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Thierse will in China kein Leisetreter sein

Die Fragen stellte Danhong Zhang2. Mai 2005

Menschenrechte, Todesstrafe, Taiwan, Tibet: Die Liste der sensiblen Themen im Umgang mit China ist lang. Bundestagspräsident Thierse berichtet in einem Interview mit der Deutschen Welle von seiner ersten China-Reise.

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Wolfgang Thierse (l.) mit Staatspräsidenten Hu JintaoBild: AP

Deutsche Welle: Herr Bundestagspräsident, waren Sie ein unbequemer Gast bei Ihrem ersten Besuch in der Volksrepublik China?

Der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, Porträt
Bundestagspräsident Wolfgang ThierseBild: dpa

Wolfgang Thierse: Das müssen die Gastgeber beurteilen. Aber ich hoffe, ich war ein freundlicher Gast, der aufrichtig und ehrlich argumentiert hat, und der kein Leisetreter war.

War das EU-Waffenembargo auch ein Thema in Ihrem Gespräch mit dem chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao?

Mit dem Staatspräsidenten nicht, aber es war ein wichtiges Thema im Gespräch mit dem Präsidenten des Volkskongresses und mit dem Außenminister. Da hat es eine sehr große und ausführliche Rolle gespielt.

Worum ging es im Gespräch mit dem chinesischen Staatspräsidenten?

Da haben wir zuerst einmal über das Thema Taiwan gesprochen. Der Vorsitzende der Kuomintang-Partei ist zum ersten Mal in China. Das ist ja ein außerordentliches Ereignis. Also haben wir über dieses Thema gesprochen, und natürlich auch über die Frage der Bedeutung des Anti-Sezessionsgesetzes.

Das vor anderthalb Monaten vom Volkskongress verabschiedete Gesetz gegen Taiwan hat weltweit für Unverständnis gesorgt und den Gegnern der Aufhebung des Waffenembargos ein neues Argument geliefert. Glauben Sie nach den Gesprächen mit chinesischen Politikern, dass die ganze Welt Peking missverstanden hat?

Alle Gesprächspartner auf chinesischer Seite haben mir versichert, dass sie im Grunde keine neue Politik verfolgen, sondern ganz konsequent an dem festhalten, was die Grundlinie seit Jahrzehnten ist: ein China, Wiedervereinigung mit Taiwan. Sie wollten angesichts bestimmter separatistischer Tendenzen aus Taiwan diese Grundposition noch mal mit Entschiedenheit deutlich machen. Aber es geht ihnen, das war immer wieder die Versicherung, um einen friedlichen Wiedervereinigungsprozess. Sie fühlen sich auch bestätigt durch den Besuch des Vorsitzenden der Kuomintang-Partei und durch Besuche anderer taiwanesischer Politiker, die in den nächsten Monaten folgen werden.

Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie das Thema EU-Waffenembargo angesprochen haben. Es sei der deutschen Öffentlichkeit schwer zu vermitteln, für die Aufhebung des Waffenembargos zu plädieren, wenn gleichzeitig Teilnehmer der Demokratie-Bewegung von 1989 immer noch im Gefängnis säßen. Kann man Ihre Äußerung so interpretieren, dass Sie gegen eine Aufhebung des Waffenembargos sind?

Die Frage ist nicht so einfach mit "Ja" oder "Nein" zu beantworten. Ich habe zuerst den chinesischen Gesprächspartnern eines zu verdeutlichen versucht, was in der deutschen Öffentlichkeit und im deutschen Parlament eine Rolle spielt, nämlich all die Fragen der Entwicklung der Menschenrechtssituation in China, Administrativhaft, exzessive Anwendung der Todesstrafe und eben auch der Umstand, dass Menschen, die sich an den Vorgängen von 1989 beteiligt haben, noch nach 16 Jahren in Haft sind. Wenn, was ich verstehe, chinesische Politiker sagen, das Waffenembargo passt nicht mehr in die Zeit, dann sage ich, ja. Aber dass Menschen immer noch verhaftet sind, passt dann genauso wenig in die Zeit. Und chinesische Politiker müssen verstehen, dass sie da auch gewisse Entscheidungen treffen müssen, die dem deutschen Bundestag, dem europäischen Parlament und den anderen europäischen Regierungen erleichtern, dieses Waffenembargo aufzuheben, das aus einem Anlass entstanden ist, der nun schon 16 Jahre her ist.

