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Terrorziel Zug?

6. April 2004

In Europa häufen sich gefährliche Zwischenfälle an Bahngleisen: In Frankreich und Spanien wurden Sprengsätze gefunden, in Deutschland Metallplatten auf Schienen montiert. Motiv: unklar. Meistens zumindest.

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Diese Metallteile waren auf den Schienen montiertBild: AP

Sechs Metallplatten sorgen für Unruhe unter Deutschlands Reisenden: Am Wochenende vor Ostern hatten Unbekannte die Platten in Höhe des "Kamener Kreuzes" der Bundesautobahn A 1 auf der ICE-Strecke Köln-Berlin befestigt. Normalerweise rast der Schnellzug dort mit 160 Stundenkilometern durch. Der Fahrer des Zuges konnte durch eine scharfe Bremsung ein Unglück verhindern. Keiner der 200 Passagiere wurde verletzt. Wäre der Zug entgleist, hätte er auf die stark befahrene Autobahn stürzen können.

ICE Bahn Anschlag Deutschland Kamen
Bild: AP

Wer auch immer die Platten montiert hat, muss die Aktion gründlich geplant haben: Immerhin wiegt jede der sechs Platten 17, 5 Kilogramm. Als sicher gilt, dass es sich sowohl bei den Platten als auch bei den Schrauben nicht um gängige Artikel aus Baumärkten handelt. Die Polizei geht davon aus, dass eine Gruppe und keine Einzelperson hinter dem Vorfall steckt. Nach dieser mysteriösen Tat sind viele Bürger besorgt.

Warum?

Polizei und Staatsanwaltschaft in Nordrhein-Westfalen tappen hinsichtlich Motiv und Täter völlig im Dunkeln. "Anhaltspunkte für einen politischen oder terroristischen Hintergrund gibt es nach derzeitigem Stand nicht", sagte ein Sprecher der Dortmunder Staatsanwaltschaft am Montag (5.4.). "Denn dann wäre zu erwarten, dass schon ein Bekennerschreiben aufgetaucht wäre."

Befürchtungen werden laut, dass Tausende Kilometer unbewachter Streckenabschnitte mögliche Anschlagsziele für Terroristen werden könnten. Die Spekulationen werden erhärtet durch den Fund einer Bombe nahe einer Bahnstrecke in Spanien. Die Bombe wurde drei Wochen nach dem verheerenden Anschlag am 11. März 2004 entdeckt. Damals wurden 191 Menschen getötet und 1800 verletzt.

Europa in erhöhter Alarmbereitschaft

Nach dem Attentat in Madrid verschärften auch die französischen Behörden ihre Sicherheitsmaßnahmen auf allen Bahnhöfen. Denn auch in Frankreich wurde Sprengstoff in der Nähe von Bahngleisen gefunden. Nahe der Stadt Troyes, 200 Kilometer östlich von Paris, stießen Bahnmitarbeiter auf einen Sprengsatz. Ein weiterer Fund hielt die Polizei im März in Atem: Damals war explosives Material in Mittelfrankreich Schienen versteckt worden.

Gepäck
Bild: AP

Die mysteriöse Bahnerpresserbande AZF bekannte sich zu den gefundenen Bomben. Daraufhin erhöhte die französische Regierung den Schutz auf Bahnhöfen, U-Bahn-Stationen und dem Flughafen in Paris. 500 zusätzliche Polizeibeamte und 250 Soldaten wurden für den Sondereinsatz versetzt. Alarmstufe rot wurde ausgerufen - der zweithöchste Alarmcode, den es unter den vier Codes gibt.

Sisyphosarbeit

Wenn das Schienennetzwerk in Europa zunehmend Ziel terroristischer Anschläge sein sollte, dann stünden die Innenminister der Länder vor einer Mammutaufgabe: alle Bahnhöfe Europas angemessen schützen. Wie das wohl funktionieren soll bei einem Kontinent mit über zehn Millionen Quadratkilometern Landmasse und Bahnhöfen nicht nur in belebten Großstädten, sondern auch an (fast) jedem abgelegenen Eckchen?! Deutschland alleine besitzt über 40.000 Gleiskilometer. Und die französische Eisenbahngesellschaft koordiniert täglich zwischen 12.000 und 14.000 Züge mit über drei Millionen Fahrgästen.

Lücken im Sicherheitsnetzwerk

In zusätzlichem Polizeiaufgebot und Soldaten, die die Bahnhöfe von London bis Rom überwachen, sehen Experten zwar eine Erhöhung der Sicherheit. Aber der Fund von explosiven Sprengsätzen und die Anschläge auf Züge außerhalb größerer Ballungsgebiete zeigen, dass der Terror auch außerhalb der offensichtlichen Ziele zuschlagen kann. "Wie kann man diese Umgebungen schützen?", fragte Rolf Tophoven, ein prominenter deutscher Terroristenexperte in einem Interview mit der "New York Times". "Man kann mehr Polizei einsetzen. Aber nicht jedes Gepäckstück durchsuchen. Es ist unmöglich eine 100-prozentige Sicherheit zu bieten."

U-Bahn in Frankfurt
Bild: AP

Die Bedrohung konzentriert sich nicht allein auf das europäische Bahnnetzwerk. In den Vereinigten Staaten haben Beauftragte der Bundes-Anti-Terror-Einheiten ein Merkblatt an alle Polizeistationen verteilt. Sie warnten in der ersten Aprilwoche davor, dass Terroristen möglicherweise diesen Sommer Bombenanschläge auf Züge und Busse verüben könnten. (nda/bei)