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Politik

Tierschützer: "Öko-Betriebe nicht unbedingt besser"

Marco Müller/Jan D. Walter26. September 2016

In seinem neuen Buch beklagt Foodwatch-Vize Matthias Wolfschmidt den Gesundheitszustand von Nutztieren. Verbraucher könnten selbst mit gezieltem Konsum nur wenig zum Tierschutz beitragen, daher müsse die Politik handeln.

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Kühe auf einer Weide in Firrel, Niedersachsen (Foto: Picture-alliance/dpa/Wolfraum)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr Wolfschmidt, was tun wir den Tieren an?

Wolfschmidt: Nutztiere werden häufig krank und erleiden Schmerzen unterschiedlicher Art: Euterentzündungen bei Milchkühen, schwerwiegende Lungenentzündungen und Leberschäden bei Mastschweinen, Masthühner leiden unter verformten oder entzündeten Brustbeinen, Legehennen unter Kannibalismus. Schäden an Füßen beziehungsweise Klauen und Gelenken betreffen fast alle Arten.

Solche Befunde gab es schon häufiger. Was ist neu daran?

Das landläufige Klischee, dass so etwas nur in Großbetrieben vorkommt, lässt sich anhand der Studienlage nicht bestätigen. Vielmehr ist es so, dass in sehr ähnlichen Betrieben sehr unterschiedliche Zustände herrschen. Tieren geht es in kleinen oder ökologischen Betrieben gesundheitlich nicht unbedingt besser als in Massentierhaltung.

Es gibt in allen Haltungsformen Rinderbetriebe mit 50 - 60 Prozent Lahmheit und andere, bei denen dies praktisch nicht vorkommt. Das weißt darauf hin, dass das Schicksal der Tiere weniger von messbaren Kriterien, als von Fähigkeit und Zuwendung der Tierhalter abhängt.

Wieso werden die Tiere denn krank?

Die Gründe sind sehr komplex und vielfältig: Stallklima, Platz, Licht, Fütterung und eben die Zuwendung und Pflege - um nur ein paar wichtige Faktoren zu benennen.

Grundsätzlich sind die Tiere jedoch anfällig, weil sie auf Leistung gezüchtet und selektiert werden. Eine Milchkuh unterliegt der Anstrengung eines permanenten Marathonlaufs. Schweine nehmen pro Tag zwischen 800 und 1000 Gramm zu. Hühner legen im Jahr etwa 300 Eier. Sie legen selbst dann noch, wenn sie eigentlich gar nicht mehr können, weil ihnen die entsprechenden Regulierungsmechanismen abgezüchtet worden sind. Sie bauen dann Kalzium aus den eigenen Knochen ab, um Eierschalen zu bilden. Und das führt zu Knochenverformungen.

Foodwatch Bericht (Foto: Heiner Kiesel)
Matthias Wolfschmidt ist stellvertretender Geschäftsführer von FoodwatchBild: DW

Viele Tiere schaffen es ja trotz allem, einigermaßen gesund zu bleiben. Aber 25 bis 50 Prozent der Nutztiere werden massiv krank.

Welche Folgen hat das für die Verbraucher?

Der Verbraucherschutz bleibt stets gewahrt. Wir schätzen zwar, dass zum Beispiel zehn Prozent der Milch von euterkranken Tieren produziert wird. Aber das ist gesundheitlich unbedenklich für Menschen, weil die Milch in den Molkereien durch verschiedene Verfahren von den Krankheitszellen befreit wird.

Geschlachtet werden dürfen kranke Tiere ohnehin nicht. Viele Mastschweine haben aber im Laufe ihres sechs bis sieben Monate langen Lebens Krankheiten erlitten. Masthühnchen in den 35 bis 36 Tagen, die sie leben.

Es geht uns also weniger um gesundheitliche Aspekte für den Menschen, als um Tierschutz. Und der wird weitgehend ignoriert.

Wer ist daran schuld?

Wir sollten uns von der moralischen Frage der Schuld verabschieden und stattdessen fragen, wer welche Verantwortung übernehmen muss.

Die maßgebliche Nachfragemacht liegt ganz eindeutig bei den vier bis fünf marktbestimmenden Handelskonzernen. Gleichzeitig wollen die Verarbeiter, also Molkerei- und Schlachtkonzerne, aber auch die Weiterverarbeiter ihre enormen Kapazitäten auslasten. Dabei geht es nicht nur um Wurst und Käse, sondern um allerlei Produkte mit tierischen Bestandteilen wie Schokolade, Backwaren und Gummibärchen.

Für all diese Unternehmen ist das aktuelle Überangebot an Rohstoffen wie Milch, Schweine- und Geflügelfleisch sehr günstig, weil sie die Preise drücken können. Den meisten Landwirten ist es aber betriebswirtschaftlich unmöglich, den Tieren die angemessene Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen, weil niemand ihnen den Mehraufwand bezahlen würde. Wir sehen hier ein Marktversagen, das reguliert werden muss.

Wie müssten solche Regeln aussehen?

Wie gesagt: Anhand von Kriterien wie Platz, Herdengröße oder der Möglichkeit, ins Freie zu gehen, lässt sich die Tiergesundheit nicht sicherstellen. Auch die bisherigen Bestrebungen der Politik, Logos einzuführen, um bestimmte Segmente der Tierhaltung transparenter zu gestalten, helfen kaum weiter.

Um den hunderten von Millionen Nutztieren allein in Deutschland gerecht zu werden, müsste der Gesundheitszustand der Nutztiere kontrolliert werden. Europa hat die Landwirtschaft in diesem Jahrtausend mit mindestens 750 Milliarden Euro subventioniert, aber es gibt keine systematische Erfassung der Tiergesundheit.

So lange das so bleibt, wird es immer jemanden geben, der eine gegenteilige Studie vorlegt und sagt, schwarze Schafe gebe es eben immer. Und so wird man auch über mein Buch sagen, das seien punktuelle Studien, die übertreiben und nicht die Gesamtsituation abbilden.

Welche Verantwortung können Verbraucher übernehmen?

Als Individuum ist man zu weit weg von der tierischen Produktion, als dass Kaufentscheidungen tatsächlich etwas änderten. Wer ökologische Produkte kauft, geht davon aus, dass die garantierten Haltungsbedingungen maßgeblichen Einfluss auf das Wohl der Tiere haben. Das stimmt auch tendenziell. Aber dass es auch in der ökologischen Landwirtschaft sehr große Probleme gibt, ist kaum jemandem bewusst. Deswegen ist mein Appell, dass wir uns dieses Problems gesellschaftlich-politisch annehmen.

Matthias Wolfschmidt ist stellvertretender Geschäftsführer von Foodwatch. Heute (22.9.) hat er sein Buch "Das Schweinesystem - Wie Tiere gequält, Bauern in den Ruin getrieben und Verbraucher getäuscht werden" vorgestellt.

Das Interview führte Marco Müller.