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Hypnose - ein Selbstversuch

Larissa Warneck
22. Februar 2018

Früher glaubte ich, dass Hypnose Hokuspokus ist. Etwas, das esoterische Menschen mit Pendeln machen. Im Selbstversuch merkte ich jedoch, dass medizinische Hypnose tatsächlich funktionieren kann.

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Hypnose mit Taschenuhr
Bild: Colourbox

Der Wartebereich der Hochschulambulanz für Naturheilkunde in der Berliner Charité besteht aus ein paar Holzstühlen, die an die graue Wand des Flures geschraubt sind. Auf dem braunen Linoleumboden spiegelt sich das grelle Licht der Deckenbeleuchtung. Ab und zu kommen kleine Grüppchen durch die schwingende Glastür - ein altes Ehepaar stützt sich gegenseitig; zwei Studentinnen unterhalten sich lauthals über die Klausur; ein kleines Kind turnt auf der Treppe herum, seine Mutter folgt ihm mit besorgtem Blick.

Ich bin ganz schön aufgeregt. Interviews habe ich schon viele geführt, aber sich hypnotisieren zu lassen, das macht man nicht alle Tage. Ich frage mich, wovor ich Angst habe. Ist es die Angst vor dem Ungewissen? Die Angst davor, die Kontrolle über mein eigenes Denken, meine eigenen Handlungen zu verlieren - die Zügel meines ganzen Seins in die Hände eines Fremden zu geben? Sofort versuche ich meine Gedanken zu beschwichtigen: Der Mann ist Arzt und hat das mit der Hypnose schließlich gelernt und bestimmt schon 1000 Mal gemacht.

Wozu dient die Hypnose?

Die Glastür schwingt wieder auf, diesmal kommt ein Mann auf mich zu. Er lächelt freundlich und streckt mir die Hand entgegen: "Michael Teut, schön, dass Sie da sind." Ich erwidere den Händedruck. Seine ruhige, vertrauenserweckende Art löst meine Anspannung ein wenig. Ich folge ihm in das Sprechzimmer.

Seit vielen Jahren schon ist Michael Teut als Oberarzt in der Charité Hochschulambulanz für Naturheilkinde tätig. Eigentlich hat er einen Facharzt in Allgemeinmedizin und Homöopathie. Auf einem Kongress sei er dann aus Interesse zu einer Hypnosefortbildung gegangen und das habe ihm dann so gut gefallen, dass er eine Ausbildung machte.

Infografik Hypnose DEU

"Viele Patienten kommen zu mir, weil sie gestresst und erschöpft sind. Sie wollen in der Hypnose entspannen, andere Perspektiven entwickeln und innere Kraftquellen aktivieren", erzählt Teut. Außerdem werde die Hypnose zur Unterstützung von Psychotherapien verwendet, zum Beispiel zum Entspannen und um Verhaltensänderungen zu unterstützen.

Beim Arzt könne die Hypnose unterstützend eingesetzt werden. Unter anderem bei der Rauchentwöhnung, bei Reizdarmsyndromen, Schmerzen, Schlafstörungen oder zur Unterstützung von Verhaltensänderungen, wie der Ernährung und Bewegung. "Einen besonderen Stellenwert nimmt die Hypnose in der Begleitung von medizinischen Operationen ein, wo Ängste vermindert und vertrauen aufgebaut werden können", erklärt Teut. 

Der Selbstversuch beginnt

Ob ich ihm ein Anliegen mitgebracht habe, möchte der Arzt und Hypnotherapeut wissen. Ich nicke. "Ich knabbere oder knibble manchmal an den Fingernägeln", sage ich. Damit könne man gut arbeiten, erwidert er. Jedoch sei eine Sitzung für die vollständige Abgewöhnung nicht genug.

Obwohl man die Hypnose auch im Liegen durchführen kann, soll ich es mir jetzt auf meinem Stuhl bequem machen und mir einen Punkt an der Wand aussuchen. Auf einem Regal liegt eine Pflasterrolle aus grünem Plastik. Diese such ich mir als Anhaltspunkt aus. "Während Sie auf den Punkt schauen, kann es sein, dass der Blick etwas verschwimmt und die Augen vielleicht schon etwas schwerer und müder werden", höre ich die ruhige Stimme des Hypnotherapeuten sagen. Prompt, fangen meine Augen an zu tränen und mein Blick an zu verschwimmen.