Was sagt Thierse zu Schröders China-Politik? Lesen Sie mehr auf Seite 2!

Der deutsche Bundeskanzler betreibt eine sehr pragmatische China-Politik. Er setzt sich ein für eine bedingungslose Aufhebung des Embargos. Außenminister Fischer macht eine Verbesserung der Menschenrechtslage in China zur Voraussetzung. Bei Ihnen höre ich auch kein eindeutiges Ja für die Aufhebung. Sind die Chinesen nicht verwirrt, dass die deutschen Spitzenpolitiker nicht mit einer Stimme sprechen?

Das mag sein, aber das ist in der Demokratie eben so, dass verschiedene Argumente zusammengetragen werden und auch geäußert werden. Als Parlamentspräsident ist es meine Aufgabe, nicht nur eine Auffassung, die im Parlament vorhanden ist, zu vertreten, sondern der chinesischen Seite das ganze Meinungsbild im deutschen Bundestag zu übermitteln. Das ist der faire und aufrichtige Umgang unter befreundeten Politikern.

Auf Ihrer Reise nach Tibet war kein einziger Journalist dabei. Ihr Parlamentssprecher nennt den Grund: Weil die Reise erst in letzter Minute von der chinesischen Seite genehmigt wurde. Warum wollten Sie unbedingt nach Tibet? Hatten Sie kein Bedenken, sich von der chinesischen Regierung instrumentalisieren zu lassen?

Im Gegenteil. Ich bin in keiner Weise instrumentalisiert worden. Ich hatte die Chance, mit den Bundestagskollegen, die mich begleitet haben, in Lhasa zu sein, mit Menschen zu sprechen, Kloster zu besuchen, mir selber ein Bild über den Entwicklungsstand dieses schwierigen Teils von China zu verschaffen. Man hat keinen vollständigen Eindruck von China, wenn man nur in Peking ist oder wenn man nur in Shanghai ist. Man muss auch in andere Landesteile gehen, um zu wissen, welch widersprüchliches und schwieriges Land voller großer Probleme und Herausforderungen China ist.

Kann man in Tibet sein, ohne über den Dalai Lama zu reden?

Wir haben mit dem Außenminister sowie mit dem Parlamentspräsidenten das Thema Dalai Lama angesprochen. Die Reaktion auf offizieller chinesischer Seite ist eher abwehrend und abwartend, weil sie der Überzeugung sind, dass der Dalai Lama eben nicht nur ein religiöser Führer ist, sondern sich auch als politischer Führer versteht, und sie jede Autonomiebestrebung Tibets nicht zulassen wollen.

Sie waren früher den mehrmaligen Einladungen Ihres damaligen Amtskollegen Li Peng nicht gefolgt, weil er für das Massaker auf dem Tian'anmen-Platz verantwortlich gemacht wird. Was denken Sie, als ein Politiker mit hohen moralischen Ansprüchen, wie kann der Westen auf China einwirken, damit es eines Tages nicht mehr ein Land ist mit so vielen traurigen Rekorden im Bezug auf Menschenrechtsverletzungen?

Die Todesstrafe gibt es nicht nur in China, die gibt es auch in den USA und anderen Teilen der Welt. Aber notwendig ist immer wieder das Gespräch. Auf Vorschlag von Bundeskanzler Schröder gibt es den Rechtsstaatsdialog. Wir haben mit Rechtswissenschaftlern, Vertretern der Nicht-Regierungsorganisationen und Vertretern der Zivilgesellschaft gesprochen. All das wird helfen, die Situation in China, das Klima, die demokratische Entwicklung, die Entwicklung der Zivilgesellschaft positiv und freundlich zu beeinflussen, ohne sich in innere Entscheidungen dieses Landes einmischen zu wollen.