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Textil-Kompromiss ist nur für kurze Zeit gestrickt

Karl Zawadzky6. September 2005

Die EU und China haben sich im Textilstreit geeinigt. Aber schon 2008 fallen die Handelsbeschränkungen für Kleidung weg - dann muss Europa mit den Billigimporten leben, meint Karl Zawadzky in seinem Kommentar.

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Der Kompromiss im europäisch-chinesischen Textilstreit ist fair, aber keineswegs die Lösung der Probleme. Denn zwar wird der bizarre Zustand beendet, dass 80 Millionen von den europäischen Importeuren bereits bezahlte Bekleidungsartikel - Pullover, Hosen, T-Shirts, Büstenhalter - in den Zollhäfen festgehalten werden. Aber in den beiden kommenden Jahren wird der Textilimport aus China verknappt. Der Handel kann sich darauf einstellen und seine Bezüge aus anderen Ländern erhöhen, aber die dadurch entstehenden Kosten dürften auf die Verbraucher abgewälzt werden.

Vor allem aber haben die europäischen Bekleidungshersteller nur wenig Zeit gewonnen, denn 2008 läuft auch die Übergangsregelung für den regulierten Handel mit Textil- und Bekleidungsgütern aus. Dann wird China den Welthandel mit diesen Produkten dominieren.

Problem: Strukturwandel verschlafen

Mehr als vier Jahrzehnte lang ist der Welthandel mit Textil- und Bekleidungsgütern durch Quoten und Kontingente geregelt worden. Dieses Welttextilabkommen ist Ende 2004 ausgelaufen; bis 2008 gelten noch Übergangsregeln. Der einzige Grund dafür ist, dass in einigen Ländern der Strukturwandel verschlafen oder ignoriert worden ist.

Das gilt in Europa für Spanien, Portugal, Griechenland, Italien und zum Teil auch für Frankreich, während in Deutschland und Großbritannien von dem einstmals wichtigen Industriezweig nur wenig geblieben ist. Neben einigen Spezialisten und den weltweit führenden Unternehmen von Industrietextilien haben nur die Hersteller hochmodischer und besonders hochpreisiger Waren überlebt - weil sie bei Design und Qualität ganz vorn auf dem Weltmarkt mitmischen.

China hat noch Potenzial

Was aber vor allem in Deutschland weiter funktioniert, das ist die Produktion von Spinn-, Web- und Industrienähmaschinen. China ist einer der ganz großen Kunden. Tatsache ist, dass dort eine hochmoderne Industrie aufgebaut worden ist. China liefert Massenware bei ausgezeichneter Qualität zum günstigen Preis und bei hoher Flexibilität.

Zwar sind die Löhne in Bangladesch, Kambodscha und Vietnam noch niedriger, dafür ist die Produktivität in China höher. Außerdem verfügt China über die gesamte Wertschöpfungskette; zum Beispiel ist das Land der weltweit größte Produzent von Baumwolle. Ebenso ist China voll in die Beschaffungslogistik der europäischen und amerikanischen Handelskonzerne eingebunden. Derzeit bestreitet China fast 25 Prozent des Welthandels mit Bekleidungsartikeln und ist damit das weltweit wichtigste Hersteller- und Lieferland, doch das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft.

Freihandel ist die einzige Lösung

Es macht keinen Sinn, bei völliger Freigabe des Textil- und Bekleidungshandels im Jahr 2008 etwa die europäischen Hersteller vor dem Druck der Billigimporte schützen zu wollen. Dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt. Das Ende des Welttextilabkommens mit seinen Quoten und Kontingenten war lange bekannt.

Die einzige Lösung ist, sich offensiv auf den Freihandel einzustellen. Deutschland hat dies unter erheblichen Verlusten an Firmen und Arbeitsplätzen getan. Deutschland akzeptiert ein hohes Defizit in der Handelsbilanz mit Textil- und Bekleidungsartikeln und erwirtschaftet einen hohen Überschuss bei den dafür nötigen Maschinen. Wer sich dem Strukturwandel verweigert und sich nur an die Vergangenheit klammert, kann im freien Handel nicht überleben.