Ich sehe nur noch die Pflasterrolle. Um sie herum wird alles dunkel, als würde ich durch ein Papprohr blicken.

Hypnose
Wer sich hypnotisieren lassen will, sollte unbedingt zu einem Hypnotherapeuten gehen, der einer anerkannten Gesellschaft angehörtBild: Colourbox

Die Trance - wie beim Einschlafen

Ich soll auf meine Atmung achten, Geräusche, Gedanken und Gefühle, wie Wolken an mir vorbeiziehen lassen und kann mir erlauben, mich "treiben zu lassen, tragen zu lassen und loszulassen", so die Stimme. Immer tiefer und tiefer führt sie mich in die Trance hinein. Es fühlt sich ein bisschen so an als würde ich langsam einschlafen. Ich nehme zwar noch meinen Körper wahr und höre das Brausen der Autos auf der Straße, doch das alles erscheint weit weg.

In meinem Gehirn spielt sich in diesem Moment etwas Erstaunliches ab. Mit verschiedenen bildgebenden Verfahren haben Wissenschaftlicher gezeigt, dass das Gehirn bei der Hypnose seine Aktivität langsam herunterfährt. Beispielsweise misst das Elektroenzephalogramm (EEG) die Gehirnaktivität im Wachzustand in schnellen Frequenzen, sogenannten Beta-Wellen. Sobald wir unsere Augen schließen, unsere aufregende Umwelt hinter den Augenlidern verschwindet und unser Körper sich entspannt, zeigt das EEG plötzlich ganz andere Wellen an.

"Bei der Hypnose fällt die neuronale Aktivität und das zeigt sich im EEG in Alpha- und Theta-Wellen", erklärt Wolfgang Miltner, Seniorprofessor für klinische Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. "Je niederfrequenter das EEG, desto stärker ist der Trance-Zustand".

Die Trance sei eigentlich gar nichts Besonderes, fügt Teut hinzu. "Den Trance-Zustand kennen die meisten Menschen, ohne ihn bewusst benennen zu können. Zum Beispiel, wenn man im Zug sitzt, aus dem Fenster blickt und die Landschaft an einem vorbeizieht. Der Blick verschwimmt irgendwann und man fängt an zu Träumen. Auch das ist eine Art von Trance."

Mein Wohlfühlort

Schritt für Schritt führt mich die Stimme weiter in die Entspannung: "Stellen Sie sich nun eine Treppe vor, die zu Ihrem Wohlfühlort führt". Das Bild einer metallenen Wendeltreppe treibt an die Oberfläche meines Bewusstseins. Ich spüre das kalte Metall des geschwungenen Treppengeländers unter meiner Hand, sehe die verwobenen Ornamente und zierlichen Gravuren.

Dr. Michael Teut
Michael Teut ist als Oberarzt in der Charité Hochschulambulanz für Naturheilkunde tätigBild: Privat

Langsam steige ich die Treppe hinauf. Die Stimme sagt mir, dass ich mit jeder Stufe etwas mehr loslassen soll. "Am Ende der Treppe sehen Sie einen Koffer", vor meinem geistigen Auge erscheint auf dem obersten Treppenabsatz ein kleiner roter Reisekoffer. "In diesen Koffer können Sie alles ablegen, was Sie davon abhält, noch tiefer in Trance zu sinken". Ich haste die letzten Stufen hinauf und schmeiße alles hinein: meine Handtasche, die mich immer nervt, weil sie ständig im Weg ist, meinen Laptop, weil er mich an das Arbeiten erinnert und mein Handy, damit ich an meinem Wohlfühlort nicht mehr erreichbar bin. Dann trete ich über die Türschwelle.

Der Raum ist hell. Durch ein großes Fenster fällt das Sonnenlicht auf ein großes Bett. Weiße Leinenvorhänge flattern in einer leichten Brise, die durch das offene Fenster hereinkommt. In einer Ecke des Raumes steht eine grüne Palme.

