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Tiphagne: Preis von Amnesty International sehr hilfreich

Srinivas Mazumdaru25. April 2016

Der indische Menschenrechtsaktivist Henri Tiphagne wird am Montag in Berlin mit dem Menschenrechtspreis von Amnesty International ausgezeichnet. Die DW sprach mit ihm über die Hürden für Aktivisten und NGOs in Indien.

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Henri Tiphagne (Foto: Oliver Wolff, Amnesty International)
Bild: Oliver Wolff, Amnesty International

Deutsche Welle: Was bedeutet die Auszeichnung mit dem Menschenrechtspreis von Amnesty International für Sie persönlich und für Ihre Arbeit?

Auszeichnungen und Belohnungen sind auf dem Gebiet der Menschenrechte normalerweise nicht üblich. Deshalb war ich sehr überrascht. Ich nehme die Auszeichnung stellvertretend für viele meiner Mentoren an, die meisten von ihnen aus Indien, die für die Menschenrechte gearbeitet haben und ohne Anerkennung gestorben sind.

Außerdem betrachte ich diese Auszeichnung auch als Anerkennung einer Reihe von Menschenrechtsaktivisten aus verschiedenen Teilen Indiens, deren Namen, Gesichter und Arbeit den allermeisten nicht bekannt sind.

Diese Menschen mussten viele Hürden überwinden und haben ihren Preis dafür gezahlt, dass sie für den Schutz der Menschenrechte eingestanden sind.

Was hat Sie dazu gebracht, sich dem Kampf für die Menschenrechte zu verschreiben?

Bevor ich das Thema Menschenrechte für mich entdeckte, lag eine lange Reise auf der Suche nach Gerechtigkeit in der Gesellschaft hinter mir. Damals war ich mir über den Inhalt des Begriffs Menschenrechte noch nicht im klaren. Meine Reise als Aktivist begann in den 70er Jahren. Ich war damals Student und mir wurde klar, dass mehr für soziale Gerechtigkeit getan werden musste. Dieses Bedürfnis, den Ärmsten der Armen soziale Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, mündete dann letztendlich in der Arbeit für den Schutz der Menschenrechte.

Eine große Rolle spielte auch meine Mutter, die aus Frankreich alleine nach Indien ging, um dort Leprakranken zu helfen, und mich adoptiert hat. Ihr Dienst an den Kranken gab mir den Impuls für die Suche nach Gerechtigkeit. Später hat mich der Studentenbund "All India Catholic University Federation" stark geprägt, er war sehr wichtig für meine Entwicklung zum Menschenrechtsaktivisten.

Henri Tiphagne
Tiphagne: Aktivisten werden durch juristische Schikanen behindertBild: Oliver Wolff, Amnesty International

Mit welchen Schwierigkeiten haben Menschrechtsaktivisten heutzutage in Indien vor allem zu kämpfen?

An erster Stelle steht die Kriminalisierung der Menschenrechtsarbeit. Beispielsweise werden Anklagen aufgrund falscher Beschuldigungen erhoben. Wenn Sie protestieren und Kritik an der Politik der Regierung kundtun, müssen Sie sich auf eine Prozesslawine gefasst machen. Dass die Beschuldigungen aus der Luft gegriffen sind, ergibt sich aus der Art der Anklagen, als da sind: Volksverhetzung, bewaffneter Aufstand gegen den Staat, Kriegsführung gegen den Staat, etc.

Das zweite Problem für die Menschenrechtsaktivisten bezieht sich auf Folter – physische und psychische. Verschiedene Mittel werden eingesetzt, um Menschen zu bedrohen und sie davon abzuhalten, mit ihrer Arbeit weiterzumachen.

Das dritte Problem besteht vor allem für Frauen, nämlich die Diskreditierung ihrer Arbeit und Person. Dazu gehören auch sexuelle Anspielungen. Nicht nur wird ihre Arbeit herabgewürdigt, sondern auch sie als Personen.

Die heutige indische Regierung greift darüber hinaus auf verschiedene gesetzliche Hebel zurück, um die Arbeit von Menschenrechtsaktivisten zu behindern und zu erschweren. Hier geht es vor allem um Einschränkungen der Versammlungs-, Meinungs- und Vereinigungsfreiheit.

