Trailer zu Sean Penns Ukraine-Doku "Superpower"
25. August 2023Es klingt zynisch: Ausgerechnet die schreckliche politische Weltlage gibt dem Dokumentarfilm "Superpower" eine unvorhergesehene Relevanz. Sean Penn und sein Co-Regisseur Aaron Kaufman wollten ursprünglich einen Film über Wolodymyr Selenskyjs ungewöhnliche Karriere vom Komiker zum Präsidenten der Ukraine drehen; ein Schauspieler, der einst in einer TV-Serie einen Lehrer spielte, der plötzlich Präsident wird; der bei den Präsidentschaftswahlen 2019 zwar knapp 73 Prozent der Stimmen erhielt, weil er nicht zur korrupten Politelite zählte, dem ein Großteil der Bevölkerung aber dennoch nicht viel zutraute.
Während die Corona-Pandemie das Filmprojekt verzögerte, spitzte sich die politische Lage zu. Im Herbst 2021 beginnen die Dreharbeiten, und als Putins Truppen wenige Monate später an der Grenze aufmarschieren, bespricht sich Sean Penn in Los Angeles mit seinem Team und Beratern. In der Nacht der russischen Invasion ist Penn in Kiew, überwältigt vom Geschehen und kurz darauf tief beeindruckt vom Präsidenten, der ein für den 24. Februar 2022 zugesagtes Treffen trotz des Kriegsbeginns einhält.
Penn wird Zeuge einer unverhofften Wandlung des Präsidenten zum Hoffnungsträger einer noch jungen und in ihrer Existenz bedrohten Nation. "Mutig und bewegend", sagt er nach dem kurzen Austausch mit Selenskyj bewundernd.
Beeindruckt von der geeinten Nation
Penn gibt überraschend offen zu, nur wenig über die Situation in Osteuropa gewusst und erst später von der Bedeutung des Euromaidan, den Protesten hunderttausender EU-freundlicher Ukrainerinnen und Ukrainer, erfahren zu haben. Der Kampf für Freiheit beeindruckt ihn ebenso wie die neue Einheit der ukrainischen Bevölkerung, die "Superpower" - "etwas, das uns verloren gegangen ist", sagt er mit Blick auf die politisch gespaltenen USA wehmütig.
Die Invasion Russlands in die Ukraine ereignete sich genau vor anderthalb Jahren. Das Kriegsgeschehen ist umfassend dokumentiert: In Reportagen liefern Korrespondentinnen und Korrespondenten fast täglich erschütternde Einblicke. Welche neuen Zugänge kann ein Dokumentarfilm da noch liefern?
Im Vordergrund steht das eigene Erleben
Auf der Pressekonferenz zur Weltpremiere forderte Sean Penn auf der Berlinale im Februar 2023, die Ukraine müsse mit Langstreckenwaffen ausgerüstet werden. "Es ist kein ambivalenter Film, weil es kein ambivalenter Krieg ist", sagte der Regisseur auf die Frage, warum "Superpower" einseitig die Haltung der Ukraine abbilde.
Penn ist kein Chronist, der Distanz hält und die Bilder und Menschen für sich sprechen lässt. Er macht sich selbst zum Protagonisten, er ordnet ein, urteilt, netzwerkt. Im Journalismus sind sogenannte On-Reportagen, bei denen der Berichterstatter zum Gegenstand wird, umstritten: Geht es hier um Selbstdarstellung oder kann das Publikum durch die persönliche Einbeziehung tatsächlich anders emotionalisiert werden?
In den USA wurde in den 1970er-Jahren der Begriff vom "Gonzo-Journalismus" geprägt, der in radikaler Subjektivität das eigene Erleben in den Vordergrund stellt. Es ist müßig, einem Superstar Selbstdarstellung vorwerfen, doch so zentral, wie Penn die Leinwand füllt, wird das Genre selten auf die Spitze getrieben.
Andauernd stehen Cocktails auf dem Tisch, halb gefüllte Whiskygläser, eine Flasche Wodka. Sean Penn wirkt mit verlebtem Gesicht, zerzausten Haaren und Kippe im Mund wie ein Abbild des Marlboro-Manns, der gekommen ist, um die Welt zu retten. Er habe im Film nur seine Gewohnheiten beibehalten, sagte er auf der Berlinale. An manchen Stellen wirkt die Inszenierung dennoch deplatziert.
Als Irina Wereschtschuk, stellvertretende Ministerpräsidentin der Ukraine, am 24. Februar 2022 vor die Kameras tritt, sitzt Penn mit Sonnenbrille in der ersten Reihe des Presseraums. Die Ausreise einen Tag später mit dem Auto über Lwiw in Richtung Polen ist mit treibenden Beats unterlegt, auf der Leinwand erscheint die Info, dass die Crew nur zwei Stunden geschlafen habe.
Mutig oder überflüssig?
Was wir sehen, ist ein Hollywood-Star, dem der rote Teppich ausgerollt wird - bis an die Frontlinie. Aus Sicht der Ukraine ist das nachvollziehbar. In einem Krieg, der wie keiner zuvor von Bildern und sozialen Medien geprägt ist, braucht ein Land in der Defensive jede Aufmerksamkeit. Auch Ben Stiller oder US-Late-Night-Legende David Letterman besuchten Selenskyj schon in Kiew.
Was aber wollen die Filmemacher beweisen? Als es ihn im Donbass an die vorderste Verteidigungslinie drängt, wird Penn darauf hingewiesen, dass seine Sicherheit nicht garantiert werden könne. Er geht trotzdem. Ist das mutig oder überflüssig? Fühlen die Soldaten sich geehrt, dass er sich zu ihnen traut oder ist seine Visite eher eine Belastung, weil sie nun nicht nur den nahen Fluss schützen müssen, sondern auch noch den berühmten Gast? Der Abstecher liefert vor allem heroische Bilder von Penn, der im Graben hockt, mit Helm, Schutzweste und Ray Ban.
Der Hauptdarsteller von "Superpower" ist nicht Wolodomyr Selenskyj, es ist auch nicht das Volk der Ukraine - es ist allein Sean Penn. Im Sommer 2022 trifft er Selenskyj erneut in Kiew. Sie sitzen in einem herrschaftlichen Garten, die Buchsbäume sind sauber in Form gebracht, die Sonne scheint. Etwas pathetisch erinnert Penn an das erste Treffen in einem kleinen fenster- und schmucklosen Raum am 24. Februar: "Ich habe in Ihren Augen gesehen: Sie sind geboren für diesen Moment."
Wolodymyr Selenskyj reagiert darauf freundlich und bescheiden. "Wer nicht bereit für den Sieg ist, der muss nicht kämpfen", sagt der Präsident. Es hätte ein Schlusswort sein können für den Film, doch Penn zieht es vor, ihn vor der heimischen Bücherwand mit seinen eigenen Gedanken zu beschließen.