Ein goldener Schimmer liegt in der Luft. "Sie setzten sich auf Ihren Lieblingsplatz", höre ich die Stimme sagen. Ich bewege mich automatisch zum Fenster. Das Fensterbrett ist so breit, dass ich bequem darauf sitzen kann.

Der rote Knoten

"Und nun möchte ich Sie bitten, dass Sie sich an eine Situation erinnern, in der Sie dieses Verhalten, das sie verändern möchten schon einmal hatten", sagt die Stimme. Ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt. Mir wird kalt.

"Dann können Sie einmal aus der Trance heraus diese Handbewegung einmal in Zeitlupe durchführen, wenn Sie knibbeln oder an den Fingernägeln kauen". Ich merke, wie meine Finger automatisch gehorchen und der Daumen meiner rechten Hand anfängt, an der Haut des Mittelfingers zu kratzen und die Nagelhaut zurückzuschieben. Ich soll mir jetzt überlegen, in welchen Situationen ich das mache. Die Stimme bittet mich, meine Gedanken zu schildern. "Wenn ich gestresst bin", höre ich mich murmeln. "Wieso?", will die Stimme wissen. Ich antworte, dass ich damit überschüssige Energie loswerde. "Wo verspüren Sie diese Energie?", fragt die Stimme. "Im Bauch", sage ich. Gleichzeitig merke ich, wie sich in meinem Magen ein schwerer Knoten bildet.

Die Stimme fragt, welche Farbe der Knoten hat. "Rot", sage ich automatisch. Von weit, weit weg, fragt sich mein Bewusstsein, woher ich das weiß. "Dann überlegen Sie, was dieser Knoten bräuchte, um gelöst zu werden", sagt die Stimme ruhig. "Ich müsste ein bisschen durchatmen", nuschle ich. Sofort fordert die Stimme mich auf, das mal auszuprobieren.

Ich atme tief ein und wieder aus. Ich merke, wie meine Anspannung sich langsam löst. Ob diese Entspannung eine Farbe hat, will die Stimme wissen. "Hellgelb", antworte ich und im gleichen Moment verspüre ich wieder diese Neugier, denn ich bin von meiner Antwort selbst überrascht.

"Lassen Sie sich von diesem Hellgelb, von dieser Entspannung tragen", empfiehlt die Stimme. "Ganz automatisch kann ihr Nervensystem, kann das Körpergedächtnis von dieser Haltung, diesem Atmen, diesem Hellgelb lernen." Nun könne ich auch den Daumen und Zeigefinger einer Hand zusammenführen und mir erlauben, dass diese Entspannung intensiviert und verankert werde.

Was passiert da in unserem Gehirn?

Diese Empfehlung ist eine sogenannte Suggestion. Ein Vorgang, für den man im Trance-Zustand sehr empfänglich ist und bei dem die Gefühle, das Verhalten und die Gedanken einer Person durch einen Hypnotherapeuten geleitet werden können.

"Die Suggestion beeinflusst tatsächlich die Hirnregionen, die für eine bestimmte Aufgabe tätig sind. Das Gehirn tut bei der Hypnose das, was es angeregt wird zu tun", erklärt Miltner. "Prozesse der Informationsverarbeitung werden hierbei beeinflusst und umgesetzt".

An der Universität in Jena erforschen Milter und sein Team die Wirkung von Hypnose bei Schmerzen. In einem Experiment gaben sie den hypnotisierten Versuchspersonen Schmerzreize auf den Finger. Nach nur 150 bis 300 Millisekunden zeigten bildgebende Verfahren eine starke Antwortreaktion im Gehirn. Im nächsten Schritt gab der Hypnotherapeut die Suggestion: "Stellen Sie sich vor, Sie nehmen Ihre Hand und schieben diese in einen Handschuh, der mit kühlender Flüssigkeit gefüllt ist. Die Flüssigkeit betäubt die Haut und sie spüren den Schmerz nicht mehr".

