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Thailands neue Maβlosigkeit

Patrick Tippelt, Bangkok2. Mai 2005

Die Elefanten-Königin macht’s vor: schwer ist schön. Thailand verfettet und ähnelt langsam den dicken USA. Doch noch sieht darin niemand einen Anlass, die neuen Gewohnheiten zu ändern.

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Ram Thai ist eine ernste Angelegenheit. Der traditionelle Tanz – jedem bekannt, der je eine Reportage über Thailand gesehen hat – ist so grazil, dass Schülerinnen oft Jahre brauchen, bis sie alle komplizierten Fingerformationen beherrschen. Am 1. Mai gab es einige junge Frauen, die den Tanz in einem Vorort Bangkoks der erstaunten internationalen Presse vorführten. Andere sangen ein Liedchen, eine hatte extra ihren Freund für einen Paso Doble auf die Bühne gezwungen. Nach einer raschen Fragerunde stand die Siegerin fest: Die 18-jährige Tamrarin Chansawang sprang auf vor Freude, und als sie stolperte, dachten die Zuschauer in der ersten Reihe prompt ans Flüchten: Immerhin bringt die Siegerin stolze 110 Kilo auf die Waage, bei nicht mal 1,70 Meter Körpergröße.

Während in anderen Ländern am 1. Mai die Gewerkschaften zu Kundgebungen aufrufen, wählt Thailand die Elefanten-Königin. Potenzielle Teilnehmerinnen müssen mindestens 80 Kilo wiegen, und eine Jury kürt die Frau zur Siegerin, die am ehesten „die Charakterzüge eines Elefanten veranschaulicht, durch ihre Anmut, Eleganz und Körpergröße“. Der so genannten Elefantentochter winken ein Scheck über 1.000 Euro, Schönheitsprodukte und die groβe Ehre, für ein Jahr als offizielle Botschafterin des Thailändischen Elefanten-Verbands wirken zu dürfen.

Krankmacher

Seit neun Jahren ist die Suche nach stämmigen Königinnen ein solcher Publikumsrenner, dass dieses Jahr zum ersten Mal ein männlicher Gegenpart gefunden werden musste: der Fettkönig. Und es scheint, als würde der Wettbewerb zu viele Kinder und Jugendliche zur Maβlosigkeit animieren. Thailand, laut Urlaubskatalogen und Sex-Fantasien noch immer ein Ort voller schlanker Schönheiten, verfettet. Schaut man einmal genau hin, wölben sich immer mehr Genussbäuche unter den T-Shirts. Überall im Land kann man jungen Menschen begegnen, die glatt als massige US-Amerikaner durchgehen könnten. Statistiken sprechen für sich. Letztes Jahr verschlang jeder Thai im Durchschnitt 30 Kilo Zucker – vor zwei Jahren waren es nur 20 Kilo. Herzkrankheiten erleben erschreckende Erfolge. Studenten geben für Snacks mehr als dreimal soviel Geld aus wie für Bücher. 80 Prozent aller Kinder leiden an Karies. Jedes dritte Kind unter 12 Jahren ist übergewichtig, 80 Prozent aller Grundschulkinder weisen zu hohe Cholesterinwerte auf.

Kalorienbomben, frei und unlimitiert erhältlich in allen Kiosken, dazu erschwinglich – welches Kind kann da schon widerstehen? Selbst vor den Kantinen der Grundschulen machen heißbegehrte Chips und Schokoriegel nicht Halt. Vor wenigen Jahren noch undenkbar, sind es mittlerweile nicht nur Hip Hop-Fans, die XL-Jeans tragen. Und dank der buddhistischen Grundregel von Mitgefühl brauchen die kleinen Dicken keine soziale Ächtung zu fürchten. Kein Mitschüler würde es wagen, übergewichtige Junioren auszulachen.

Burger, Pizza, Cola

Fragt man Thais, was es mit der Überfettung der Junioren auf sich hat, wird schnell auf die Verwestlichung des Landes gedeutet, auf den Kulturimperialismus der USA. Dies mag durchaus zutreffen; dennoch klingt es wie eine faule Ausrede. Fakt ist: Teenager sehen einen Besuch in den Fast-Food-Tempeln von McDonald’s, Burger King und Pizza Hut als Zeichen von Status an. Dort seine Freunde zum Essen einzuladen, bedeutet, dass man Geld hat. Noch dazu ist es trendy, ein paar Stunden mit ein paar Burgern zu vertreiben. Das Phänomen der aus den USA bekannten Mall Rats – Teenager, die ihre Freizeit in Einkaufszentren verbringen – hat sich nach Thailand eingeschlichen, und damit auch die Freude an Doughnuts, Big Macs und reichlich Cola. Dies macht auch nicht halt vor Erwachsenen.

Noch sieht das Land das Gesundheitsproblem nicht. Eltern fürchten eher, dass ihr Kind zu schnell, zu früh Geschlechtsverkehr hat, dass es zuviel MTV schaut, dass es nicht „Thai“ genug aufwächst. Voreheliche Entbehrung wird dann auch mal mit dem Nachwuchs ausdiskutiert. Sonntags, beim Familienmittagessen. Bei McDonald’s.