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Islamisten nutzen das Internet

Machmud Tawfik19. Juni 2007

Eine neue Generation von do-it-yourself-Jihadisten ist entstanden - das ist das neue Gesicht der weltweiten Terrororganisation El-Kaida. Sie breitet sich planlos aus, wie ein Geschwür – vor allem dank Internet.

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Tschetschenische Mudschaheddin im Gefecht, das ganze unterlegt mit singenden Chören und Glaubensparolen - ein Propagandavideo des Terrors, gefunden im Internet, im modernen Hinterzimmer islamistischer Terroristen. In einem von zahlreichen Islamistenforen unter der Rubrik ,,Audio- und Videomaterial‘‘. Dort, wo auch die jeweils aktuellste Videobotschaft des Terrorführers Ayman al-Zawahiri zu finden ist. Oder Anleitungen zum Bombenbau, mit wackliger Amateurkamera gefilmt. Oder wie wäre es mit einem Video des verstorbenen Terrorführers Abu Musab al-Zarkawi bei seinen täglichen Schießübungen?

Eine Schule des Terrors - Online

“Die Entwicklungen der letzten Jahre laufen darauf hinaus, dass sich junge Muslime im Alleingang radikalisieren können,“ sagt der Israeli Reuven Paz, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Terrorismusforschung. Man müsse nicht mehr nach Afghanistan reisen oder in eine Madrassa in Pakistan gehen, um für den Jihad ausgebildet zu werden: „Es geht auch von Zuhause aus, eben übers Internet.”

Eine neue El-Kaida dank Internet - und dank einer Vielzahl von Hobby-Islamisten, die vielleicht aus purer Langeweile in Terrorforen herumstöbern, hier mal ein Terrorvideo herunterladen, da mal einen gefährlichen Link weiterleiten. Sicherlich kommt die Organisation weiterhin nicht ohne selbstmordwillige Attentäter und Afghanistan-Veteranen aus, die ausgeklügelte Terrorplots entwerfen – aber noch viel wichtiger scheinen all jene Sympathisanten und Freizeitislamisten, die sich aktiv daran beteiligen, die neue Infrastruktur des Terrors weiter auszubauen. Erst sie machen das Netzwerk zu dem, was es heute ist: zu einer allgegenwärtigen, schwer zu greifenden Bedrohung.

Überwachen und Strafen

Die Sicherheitsbehörden stehen vor einer enormen Herausforderung. “Natürlich beobachten alle Verfassungsschutzbehörden das Internet daraufhin ob irgendwelche Organisationen oder Einzelpersonen solche Videos ins Netz stellen, und welche Videos sie ins Netz stellen und wie sie sich verändern“ - so Hartwig Möller, der Leiter des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes.

Längst wurde die Bedrohung durch das Internet erkannt. Mittel wurden aufgestockt, um das Internet besser im Auge behalten zu können; weiterreichende Maßnahmen wurden angekündigt, für die jedoch zuerst die rechtliche Grundlage geschaffen werden muss. Beispielsweise für die derzeit höchst umstrittene Online-Durchsuchung, bei der eine private Festplatte quasi mittels Fernsteuerung auf verdächtige Inhalte untersucht werden kann. Droht also der totale Überwachungsstaat?

Bei solchen Horrorszenarien kann der Verfassungsschützer Hartwig Möller nur den Kopf schütteln. Eine Online-Durchsuchung beispielsweise sei so aufwendig, dass man sie unmöglich auf breiter Basis durchführen könne. Entsprechend sei sie immer die letzte Wahl.

Meinungsfreiheit für Cyberjihadisten?

Wie schwer sich Deutschland mit den neuen Herausforderungen tut, zeigt auch der Fall des Irakers Ibrahim R. Er wurde der Öffentlichkeit als Deutschlands erster Cyberjihadist präsentiert – das war vor mehr als einem halben Jahr. Seither läuft ein kompliziertes Ermittlungsverfahren gegen ihn, das den höchst umständlichen Umgang der Behörden mit dem Thema Internet-Terrorismus treffend veranschaulicht. Mühsam müssen sie erst einmal durchdeklinieren, ab wann man als wichtiges Rad in der Maschinerie des Terrors gilt und entsprechend beschattet und gegebenen falls rechtlich belangt werden darf. Ibrahim R. soll Dutzende von Videobotschaften von Terroranführern ins Netz gestellt haben. Darin sieht sein Anwalt Klaus Rüther jedoch noch lange keinen Grund für einen Schuldspruch. “Selbst wenn er allgemeiner Unterstützer eines Jihad wäre,“ sagt Rüther, „selbst dann würde ich ihm das Recht zugestehen, das zu äußern, was er äußert, ohne dass es strafbar ist.“ Ginge es allerdings um Rekrutierung von Anhängern oder Geldsammlungen – dann wäre laut Rüther natürlich eine Grenze überschritten.

Der Fall des ersten deutschen Cyberjihadisten wirft ganz grundsätzliche Fragen auf, die so leicht nicht zu beantworten sind. Ab wann macht man sich strafbar? Bis zu welchem Punkt fallen Meinungsäußerungen noch unter die Kategorie “Sympathiebekundung” – was laut Gesetz nicht strafbar ist? Wo hört die Meinungsfreiheit auf? Darf sie angesichts des Sicherheitsrisikos bei Islamisten vielleicht sogar früher enden als bei anderen?