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"Wer Satiriker tötet, macht deren Werk relevanter"

Das Interview führte Sabine Oelze6. Januar 2016

Genau vor einem Jahr verübten Terroristen einen Anschlag auf das Pariser Satiremagazin "Charlie Hebdo". "Jetzt erst recht Satire" hat der Chefredakteur der Titanic kurz danach verkündet. Was ist daraus geworden?

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Chefredakteur des Satiremagazins Titanic Tim Wolff
Bild: picture alliance/B. Kammerer

Herr Wolff, vor einem Jahr kamen bei einem Anschlag auf das Pariser Satiremagazin "Charlie Hebdo" zehn Menschen ums Leben. Wie hat dieser Anschlag Ihr Leben und Ihre Arbeit verändert?

Tim Wolff: Der Anschlag hat auf jeden Fall sehr starke Auswirkungen auf mein Leben gehabt, weil ich ständig, bis noch ein Jahr später, Interviews geben darf zu dem Thema. Es hat mich prominent gemacht. Da bin ich den Terroristen auch ein bisschen dankbar. Das waren die Hauptauswirkungen.

Haben Sie in Ihrer Redaktion besondere Sicherheitsvorkehrungen eingeführt? Panzertür? Polizeischutz?

Die Polizei hat einen stärkeren Blick auf uns. Wir haben aber weiterhin keine Schutzmaßmaßnahmen getroffen. Wir sind nur ganz dankbar, dass, wie im letzten Jahr auch, sich hier gerade viele Medienvertreter versammeln. Die stellen dann eine natürliche Schutzmauer her, und bis sich da jemand durchgeschossen hat, sind wir schon längst hinten raus.

…sagt der Satiriker…

Ja.

In einem Interview mit der DW haben Sie kurz nach dem Anschlag verkündet: "Jetzt erst recht Satire". Wie haben Sie das umgesetzt?

Wir haben wie jeden Monat ein Heft gefüllt und das dann auch häufiger mit den Themen Terror und Islam. Ich habe mir jetzt zum Beispiel persönlich die Mühe gemacht, auch wenn ich durchaus die Meinung habe, dass dieser Terrorismus nur am Rande mit dem Islam zu tun hat, mal im Koran zu lesen – wahrscheinlich deutlich mehr als das diese Terroristen machen. Ich habe immerhin zwei Seiten gelesen.

Haben Sie Ihre neuen Einblicke in einem der Hefte verwerten können?

Nein. Zu viele Kenntnisse und zu viele Informationen zerstören den Witz. Satiriker arbeiten mit Klischees, und überhaupt muss man ja auf die Allgemeinbildung des Rezipienten zurückgreifen und da hat ja in unserer Leserschaft auch keiner den Koran gelesen.

Vor einem Jahr haben Sie auch gesagt, dass Sie hoffen, dass durch den Anschlag Satire relevanter werden würde?

Wer Satiriker tötet, macht deren Werk relevanter. Das sieht man ja. Wir würden uns heute sonst nicht über Charlie Hebdo unterhalten, es gäbe keine Millionenauflage, wenn da niemand erschossen worden wäre. Wenn das Ziel gewesen ist, Charlie Hebdo zu zerstören, dann haben die Terroristen das exakte Gegenteil bewirkt. Das ist doch eigentlich bei diesem Trauerspiel auch etwas Positives.

Wie gehen Sie in Ihrer Redaktion seitdem mit den Themen Islam und Terror um?

Terror ist natürlich ein ständiges Thema. Ich möchte auch mal die Gelegenheit nutzen, dw.com wird ja international gelesen, dem IS zu sagen: "Langsam reicht es jetzt auch, weil so viele Terrorscherze wie wir jetzt in diesem Jahr gemacht haben, das wird irgendwann ermüdend. Da möchte man sich doch auch mal wieder auf andere Themen konzentrieren. Auf Angela Merkel zum Beispiel zur Beruhigung, das wäre schön.

Sieht nicht so aus, als würde man Ihnen den Gefallen tun…

Nein. Es ist ein dringender Appell, aber ich fürchte, da werde ich auf taube Ohren stoßen. Wir sind ja schon an einem Punkt, wo man theoretisch Angst haben muss, in ein Konzert zu gehen oder in ein Café, es ist völlig egal, was man macht, man kann überall erschossen werden.

Wie gehen Muslime in Deutschland mit Satire um? Sind die, salopp gesagt, "härter im Nehmen"?

