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Tropfen auf den heißen Stein

Rolf Wenkel6. März 2003

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Leitzinsen zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten gesenkt. Doch mit nur 25 Basispunkten ist die Zinssenkung sehr zaghaft ausgefallen, kommentiert Rolf Wenkel.

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Schade, es hätte ruhig ein bisschen mehr sein können. Dass der Zentralbankrat der EZB die Zinszügel lockern würde, hatten die meisten Beobachter ohnehin erwartet. Denn erstens lahmt bekanntlich die Konjunktur in Europa, zweitens birgt der drohende Irak-Krieg zusätzliche konjunkturelle Risiken, und drittens hat die EZB auch deshalb genug Spielraum für Leitzinssenkungen, weil sich die Inflationsgefahren in Grenzen halten.

Selbst die - infolge des drohenden Golfkrieges - exorbitant gestiegenen Rohölpreise bergen nur eine geringe Gefahr, Inflation zu importieren. Denn gleichzeitig ist der Euro gegenüber dem Dollar so stark wie seit vier Jahren nicht mehr, er wurde am Tag der Leitzinssenkung zum Beispiel bei 1,0988 Dollar gehandelt. Das macht die in Dollar zu bezahlenden Ölrechnungen erträglicher und federt die Inflationsrisiken ab.

Kursrutsch an den Börsen

Warum also nur ein kümmerliches Viertelprozentpünktchen? Diese Frage haben sich viele Akteure an den europäischen Kapitalmärkten gestellt, und ihre enttäuschte Reaktion war an den Kurstafeln abzulesen: Pünktlich zur Bekanntgabe der Zinsentscheidung rauschten die Kurse an den europäischen Börsen nach unten - man hatte schlicht und ergreifend mehr erwartet, einen mutigeren Schritt zur Stützung der europäischen Konjunktur.

Aber diese enttäuschten Hoffnungen waren auch unbegründet. Denn eine Zentralbank kann über ihre Geldpolitik keine Konjunkturpolitik betreiben. Impulse für die Konjunktur müssen von woanders kommen, zum Beispiel durch eine vernünftige Finanz-, Steuer- und Reformpolitik. Eine Zentralbank kann lediglich ein Signal setzen und auf eine gewisse psychologische Wirkung hoffen - einen Transmissionsriemen, der eine Zinssenkung automatisch in mehr Nachfrage, mehr Wachstum und mehr Beschäftigung umsetzt, einen solchen Transmissionsriemen gibt es leider nicht.

Trübe Aussichten

Denn was passiert, wenn eine Zentralbank ihre Zinsen senkt? Die Geschäftsbanken können sich billiger Geld ausleihen, können sich günstiger refinanzieren. Daran wollen sie kräftig verdienen, indem sie die Zinsen für die Einlagen ihrer Kunden sofort senken und sich mit der Senkung der Zinsen für Kredite sehr viel Zeit lassen. Doch selbst wenn dann die Kreditzinsen billiger werden: Kein einziger Unternehmer macht die Aufnahme eines Kredites für eine Investition von den Zinsen abhängig, sondern einzig und allein von seinen Absatzaussichten. Und die sind trübe - und bleiben auch trübe, solange die Gefahr eines Krieges am Golf über uns schwebt.

Das ist vermutlich auch der Grund, weshalb es die Europäische Zentralbank bei einem Tröpfchen auf einem heißen Stein belassen hat - sie will noch Pfeile im Köcher haben, wenn es wirklich ernst wird, wenn das, was EZB-Chef Wim Duisenberg als "geopolitische Spannungen" nennt, sich in kriegerischen Auseinandersetzungen entlädt. Wenn es so weit ist, werden wir vermutlich noch einmal eine Leitzinssenkung erleben, und sie wird vermutlich noch kräftiger ausfallen. Aber die Konjunktur ankurbeln wird sie trotzdem nicht. Da ist die Steuer-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik gefragt, die sich auch nicht unter dem Hinweis auf den Golfkrieg aus der Verantwortung stehlen darf.