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Deutsche Geschmacksnote

21. April 2009

Was schmeckt den Deutschen? Weil diese Frage gar nicht so einfach zu beantworten ist, lassen ausländische Unternehmen ihre Fertiggerichte in Deutschlands einziger unabhängiger Versuchsküche testen.

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Mitarbeiterinnen der Versuchsküche bei der Arbeit, Quelle: Klaus Deuse
Mitarbeiterinnen der Versuchsküche bei der ArbeitBild: Klaus Deuse

Auf den milliardenschweren Lebensmittelmarkt in Deutschland drängen nach Einschätzung von Experten Monat für Monat über 600 neue Produkte. Bei dem Ringen um die Käufer kommt es für die Hersteller bei der Entwicklung neuer Gerichte vor allem darauf an, den "deutschen Geschmack" zu treffen. Das gilt insbesondere für Lebensmittelhersteller aus Italien, Spanien, Polen, Frankreich oder den USA. Was in Millionen deutschen Haushalten auf den Teller kommt, das weiß kaum jemand besser als Friedrun Köhnen, Gründerin von Deutschlands einziger unabhängiger Versuchsküche. Immerhin hat sie im Auftrag von Lebensmittelherstellern seit mehr als 40 Jahren deren Gerichte verkostet, aromatisch abgerundet oder selbst entwickelt.

Braten zum Frühstück

In der Versuchsküche im nordrhein-westfälischen Sprockhövel entstehen vor allem Fertiggerichte, die in den Supermärkten angeboten werden - allerdings erst dann, wenn Susanne Cremer geschmacklich zugestimmt hat. Mit einer Serviette tupft sie sich die Mundwinkel ab und verrät, wonach es schon am frühen Morgen verführerisch duftet. Auf dem Herd, erläutert Susanne Cremer, steht eine mit Schmand verfeinerte Filetpfanne mit roten Paprikaschoten. In diesem Fall handelt es sich um eine eigene Kreation, die von ihr das Prädikat "sehr lecker" erhält.

Friedrun Köhnen in ihrer Versuchsküche, Quelle: Klaus Deuse
Friedrun Köhnen in ihrer VersuchskücheBild: Klaus Deuse

Susanne Cremer und das Team in der Versuchsküche bereiten täglich mehrere Gerichte zu und verkosten sie. Der Arbeitsplan auf der Wandtafel liest sich wie der Ablauf einer Operation. Nur nicht so steril, sondern für den Besucher ausgesprochen delikat. Vom Roastbeef in Zwiebelsenfkruste über Rouladen bürgerlich bis zum mediterranen Bratentopf. Für den hackt Heike Jackowski Zwiebeln und raspelt Hartkäse. Bei diesem italienischen Braten kommt es, verrät sie, auf die richtige Mischung der Füllung an, die aus Frischkäse, Parmesan und getrockneten Tomaten besteht. Zwei Herdplatten weiter wacht Susanne Cremer über den Bräunungsgrad einer Pfanne mit indischem Curry-Geschneltzeltem. An diesem Tag werden in der Versuchsküche von "The Food Professionals", wie das Unternehmen inzwischen zeitgemäß und der internationalen Kunden wegen heißt, verschiedene Fleischgerichte entwickelt - sowohl als Rezept für den Endverbraucher als auch für einen Kunden, der mit Rezeptkarten handelt.

Die Mutter der Doseneintöpfe

Auch wenn sie aus dem aktiven Geschäft ausgeschieden ist, schaut Firmengründerin Friedrun Köhnen weiter regelmäßig vorbei. Sie erinnert sich, wie sie vor über 40 Jahren als Ein-Frau-Unternehmen angefangen und die Marktnische entdeckt hat, dem deutschen Geschmack auf die Spur zu kommen, nur einen Steinwurf weit entfernt im elterlichen Fachwerkhaus. Da habe sie einen schönen Kellerraum entdeckt und einfach einen Herd hineingestellt. Damit, erzählt sie, fing das Ganze an.

Susanne Cremer (M.) mit Kolleginnen, Quelle: Klaus Deuse
Susanne Cremer (M.) mit KolleginnenBild: Klaus Deuse

Die gelernte Hauswirtschafterin gilt als die Mutter aller tellerfertigen Eintöpfe aus der Dose in Deutschland - ob Bohne, Erbse oder Linse. Sie habe den Hausfrauen die Arbeit erleichtern wollen und deshalb Hülsenfrüchte zusammen mit Suppengrün und Einlage in Dosen verfrachtet. Dadurch entfiel das zeitraubende Einweichen der Hülsenfrüchte und das Reinigen der Zutaten. Mittlerweile ernährt das Unternehmen 60 Mitarbeiter. Zu den Kunden zählen große deutsche Hersteller und ausländische Unternehmen, die ihre Produkte auf den deutschen Markt bringen wollen. Und die wissen genau, warum sie die "The Food Professionals" von Gründungsmutter Köhnen engagieren: Sie habe, gesteht Friedrun Köhnen, immer den Massengeschmack und die Massenartikel gemocht. Hummer und Kaviar, das habe sie bewusst den Sterneköchen überlassen und sich hauswirtschaftlich lieber um die Tageskost der Deutschen mit den Tageszutaten gekümmert. Sie esse schließlich selbst gern und das dürfe man ihr auch ruhig ansehen.

Auf deutschen Gaumen abgeschmeckt

Ob Angeldorsch in Senfsauce oder Kartoffelsalat an einem neu entwickelten Joghurtdressing -der Gaumen von Mitarbeiterinnen wie Heike Jackowski muss zu jeder Tageszeit auf unterschiedliche Geschmacksherausforderungen vorbereitet sein. Doch einem Profi wie ihr, versichert die junge Frau, mache es nichts aus, schon morgens um halb neun Fisch oder Fleisch zu essen. Sie und die Mitglieder des Teams futtern sich schließlich nicht pappsatt, sondern konzentrieren sich auf die Abstimmung der deutschen Geschmacksnote. Tomatensaucen beispielsweise mögen Engländer dann besonders, wenn diese sehr süß sind, Holländer dagegen legen auf eine kräftige Curry-Note Wert und die Deutschen haben es gern fruchtiger. Da müsse man schon aufpassen, die Produkte dem deutschen Geschmack anzupassen, sagt Heike Jackowski.

Wer so oft in einer Bandbreite von einer neu entwickelten Bratkartoffelwürzmischung bis zum fertigen Grünkohl mit Mettwurst vorkosten muss, dem darf dennoch nicht der Appetit vergehen. Und das auch noch unter antizyklischen Bedingungen. Bereits im Frühling weihnachtlichen Gänsebraten oder im Winter Füllungen für Spargelröllchen zu verkosten, das ist kein Zuckerschlecken.

Autor: Klaus Deuse

Redaktion: Dеnnis Stutе