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Gesellschaft

"Gegen-Narrative schaffen"

Christina Ruta22. September 2016

Der Hinweis für die Festnahme des 16-jährigen syrischen Flüchtlings in Köln kam von einem muslimischen Verband. Marwan Abou Taam vom Landeskriminalamt erklärt die Rolle der Verbände im Kampf gegen den Terror.

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Gebetsraum einer DiTiB- Moschee mit Imam
Bild: picture-alliance/dpa/D. Naupold

DW: Ist es ein Einzelfall, dass ein muslimischer Verband den deutschen Behörden einen derartigen Tipp gibt?

Marwan Abou Taam: Die Polizei steht in fast allen Bundesländern im intensiven Dialog mit islamischen Vereinen, Beamte sind in den Kommunen vor Ort. Dort ist im Laufe der letzten Jahre durch persönliche Kontakte eine Vertrauensbeziehung entstanden. Das heißt, die Wege sind kürzer geworden und Kommunikationsbarrieren wurden abgebaut. So können auch solche Informationen fließen. Allerdings können wir aktuell nur von einer sehr geringen Anzahl solcher Anzeigen sprechen.

Warum ist das so?

Das hängt damit zusammen, dass sich die radikale Szene typischerweise nicht in die Gemeinden begibt, die tatsächlich in Kontakt mit der Polizei stehen. Wir haben ja einerseits die Strukturen des 'legalen Islams' in Deutschland und wir haben Strukturen, die eher salafistisch sind. Zu den Salafisten gibt es natürlich kein Vertrauensverhältnis seitens der Polizei.

Die Islamverbände in Deutschland stehen zum Teil in der Kritik, sich nicht ausreichend vom Extremismus zu distanzieren - insbesondere die Ditib in Nordrhein-Westfalen. Aber von genau von diesem Verband kam jetzt auch der Hinwei. Wie passt das zusammen?

Die Ditib ist dezentral in verschiedenen Gemeinden strukturiert. Wenn die Gemeinde vor Ort mit der Polizei kooperiert, ist das etwas anderes, als wenn wir vom ganzen Dachverband sprechen, der politische Positionen vertritt. Problematisch ist die Ditib vor allem deswegen, weil der Verband sehr stark am türkischen Staat orientiert ist und damit starkem Einfluss von außen unterliegt.

Wie präsent sind die muslimischen Verbände in Flüchtlingsunterkünften?

Porträt - Dr. Marwan Abou Taam
Marwan Abou Taam vom LKA Rheinland-PfalzBild: privat

Die Flüchtlinge suchen von sich aus Gebetshäuser auf. Deshalb kommt den religiösen Gemeinden und insbesondere den Theologen dort eine ganz große Verantwortung zu, weil eben beim islamischen Extremismus auf Grundlage der Religion radikalisiert wird.

Wenn Gewalt mit Religion begründet wird, so kann sich die Religion nur selbst wehren, wenn sie Gegen-Narrative entwickelt. Dem Radikalismus kann nur durch Narrative, die aus den Gemeinden kommen, glaubhaft entgegnet werden. Das heißt, es ist glaubwürdiger, wenn ein Imam sagt, 'nein, das was Ihr lehrt, ist nicht der Islam', als wenn es ein Sozialarbeiter tut.

Passiert dort denn genug?

Da sehe ich noch sehr große Schwächen. Wir haben innerhalb der muslimischen Gemeinden eine gewisse strukturelle und qualifikationsbedingte Überforderung. Dort gibt es nicht ausreichend theologisches Wissen und Kapazität, um auf den Radikalismus reagieren zu können.

Die große Frage ist, wie sich die Gemeinden diesbezüglich anpassen. Wir haben dort meist Laientheologen, die eher religiöse Praxis betreiben, als sich geistig mit dem Phänomen der Radikalisierung, der Gesellschaft und den Problemen der Jugend auseinanderzusetzen. Das trägt dazu bei, dass junge Menschen in radikale Szenen gehen, wo sich mit ihnen in einer Jugendsprache unterhalten und ihnen scheinbar auch religiös etwas gegeben wird.

In den muslimischen Gemeinden sitzen meist Leute, die übersetzen können, die sagen können, wo man welchen Arzt findet. Man kann dort tatsächlich auch eine soziale Betreuung feststellen. Wenn Flüchtlinge hier an die Falschen geraten, kann es passieren, dass eine Abhängigkeit entsteht, die in die Radikalität führen kann.

Wie genau beobachten denn islamische Verbände, was ihre Mitglieder oder Besucher der von ihnen betriebenen Moscheen so treiben?

Eine Gemeinde ist zunächst einmal ein Verein und hat Vereinsmitglieder, die sich untereinander oder auch den Vorstand kennen. Zu den Gebetszeiten stehen die Moscheen aber offen und jeder, der beten will, kann da rein. Der Imam vorne weiß also nicht immer, wer hinter ihm betet. Wenn Gemeinden merken, dass sich bestimmte Personen mit bestimmten Vorstellungen dauerhaft und intensiv der Gemeinde zuwenden, haben sie ein Eigeninteresse daran, sich an die Polizei zu wenden.

Dr. Marwan Bou Taam ist Experte für internationalen Terrorismus, innere Sicherheit und Salafismus. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz.

Das Interview führte Christina Ruta