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Trauer um Padre Sebastian Obermaier

Olga Yegorova5. August 2016

Der bayerische Pater starb am Dienstag im Alter von 81 Jahren an einem Herzinfarkt. 20.000 Bolivianer, darunter Präsident Evo Morales, würdigten ihn mit einem letzten Grüßgott.

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Trauernde Frau am Sarg von Obermaier (Foto: DW/O. Yegorova)
Bild: DW/O. Yegorova

Selbstbeweihräucherung war nie seine Stärke. Ob denn Papst Franziskus während seines Bolivien-Besuchs im Vorjahr sein Werk gewürdigt habe?, wurde er gefragt. "Wer bin ich denn? Ich bin ein ganz normaler Pfarrer, der seine kleinen Dinge tut", entgegnete der 81-Jährige einige Monate vor seinem Tod.

Die Dinge, von denen er sprach, sind jedoch alles andere als klein. Nach seinem elfjährigen Einsatz in Venezuela war der gebürtige Rosenheimer vor 38 Jahren nach Bolivien in die Stadt El Alto versetzt worden. Das heutige rotbraune Häusermeer wuchs seither vom 30.000-Seelen-Städtchen ohne Strom- und Wasserversorgung zu einer 900.000-Einwohner-Metropole. Das explosionsartige Wachstum der ärmlichen Stadt brachte soziale und infrastrukturelle Probleme. Diesen wirkte Obermaier beispielslos entgegen.

Der Priester entwarf und baute 72 Kirchen, die das heutige Stadtbild mit ihren bunten Zweibeltürmen prägen. Daneben gründete er 34 Schulen, sechs Waisenhäuser, ein Altenheim, eine Hilfseinrichtung für misshandelte Frauen, ein Gesundheitszentrum und einen Radio-Bildungskanal. Ein Großteil finanzierte er mit Spendengeldern, die seine Stiftung "Bolivienhilfe Padre Obermaier e.V" aus Deutschland einnahm.

Für seinen Einsatz im sogenannten "Gas-Krieg" von El Alto 2003 wurde Obermaier von den bolivianischen Medien zum "Mann des Jahres" gewählt. Bei den Protesten gegen die Erdgaspolitik starben 64 Menschen. Während der blutigen Unruhen holte der Priester Schwerverletzte, darunter auch Kinder, aus den Schusslinien.

Präsident Morales in der Kirche (Foto: DW/O. Yegorova)
Selbst Präsident Evo Morales (Mitte), sonst kein großer Kirchenfreund, zollte Obermaiers Lebenswerk seine HochachtungBild: DW/O. Yegorova

Riesige Anteilnahme

Beispielslos ist auch die Anteilnahme nach seinem Tod: Anlässlich der Bestattung marschierten am Donnerstagabend tausende Bolivianer - trauernd, weinend, dankend - durch das Viertel seiner Gemeinde. Darunter war der bolivianische Präsident Evo Morales. Er grenzt sich normalerweise von der katholischen Kirche ab, um den indigenen Urglauben des bolivianischen Volkes zu stärken. Das Lebenswerk des Bayern in Bolivien war diesmal allerdings bedeutender. "Er setzte sich für die Bevölkerung von El Alto und für die Allerschwächsten unter ihnen ein", so Morales in der Pfarrkirche, in der Obermaier am Donnerstagabend beigesetzt wurde.

Der hochrangige Besuch hätte Sebastian Obermaier zu Lebzeiten wahrscheinlich wenig gekümmert. Der Pfarrer war ein Mann der Basis, ein selbsternannter "Alteño", wie die Einwohner von El Alto sich nennen. Eine Ernennung zum Bischof lehnte er ab. In einem Zimmer mit Zementboden, Bett, Schrank und Schreibtisch lebte Obermaier 38 Jahre lang und gab Gerüchten zufolge 40 Euro monatlich für seinen Eigenbedarf aus. Jeglicher Überfluss, den ihm die Spendengelder ermöglicht hätten, ging an die meist indigene Bevölkerung von El Alto, deren Sprache Aymara Obermaier erlernt hatte.

Maruja, eine von tiefen Falten gezeichnete Aymara, erinnert sich mit Tränen in den Augen: "Einmal hörte ich Jungen zu ihm sagen: 'Padre, warum lassen Sie Ihre Schuhe nicht flicken?' Darauf antwortete er: 'Was ich habe oder nicht habe, spielt keine Rolle; Ihr seid von viel größerer Bedeutung.' Nichts hat er für sich behalten, alles verschenkt."

Angélica erlebte ihre Kommunion mit Padre Obermaier: "Ich hatte keine Eltern, Padre Obermaier war wie ein Vater für mich. Als meine Kinder zuviel weinten, ließ ich sie von ihm segnen. Als ich eine Krise mit meinem Ehemann hatte, half er uns, sie zu überwinden“.

Kirche mit Turm (Foto: Fundación Cuerpo de Cristo)
Eine der Dutzenden von Kirchen, die Obermaier in Bolivien hat bauen lassenBild: Fundación Cuerpo de Cristo

Er konnte auch schwierig sein

Wie für seine Gutmütigkeit war Obermaier aber auch für seine Härte bekannt. Das bezeugt Padre Pavel Padilla Caisari, der sich acht Jahre lang die Wohnung mit Obermaier teilte: "Nur wenige hielten es lange mit Padre Obermaier aus. Nach einem Jahr gratulierte er mir zu meinem Durchhaltevermögen", erzählt der Priester lächelnd. "Jeden Tag stand der Padre um 5 Uhr morgens auf. Manchmal machte er mich wütend. Nicht eine einzige Minute wartete er auf mich, wenn ich zu spät kam. Immer wieder belehrte er mich, nahm zum Beispiel an meinen Messen teil, um mir später zu zeigen, wie undeutlich ich redete. Wir stritten manchmal. Doch am nächsten Tag sagte er "Que viva la vida", es lebe das Leben, und alles war vergessen. Im Großen war er ein großer Meister für mich", gesteht der Priester ein.

An Rente war nie zu denken. Auch nach seinem 80. Geburtstag, den Obermaier im vergangenen Jahr in El Alto feierte, kündigte der Pfarrer an, bis zum letzten Tag an seinen Projekten zu arbeiten und seiner Mission zu dienen. So ist es gekommen. Am Dienstag um sechs Uhr in der Früh saß Sebastian Obermaier, gekleidet für die morgendliche Messe, am Frühstückstisch - mit vielleicht zum ersten Mal um die Uhrzeit geschlossenen Augen.

Zwei Tage später beginnt Padre Padilla Caisari die Trauerzeremonie mit den Worten "¡Que viva la vida!"