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Toter Halbgott Pantani

Tom Mustroph20. Mai 2014

Marco Pantani ist seit 10 Jahren tot, und doch ist er beim diesjährigen Giro d'Italia gegenwärtig. Die Italien-Rundfahrt ehrt ihren gefallenen Helden, indem sie Orte seiner Karriere abfährt.

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Marco Pantani jubelt beim Giro 1999. Foto: dpa-pa
Bild: picture-alliance/dpa

"Pantani immer vorn" stand auf einem großen rosa Transparent ganz in der Nähe des Cippo di Carpegna, als der 97. Giro d'Italia am Wochenende dort seine Aufwartung machte. Der Cippo ist eng mit Pantani verbunden. Auf dieser nur sechs Kilometer langen, aber sehr steilen Rampe probte "Il Pirata" (der Pirat) seine Attacken am Berg. "Der Cippo reicht mir", pflegte er zu sagen, wenn er auf Trainingslager der Konkurrenten in den Alpen oder den Anden angesprochen wurde. Überlebensgroße Silhouetten des glatzköpfigen Kletterers säumen jetzt die 22 Kurven. Kurz bevor das Peloton sie passierte, waren schon Tausende Amateure den Anstieg hinauf geradelt.

Radsport trotz Diabetes

"Der Aufstieg war eine großartige Sache. Es raubt dir den Atem, wenn du weißt, dass ein großer Champion hier hoch gefahren ist", sagt Maurizio Casconi. Natürlich hielt er an einem Pantani-Aufsteller an, um sich fotografieren zu lassen. Der Mittvierziger, gleicher Jahrgang wie Pantani, gehört zu einer ganz besonderen Gruppe von Radamateuren: Sie sind alle zuckerkrank (Diabetes Typ 1) und betreiben trotzdem Radsport. Das hat einen doppelten Grund: Der Sport macht ihnen Freude, und er hilft gegen die Auswirkungen der Krankheit.

Marco Pantani auf einer Giro-Bergetappe. Foto: dpa-pa
Am Berg war "Il Pirata" kaum zu schlagen, 1998 gewann er erst den Giro, dann die Tour de FranceBild: picture-alliance/dpa

"Je mehr du dich bewegst, desto geringer wird der Blutzuckerspiegel, weil der Zucker stärker abgebaut wird. Wenn man kontrolliert dabei vorgeht, kann man alles essen“, sagt Casconis Leidens- und Sportgefährte Franco Benetti. "Der Sport hilft dir, ein normales Leben zu führen." Natürlich müssen Benetti und Casconi stets ihren Blutzuckerspiegel kontrollieren. Bei Rennen halten sie deshalb an, stechen sich in den Finger, nehmen Blut ab und führen vor Ort die Analyse aus. Sie wissen, dass manche Profis dies auch machen. Insulin gehörte etwa zu den Standardgaben des spanischen Dopingarztes Eufemiano Fuentes an seine Klienten aus dem Profigeschäft. Die Zuckerkranken empört dies.

"Es wussten ja alle"

"Das sind Kriminelle. Ich muss das nehmen, um gesund zu bleiben", meint Benetti. "Die nehmen das, um zu dopen, um mehr Muskelmasse aufzubauen. Die müssten einmal an dieser Krankheit leiden, damit sie wissen, was sie tun." Dass ihr Idol Marco Pantani auch ein Fuentes-Kunde war, schmälert ihre Bewunderung nicht. Für sie ist Pantani einer, der früh zum Sündenbock gemacht wurde und so auf die Abwärtsspirale geriet. Pantani starb am 14. Februar 2004 in einem Hotel in Rimini an einer Überdosis Kokain.

Die Gruppe der zuckerkranken Amateurfahrer hat sogar ihre eigene Verschwörungstheorie parat. "Pantani war ein Rädchen im System, allerdings eines, das das System erschüttern wollte“, sagt Sergio Bardeggio, der Älteste der Gruppe, der seit 25 Jahren Radsport betreibt. "Wenn einer eine Bergetappe gewinnt, nachdem er einen Kettenschaden hatte und mehrfach gestürzt ist, dann ist das, als würde Ferrari die Formel 1 mit einer Runde Vorsprung gewinnen. Das will niemand, weil sich dann niemand mehr dafür interessiert. " Pantani sei vom System verbrannt worden, glaubt Bardeggio. "Es wussten ja alle Bescheid, was er macht, auch über seinen hohen Hämatokrit-Wert von 51 Prozent."

Marco Pantanis Sarg wird 2004 durch Cesenatico getragen. Foto: dpa-pa
In seiner Heimatstadt Cesenatico nahmen 2004 Zehntausende Fans Abschied von PantaniBild: picture-alliance/dpa

Zu spät an der Reihe?

Für Eugenio Capodacqua, den Nestor der italienischen Radsportjournalisten, ist das "vollkommener Quatsch". Capodacqua glaubt nicht an eine Verschwörung gegen Pantani, weil er angeblich irgendwelchen Mächten im Radsport in die Quere gekommen ist. "Er war doch die Henne, die goldene Eier legt. Jeder konnte an ihm verdienen, die Rennorganisatoren, die Sponsoren, die Merchandising-Firmen." Dafür, dass Pantani beim Giro d‘Italia 1999 wegen eines erhöhten Hämatokrit-Wertes aus dem Rennen genommen wurde, gebe es möglicherweise eine ganz einfache Erklärung: "Pantani war bei den Dopingtests als einer der letzten an der Reihe. Andere Fahrer hatten sogar darauf gedrängt, dass er kontrolliert wird. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich vielleicht die Wirkung des Blutverdünners verringert, mit dem der Hämatokrit-Wert manipuliert wurde“, sagt der Journalist der Zeitung "La Repubblica". "Das ist nur eine Hypothese, aber für mich die wahrscheinlichste Erklärung."

Pantani auf einer Stufe mit Maradona

Trifft dies zu, dann hätte Pantani nur Pech gehabt. Simples Pech beim Betrügen ist aber nicht standesgemäß für ein Idol wie Pantani. Und so erzählen sich die Fans lieber Geschichten wie die vom Straßenräuber Renato Vallanzasca. Der gab in einem Buch zu Protokoll, dass illegale Wettbüros aus Angst, bei einem Giro-Sieg Pantanis 1999 wegen der fälligen Gewinnauszahlungen pleite zu gehen, einen vorzeitigen Ausstieg des souverän Führenden arrangiert hätten. Vallanzasca behauptete, ihm sei angeboten worden, mit einer Wette gegen Pantani viel Geld zu verdienen.

Pantani hat in Italien mittlerweile den Status eines Sagenhelden angenommen, allenfalls vergleichbar mit dem argentinischen Fußballstar Diego Maradona, der in Italien spielte und dort nach wie vor verehrt wird. Kein Wunder also, dass die Giro-Organisatoren auf der Pantani-Welle mitschwimmen. Eine Woche nach der Etappe auf seinen Trainingsberg Cippo di Carpegna werden weitere Orte angefahren, in denen Marco Pantani einst triumphierte, wie Oropa oder Montecampione.