Von den Reaktionen, die wir hier kennen, sind sie besser darin, unsere Sachen zu ignorieren als zum Beispiel Christen. Natürlich haben wir kein so großes muslimisches Publikum, auch wenn es durchaus Dinge gab, die in deren Sphären vorgestoßen sind..

Inwiefern ist Titanic in diese Sphären vorgestoßen?

Wir hatten ja 2008 einen Mohammed-Ähnlichkeitswettbewerb geplant, der musste aber aus Sicherheitsgründen abgesagt werden, da gab es eine enttäuschte Zuschrift, da hat man sich aber schnell geeinigt. Oder es gab 2012 ein Titelbild: "Bettina Wulff dreht Mohammed-Film", da war natürlich auch ein Mohammed zu sehen, da gab es tagelang aufgeregte Berichte und man sah bei RTL ein Fadenkreuz über Frankfurt am Main, aber von Muslimen selbst kamen meistens keine oder freundliche Reaktionen. Bei dem Mohammeds-Ähnlichkeitswettbewerb war es sogar so, dass ein islamisches Zentrum angeboten hatte, den Wettbewerb bei ihnen auszuführen. Tut mir leid, dass ich Menschen enttäuschen muss in ihren Vorurteilen. Es gibt keine Morddrohungen oder ähnliches. Die kriegen wir eher von enttäuschten Dart-Fans, aber nicht von Muslimen. Bisher hatten wir diesbezüglich keine großen Probleme.

Hätten Sie sich auch in diesem Jahr nach dem Anschlag getraut, sich mit Mohammed in so einer provokativen Art zu beschäftigen?

In Reaktion auf den Anschlag hatten wir das Suchbild "Wo ist Mohammed?", in dem man ihn leider nicht finden konnte, und wir haben einen riesigen Mohammed-Starschnitt angekündigt, der aber leider erst 2040 fertig sein wird. Also bitte erst dann schießen. Aber klar kommt er immer wieder vor, weil wenn Menschen in seinem Namen töten, ist das natürlich relevant für Satire. Um profunde Religionskritik zu üben, dafür sind wir nicht kompetent genug. Das sollen Menschen erledigen, die direkt unter dem Islam leiden. Da braucht es schon eine gewisse Kompetenz. Die besten christlichen Satiriker kommen ja auch aus sehr christlichen Familien und Haushalten, das muss schon kundiger geschehen als mit der Arroganz eines weißen, atheistischen Mannes, wie ich einer bin.

Haben Sie durch Ihre Leser noch mehr Rückhalt bekommen? Sind die Verkäufe gestiegen, gab es mehr Abonnenten?

Wir haben in der Folge des Anschlags über tausend Abonnenten in wenigen Tagen gewonnen. Es ist natürlich auch traurig, dass es in diesem Kontext passierte. Aber das ist ein Zeichen der Solidarität. Ich vermute, wenn ein Metzger erschossen würde, würden die Leute auch mehr Steaks als symbolische Handlung kaufen. Und so ist es uns auch ergangen.

Ist der Anschlag vor einem Jahr im Januarheft ein Thema? Oder ist "Charlie Hebdo" schon wieder aus dem Satiriker-Gedächtnis verschwunden?

Das Problem ist, wenn man sich als Satiriker mit Satire beschäftigt, und der Anschlag hat uns dazu gezwungen, wird es schwierig, weil ich dann auch – wie jetzt wieder – ernst sprechen muss, obwohl ich eigentlich lieber Witze machen würde, aber wenn man Witze über Witze macht, dann befindet man sich ja auch wieder auf einer Metaebene, bei der kaum jemand folgen möchte. Deswegen ist die Auseinandersetzung mit "Charlie Hebdo" eher etwas, das man privat außerhalb des Heftes macht und guckt, was die Kollegen so treiben.

Letztendlich hat der Anschlag Ihre Arbeit also wenig beeinträchtigt…

Es hat den Inhalt unseres Heftes stark beeinflusst, ohne dass wir vorsichtiger oder anders vorgehen als zuvor. Ganz verneinen kann ich die Frage auch nicht, weil jeder von uns wird noch eine gute Weile lang ein mulmiges Gefühl haben, wenn er an den Anschlag in Paris denkt. Aber in der Konsequenz hat sich, glaube ich, nicht so viel geändert.

Tim Wolff ist seit 2013 Chefredakteur des Satiremagazins "Titanic" mit Sitz in Frankfurt am Main.