Die Regierung von Ministerpräsident Marendra Modi steht wegen wachsender Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten und Oppositionellen in der Kritik. Ihr wird auch vorgeworfen, in Indien tätige Nichtregierungsorganisationen enger an die Leine zu nehmen. Was ist Ihre Haltung dazu?

Ich stimme dieser Kritik zu, allerdings muss man sagen, dass die Einschränkungen für Organisationen der Zivilgesellschaft bereits vor dem Amtsantritt von Modi begonnen haben. Auch die Kongress-Regierung hat ähnliche Einschränkungen erlassen. Ich will also nicht die gesamte Schuld der aktuellen Regierung anlasten, denn sie agiert im Sinne bereits früher getroffener Entscheidungen. Fest steht aber, dass die jetzige Regierung diese Restriktionen noch mal sehr stark angezogen hat, und das hat zu der Intoleranz beigetragen, die das ganze Land erfasst hat und sich auf verschiedenste Art und Weise äußert.

Narendra Modi macht ein Selfie (Foto: picture alliance/AA/M. Aktas)
Unter Modi habe Politik der Intoleranz sich verschärft, sagt TiphagneBild: picture alliance/AA/M. Aktas

Was müsste sich ändern, damit sich die Arbeitsbedingungen für NGOs und Aktivisten in Indien verbessern können?

Erstens, Indien ist stark von Institutionen geprägt. Wir dürften mit rund 170 Menschenrechtsorganisationen auf nationaler und Bundestaatsebene weltweit einzigartig dastehen. Allerdings hat die Regierung es versäumt, die Unabhängigkeit aller dieser Organisationen zu gewährleisten. Deshalb müssen diese Institutionen, angeführt von der Nationalen Menschenrechtskommission (NHRC), sofort eingreifen und dafür sorgen, dass Menschenrechtsaktivisten ihre Versammlungs-, Meinungs- und Vereinigungsfreiheit über Organisationen der Zivilgesellschaft ausüben können.

Zweitens, die Regierung ist zum Schutz der Rechte der Menschenrechtsaktivisten verpflichtet, denn sie hat die einschlägigen Abkommen und Protokolle unterzeichnet. Sie muss diese Verpflichtung anerkennen und dafür sorgen, dass die Prinzipien und Richtlinien der UN zum Schutz der Rechte der Menschenrechtsaktivisten im ganzen Land respektiert werden. Diese beiden genannten Maßnahmen sollten dringend auf den Weg gebracht werden.

Drittens, wir haben kein Ministerium für Menschenrechte und keinen Parlamentsauschuss für Menschenrechte. Beides wäre aber sehr wichtig, um das Thema Menschenrechte in der Politik unseres Landes auf die Tagesordnung zu setzen und um das Interesse dafür zu erhalten. Das Thema darf nicht allein der Justiz überlassen bleiben, sondern Parlament und Regierung haben hier eine ebenso wichtige Rolle zu spielen.

Wird die Auszeichnung von Amnesty International sich auf Ihre Arbeit auswirken?

Ich kann die Auszeichnung dafür nutzen, um mich an die indische Öffentlichkeit zu wenden, insbesondere an Unternehmen und an engagierte und verfassungstreue Bürger, und ihr Bewusstsein dafür schärfen, dass zivilgesellschaftliche Gruppen wie unsere (People's Watch Tamil Nadu) die moralische und finanzielle Unterstützung der indischen Gesellschaft und Wirtschaft benötigen.

Wir brauchen viele Spender, die uns mit kleinen Beträgen unterstützen, damit wir auf einer gesunden und transparenten finanziellen Basis stehen. In dieser Weise werden wir zu einer schlagkräftigen Organisation, die ihren Unterstützern jederzeit Rechenschaft geben kann und in der indischen Gesellschaft verwurzelt ist.

Ich glaube, dass diese Auszeichnung dafür eine gute Voraussetzung schafft.

Henri Tiphagne ist Executive Director der südindischen NGO “People's Watch Tamil Nadu”