"Es geschieht dann, dass der Schmerzreiz tatsächlich nicht mehr wahrgenommen wird, obwohl er regelmäßig gegeben wird", schildert Miltner. "Man sieht eine deutliche Reduktion der Aktivität im somatosensorischen Cortex. Also dort, wo der Schmerz normalerweise wahrgenommen wird."

In wissenschaftlichen Kreisen weiß man, dass Prozesse im hypnotisierten Gehirn, ähnlich denen sind, die im entspannten Zustand ablaufen.

"Es sind also vorwiegend Gehirnstrukturen involviert, die uns beruhigen. Dazu gehören etliche Neurotransmitter, wie GABA, das dafür sorgt, dass wir uns entspannen", so Miltner. "Eine Art Dirigent für unsere neurologischen Aktivitätszustände ist der Hypothalamus. Das ist eine Struktur, die dafür sorgt, dass wir langsamer atmen und unser Blutdruck abfällt. Durch Suggestion wird der Hypothalamus aktiviert. Dabei laufen ähnliche Vorgänge ab, wie beim Einschlafen oder bei der Einnahme von Beruhigungsmitteln."

Ein schnelles Erwachen

Ich fühle mich wieder entspannt. Nach der kurzen Aufregung um den roten Knoten, hat sich mein Herzschlag wieder beruhigt. Meine Augen sind immer noch geschlossen, die Arme liegen schlapp auf der Lehne und meine Oberschenkel sind schwer auf der Sitzfläche des Stuhls. Die ruhige Stimme sagt mir, dass ich diese Entspannungsübung immer durchführen soll, wenn ich Stress verspüre. "Dann kann Ihr Körper sich automatisch daran erinnern und loslassen." Unterstützen könne ich das, indem ich wieder Daumen und Zeigefinger einer Hand zusammenführe um die Entspannung zu vertiefen.

Allmählich soll ich mich darauf vorbereiten, meinen Wohlfühlort zu verlassen. "Nehmen Sie aus dem Koffer mit, was Sie wollen", sagt die Stimme. Ich laufe schnurstracks an ihm vorbei. Die Sachen hole ich später ab, denke ich.

Die Stimme des Hypnotherapeuten wird jetzt lauter: "Von Treppenstufe zu Treppenstufe kehren Sie langsam in diesen Raum und diese Zeit zurück." Ich merke, dass die Stimme wieder Form annimmt. Langsam verstehe ich, dass sie Michael Teut angehört. Er zählt nun schnell und immer lauter werdend von null bis zehn.

Als ich meine Augen öffne, dauert es eine Weile, bis ich mich an das Licht und die Geräusche gewöhne. Alles erscheint heller und lauter. Mein Blick ist verschwommen - als wäre ich gerade erst aus einem tiefen Schlaf erwacht. "Was für ein Erlebnis", höre ich mich sagen. "Ich wusste gar nicht, dass ich diesen Raum in mir habe."

Eine unbegründete Angst

Die Angst vor dem Ungewissen, die ich vor knapp 30 Minuten noch verspürte, erscheint jetzt überflüssig. Der befürchtete Kontrollverlust blieb aus. "Anders als in der Show-Hypnose, gibt es in der medizinischen Hypnose auch keinen Kontrollverlust", erklärt Teut. "Der Trance-Zustand ist dafür da, dass Therapeut und Patient zusammenarbeiten.

Es entsteht ein offener, kreativer Dialog, in dem der Patient etwas Neues für sich entdeckt. Und der Hypnotherapeut begleitet ihn dabei."

Zwischen 70 und 200 Euro kostet eine Hypnotherapiestunde im Durchschnitt. Im Rahmen der Psychotherapie wird die Hypnose auch teilweise von den Krankenkassen bezahlt. Wer sich jedoch hypnotisieren lassen will, sollte unbedingt zu einem Hypnotherapeuten gehen, der einer anerkannten Gesellschaft angehört. Da gibt es beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie, die Milton Erickson Gesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Ärztliche Hypnose und Autogenes Training. "Diese Gesellschaften haben auch Mitgliederverzeichnisse. Dort kann man sich über die gut ausgebildeten Hypnotherapeuten in Wohnortnähe informieren", betont Teut.