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Theater in Not

Annika Schipke1. Mai 2004

Beim Berliner Theatertreffen wird alljährlich die Misere des deutschen und deutschsprachigen Theaters bejammert. Nicht so in Frankreich: Dort schreitet man zur Tat. Seit einem Jahr wird in den Theatern gestreikt.

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Hat das klassische Theater bald ausgedient?Bild: dpa

In der deutschen Kulturlandschaft ist Sparen angesagt. Vor allem den Theatern wird das Geld gekürzt. In Zukunft müssen allein die Kölner Theater auf 3,5 Millionen Euro verzichten, das sind 15 Prozent ihres bisherigen Budgets. Und nicht nur hier werden Stellen gestrichen, entfallen Sparten und wird laut über Fusionen nachgedacht. In einigen Häusern kann der Spielbetrieb nur noch aufrecht erhalten werden, weil Mitarbeiter auf Teile ihres Gehalts verzichten. Doch die Öffentlichkeit nimmt davon kaum Notiz.

Kampf gegen das Desinteresse

Die Inszenierungen der städtischen Bühnen finden nur noch am Rande des Kulturlebens statt. Das Durchschnittalter der Abonnenten wächst, jüngere Zielgruppen werden häufig gar nicht erst erreicht. Lediglich der Deutsche Bühnenverein protestiert gegen diesen Zustand: "Wir wollen ein Theater, das im Mittelpunkt des kulturellen Lebens einer Stadt steht", lautet das Ziel des Theaterverbands. Bisher löste dieser Vorstoß jedoch kaum Reaktionen aus. Stattdessen macht sich Resignation in den Kulturbetrieben breit.

Einmal im Jahr können die Theater aber mit mehr Aufmerksamkeit für ihre Notlage rechnen: Beim Berliner Theatertreffen messen sich nicht nur Regisseure, Schauspieler und Intendanten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in ihrem kreativen Können. Das Festival ist immer wieder auch Anlass zu einer öffentlichen Auseinandersetzung mit dem deutschsprachigen Bühnengeschehen.

Glanz und Elend des Theatertreffens

533 Reisen durch die Theater in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich unternahmen die Festival-Juroren - und wurden dennoch auf ihrer Suche nach den zehn "bemerkenswerten" Stücken, die in Berlin präsentiert werden sollen, nicht so recht fündig. Zwar sind sowohl Klassiker wie "Dantons Tod" von Georg Büchner als auch Unbekanntes wie "Wolf" von Alain Platel dabei. Aber: "Die Auswahl gleicht einem Gemischtwarenladen der Theaterlandschaft", sagt Detlef Brandenburg, Chefredakteur der Zeitschrift "Die deutsche Bühne".

Dabei sollen die Werke des Theatertreffens die Cremé de la Cremé der deutschsprachigen Bühnenproduktion repräsentieren. Einfallslosigkeit und Unentschlossenheit sind da eigentlich fehl am Platze. Dennoch gibt es weder viel Neues noch irgendwie Provokantes. Neue Stile, Trends oder Aufbruchstimmung?! Fehlanzeige! "Aber vielleicht ist das ganze deutsche Theater zur Zeit so", sagt Brandenburg.

Sorgenvoll blicken die deutschen Theatermacher deshalb in die Zukunft: Die Bandbreite an Inszenierungen, Bühnen und Ensembles hängt der Art und Menge der öffentlichen Finanzierung ab. Und hier wird in Zukunft kräftig gespart. Ganz ähnlich sieht es auch in Frankreichs Kulturpolitik aus. Nur gehen die Franzosen ganz anders - sprich: weniger duldsam und resignativ - damit um.

Kulturrevolution in Frankreich?

In Frankreich ist das Theatersystem zwar mit freieren Strukturen ausgestattet, aber zentralistisch organisiert und vor allem auf Paris konzentriert. Theatertruppen in der Provinz erhalten bedeutend weniger staatliche Zuwendungen und sind häufig nur überlebensfähig durch eine Sozialversicherung: Wer 507 Stunden im Jahr auf oder - als Techniker - hinter der Bühne steht, erwirbt ein Anrecht auf Arbeitslosengeld. Viele Theaterbetriebe nutzten in der Vergangenheit diese Regelung aus und zahlten ihren Angestellten nach den Pflicht-Stunden kein Gehalt mehr. Dadurch verdoppelte sich die Zahl der so genannten "Intermittents", der "zeitweilig Aussetzenden", in den letzten zehn Jahren auf über 130.000.

2003 beschloss die französische Regierung dann drastische Kürzungen der Sozialversicherung. Eine Änderung, die die gesamte französische Theaterszene in ihrem Schaffen gefährdet. Als Antwort darauf ließen die Künstler letztes Jahr einfach das größte internationale Theaterfestival in Avignon ausfallen.

Seitdem werden immer wieder Aufführungen und Filmproduktionen bestreikt oder gestört. Anfang April entließ man schließlich den ohnehin unbeliebten Kulturminister Aillagon. Doch auch Nachfolger Donnedieu de Vabres wurde gleich mit einem Eklat in seinem Amt willkommen geheißen: Während der Vergabe des renommierten Theaterpreises "Molière" schalteten die Bühnenmitarbeiter einfach die Mikrofone ab. Und der Aufstand geht weiter: Die Streikenden kündigten massive Störungsmaßnahmen auf dem Filmfestival in Cannes an, das am 12. Mai beginnt.