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"Trauerweg"

10. November 2012

Von Pfarrer Max Koranyi, Königswinter

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Bild: Fotolia/X n' Y hate Z

Freiwillig wählt sich wohl niemand diese Fahrt aus. Und doch kommt unausweichlich irgendwann einmal für jede und jeden der Tag, an dem der lange Weg der Trauer beginnt. Diese Trauer – sie betritt unser Haus, wenn es Abschied zu nehmen gilt: Von Orten, von Lebensphasen, von Menschen – wohl der schmerzhafteste. Wie auf dem Grund eines Brunnens, in dem Dunkel der Zisterne ist der trauernde Mensch zunächst einmal völlig abgeschnitten von allem bisher Vertrauten.

Anschließend gerät der Trauernde in eine Wüste. Durch diese Einsamkeit schlängelt sich ein Fluss, der ausgetrocknet ist und dessen Wasser deshalb nicht mehr fließen kann. Trauernde Menschen erstarren oft äußerlich wie ein Zweig ohne Wasser immer zerbrechlicher wird. Auch sie fühlen sich dann ausgedorrt, weil sie die Erfrischung des gewohnten Alltags, die Zärtlichkeit eines nahen Menschen nicht mehr spüren können. Der kleinste Handgriff kann einen dann überfordern, weil nichts mehr so ist, wie es einmal war. Vom Fluss des Lebens fühlen sich diese Menschen abgeschnitten.

Und was passiert dann? Und wie geht es dann weiter? Ach, nichts Widersprüchlicheres als die Reise durch die Landschaften der Trauer. Noch eben fühlte sich der Verlassene, die Verwundete wie in einer leeren, trockenen Wüste. Jetzt plötzlich, ohne Übergang, befindet sich der trauernde Mensch im Mittelpunkt eines Vulkans. Ein unglaublicher Ausbruch droht einen bisher friedliebenden Menschen förmlich zu zerreißen: Wut auf den Verstorbenen, der einen allein, im Stich gelassen hat. Hass auf Gott, der nicht geholfen und sich damit scheinbar unpersönlich abgewandt hat. Und was muss man nicht noch alles aushalten: Über all dieser Gefühlshitze sieht der Mensch vom Vulkan aus in der Ferne die Stadt der Glücklichen. Dort erkennt der trauernde Mensch all das, was er nun verloren hat: Menschen also, die mit ihren Partnern ihr ganz normales Leben weiterführen. Ferienstimmung. Glück. Alles, was auch sein, auch ihr Leben bisher schön und reich und festlich gestaltet hatte: Vorbei, vorbei!

Der Mensch spürt: Im Moment ist ihm, ist ihr der Eintritt in diese Stadt der Glücklichen verwehrt. Noch verwehrt. Denn trotz des Ausgeschlossenseins verspürt der wütende Mensch nach einer verstrichenen Zeit, dass langsam, vorsichtig dann doch wieder Spuren einer neuen Lebenskraft in ihm heranwachsen, die offensichtlich selbst in den schlimmsten Momenten nie völlig aus ihm entwichen ist.

Noch aber ist das bunte Leben weit von ihm entfernt. Denn am Tränensee muss der Mensch noch vorbei. Völlig unmotiviert brechen sie hervor, die Tränen: Beim Einkaufen im Supermarkt, wo man die  Lieblingsspeise der Verstorbenen sieht, auf der Autofahrt, bei der man bei der Tankstelle vorbeikommt, an der man immer zusammen angehalten hat, im Büro, in dem auf dem Schreibtisch noch das Photo vom letzten Urlaub steht. Oft beginnen diese Tränen aber auch zu fließen ohne konkreten Anlass, aber dafür mit einem unbestimmten Gefühl, das den endgültigen Verlust  wie einen schneidenden Stich ins Herz bewusst werden lässt.

Allerdings weiß schon die Bibel zu erzählen, dass gerade Weinen die „Lebensbäche im Südland“ (Ps 126,4) wieder fließen lässt, und also die lähmende Starre sich durch sie zu  lösen beginnt: „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.“ (Ps 126,5f). Am Ende des Trauerweges hat der verlassene Mensch tatsächlich so manche „finsteren Täler“ (Ps 23,4) durchwandert. Und dennoch, nach quälenden Nächten und stummen Tagen erwartet ihn am Talausgang ein neues Licht. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass Jesus gerade die Trauernden selig nennt, weil sie von ihm getröstet werden. (Mt 5,4) In unserer sogenannten „Spaßgesellschaft“ findet öffentliches Trauern immer seltener statt. Es ist aber unumgänglich, um nach einem Abschied weiterleben zu können. Dieser Weg sieht natürlich bei jedem anders aus. Aber er wird begleitet von dem Trost, dass Jesus Trauernde auf ihrem schweren Weg nie allein lässt. 

Pfarrer Max Koranyi
Pfarrer Max KoranyiBild: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP)

Zum Autor Max Koranyi, Jahrgang 1952, ist Pfarrer in Königswinter im Rheinland. Seit er eine Zeitlang als „Austauschpfarrer“ in Ohio in einer Gemeinde der dortigen Partnerkirche gearbeitet hat, ist er der „United Church of Christ“ in den USA verbunden. Das übliche Gemeindeangebot hat er über die Jahre hin immer mehr erweitert: durch Spirituelles wie Fastenwochen, Salbungsgottesdienste oder meditative Andachten in seiner Gemeinde. Aber auch durch Kreatives und Komisches wie Theaterstücke für Ostern, Weihnachten und den rheinischen Karneval, dann oft auch gereimt.