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Thailands Volkswahn Nummer 1

Patrick Tippelt22. August 2005

Thailand zockt, wo es nur geht. Illegale Glücksspiele locken die Süchtigen an jeder Ecke. Nur die staatliche Lotterie ist erlaubt, und das auch nur, um die Kassen des Landesherrn für dessen Lieblingsprojekte zu füllen.

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An allen Straβenecken Bangkoks sind sie frei erhältlich; überall verführen sie jeden, vom Gymnasisaten bis zum Senioren. Billig und schön bunt aufgereiht bieten Lottostände Spielsüchtigen die unwahrscheinliche Chance auf den Millionengewinn. In den Mittagspausen und nach Feierabend versuchen Abertausende ihr Glück. Irgendwer wird den nächsten Jackpot schon knacken; warum nicht man selbst?

Lotto, Toto, und der ganz normale Wahnsinn

Ob Lotto oder Hahnenkämpfe, Fuβballwetten oder Roulette-Tischchen aus Plastik beim Nachbarn – Millionen von Thais können die Finger nicht vom Glücksspiel lassen. Es ist ein beinah niedlicher Volkswahn in Thailand – wenn da nicht die Gefahren des Ruins den Zockern auflauerten. Bei der letzten Fuβball-WM verwettete so manch einer den Zweitwagen der Ehefrau oder gleich sein ganzes Haus. Auch kleinere Einsätze summieren sich mit der Zeit. Viele Angestellte treibt die Sucht nach Glückszahlen in den finanziellen Ruin.

Dabei versucht die Regierung diese Nationalgefahr zu stoppen. Hahnenkämpfe sind schon lange illegal. Auch wer beim Zocken erwischt wird, muss büβen. Glücksspiele wie Blackjack, Roulette und Pokern um Geld sind verboten. Kasinos existieren nicht in Thailand.

Kaffeefahrten ins Kasino

Aber diese brauchen die Spielsüchtigen nicht. Wettclubs verabreden sich in Wohnzimmern, um Wetten auf Sportwettkämpfe zu schlieβen. Wer es ein wenig luxuriöser mag, der fährt für einen Tag über die Grenze nach Kambodscha, wo noch vor der Passkontrolle drei Kasinos auf die Zocker warten. Tagestouren ins kambodschanische Kasino, Kaffeefahrten nicht unähnlich, sind stets ausgebucht. Vor Feiertagen bilden sich Menschenschlangen an den thailändischen Grenzen, und für den Grenzübertritt muss man dann drei Stunden einplanen. Aber die gierigsten Zocker wissen das: schon um 4 Uhr morgens – eine Stunde vor der Grenzöffnung – stehen sie, ungeduldig ihr Geld zählend, vor den Büdchen der Grenzbeamten.

Auch zweiwöchige Zockertrips sind nichts Ungewöhnliches für reiche High Roller. Da gibt es schwimmende Kasinopaläste vor Singapur und die Kasinostädtchen an der australischen Goldküste. Man ist auf der Reise unter sich. Das Tagesprogramm ist unabänderlich: verspielen, was das Portemonnaie nur hergibt.

Mönche und Polizisten an einem Strang

Nur eine Art von Gluecksspiel erlaubt Thailand seinen Bürgern: die staatliche Lotterie, und das schon seit ihrer Einführung 1935. Daran würde auch keine Regierung zu rütteln wagen, denn der Staat nimmt dadurch mehr als 700 Millionen Euro jährlich ein. Eigentlich aber verdient es der Premierminister des Landes, Thaksin Shinawatra. Zumindest darf er allein über die stattliche Summe verfügen. Zwar sitzt Thaksin in einem dreiköpfigen Gremium, das entscheidet, wofür das Geld ausgegeben wird, doch der zweite Kopf ist ein früherer Klassenkamerad des Premiers, der dritte untersteht Thaksin direkt. So wird das Geld oft für Lieblingsprojekte des Landesherrn ausgegeben. Kürzlich wagten Wirtschaftswissenschaftler dies zu kritisieren. Sie forderten, dass die Einnahmen als Staatseinkünfte einzustufen seien und in den Finanzhaushalt einflieβen sollten.

Doch die Kritik versandete ungehört. Denn nicht nur der Staat verdient an der Lotterie. Die allmächtige Polizei hat Hunderte von Lottoständen allein in Bangkok. Auch Tempel vermehren ihr Geld durch den Verkauf; findige Mönche stehen mittags vor Tempelschulen, um die Lottoscheine an die süchtigen Eltern zu verkaufen, die ihren Nachwuchs abholen. Das wird auch so bleiben. Zumindest bis zur nächsten Fussball-WM, wenn die Zocker sich eine Zeit lang nur noch für den runden Ball interessieren werden.