen. In Zukunft soll die Grenze nur noch an den regulären Grenzübergängen überschritten werden können. Doch ohne Aufrüstung, meint ein tschechischer Grenzpolizist, seien die Schleuserbanden nicht aufzuhalten.

"Ich befürchte, dass der Druck an der tschechisch-slowakischen Grenze steigen wird. Ohne personelle und materielle Verstärkung schaffen wir das nicht. Und dazu wird eine Menge Geld nötig sein. Was die Verstärkung betrifft, so muss sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht gehandelt werden"

Auch nach dem EU-Beitritt Tschechiens im Jahr 2004 werde es noch auf Jahre Grenzkontrollen geben, sagte kürzlich Bundesinnenminister Otto Schily. Es ist von daher zu befürchten, je rigoroser die Abschottung der Zielstaaten innerhalb der europäischen Union gegen unerwünschte Zuwanderer betrieben wird, desto mehr könnte die Zahl derer steigen, die mit Hilfe professioneller Schleuserbanden das Land ihrer Wahl zu erreichen versuchen. Künftig werden sich Schlepper andere Wege suchen müssen, um die Flüchtlinge, die für sie nicht mehr als Strandgut sind, irgendwo im Lande abzuwerfen. (fp)