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Telekom: Speed-Dating für Flüchtlinge

Dirk Kaufmann
24. November 2017

Um Flüchtlinge in unsere Gesellschaft zu integrieren, reicht es nicht, ihnen zu essen und eine Wohnung zu geben. Sie brauchen auch Arbeit und gesellschaftliche Anerkennung. Die Telekom hat da eine Idee gehabt.

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Deutsche Telekom Hauptverwaltung in Bonn
Bild: picture-alliance/dpa

2016 gründeten deutsche Unternehmen die Initiative "Wir zusammen". Drei Dutzend große und mittelständische Unternehmen wollten dazu beitragen, Flüchtlinge zu integrieren, in dem sie ihnen Ausbildungs- und nach Möglichkeit auch Arbeitsplätze anbieten. 36 Unternehmen waren anfangs dabei, inzwischen sind es rund doppelt so viele.

Eine der Firmen ist die Deutsche Telekom mit Sitz in Bonn. Die Fernmelder des ehemaligen Staatsunternehmens Deutsche Bundespost beschäftigen weltweit rund 218.000 Mitarbeiter und haben immer Bedarf an neuen, jungen Mitarbeitern.

Bevor die Telekom Flüchtlinge ausbildet, bietet sie geeigneten Bewerbern ein halbjähriges bezahltes Praktikum an. Wer geeignet ist oder nicht - das will die Telekom allerdings selbst entscheiden. Nicht Schul- oder Universitätsabschlüsse und gut dokumentierte Arbeitsbiografien, die Flüchtlinge in der Regel gar nicht vorlegen können, sind entscheidend. Sondern, getreu dem selbst formulierten Motto "Die Persönlichkeit zählt", soll der persönliche Eindruck der Aspiranten entscheiden. Und den wollen die Telekom-Manager in Gesprächen am "Bewerbertag" gewinnen.

Ein guter Eindruck ist entscheidend

Was die Deutsche Telekom Ende November in ihrem Hauptgebäude in Bonn veranstaltet, nennt Birgit Klesper, "Senior Vice President der Group Corporate Responsibiliy", zwischendurch einmal locker ein "Speed-Dating". Ein Vergleich, der nicht weit hergeholt ist: Die Bewerber unterhalten sich in mehreren Interviews mit Mitarbeitern verschiedener Abteilungen, die so einen ersten Eindruck bekommen: von den Deutschkenntnissen, der Mentalität, den persönlichen Wünschen und Vorstellungen und einer eventuellen Eignung für diese oder jene Tätigkeit.

Besteht ein Kandidat in diesen Gesprächen, erhält er dafür eine Praktikantenstelle für sechs Monate. Die ersten Erfahrungen mit den neuen Mitarbeitern führten mitunter dazu, so Birgit Klesper, dass ein Abteilungsleiter zu der Auffassung kommt, dieser oder jener Praktikant passe doch eher in eine andere Abteilung - und einen anderen Praktikanten hätte man dafür lieber in den eigenen Reihen.

Deutschland Bewerbertag Deutsche Telekom in Bonn
Begrüßung und Einführung der Aspiranten beim "Bewerbertag" im Foyer der Deutschen Telekom.Bild: D. Kaufmann

Die Angst ist immer noch da

Im Foyer des Telekomgebäudes nimmt Katja Werz, die Pressesprecherin des Unternehmens, eine Handvoll Journalisten in Empfang und führt sie durch das Gebäude zum Info-Point des Bewerbertages. Eine erste Überraschung präsentiert sie aber bereits im Foyer. Dort werden nämlich die Kandidaten versammelt und ein Mitarbeiter in einem Magenta-roten Telekom-T-Shirt erklärt ihnen dort die Grundsätze des Unternehmens.

Dieser Mitarbeiter ist Badr aus dem Irak. Badr nämlich hat eine solche Bewerbung schon erfolgreich absolviert und ist jetzt Praktikant. Er erläutert den Anwärtern die Unternehmenskuiltur. Und zwar auf deutsch. Es wird nicht klar, was und wie viel die jungen Flüchtlinge verstehen - es wird sich hinterher zeigen, dass nicht jeder von ihnen schon deutsch spricht - doch alle sind aufmerksam und interessiert.

Badr hat im Irak Physik studiert und arbeitet jetzt in der Kommunikationsabteilung. Als ich ihn frage, ob er etwas dagegen habe, in Wort und Bild Teil dieser Reportage zu werden, lächelt er nur und stimmt zu. Einzige Bedingung: Sein Nachname soll nicht erwähnt werden. Fast jeder Flüchtling hat noch Familie in seinem Herkunftsland und möchte vermeiden, dass Verwandten oder Freunden Nachteile entstehen. Deshalb haben die Flüchtlinge in diesem Bericht entweder keinen Namen oder nur ihren Vornamen.

Sprachlich flexibel

Am Info-Point - hier warten und entspannen sich bei Kaffee und orientalischem Gebäck die Bewerber vor und zwischen ihren Interviews - erklärt Badr einem Interessenten, der nicht genau weiß, was er hier erwarten kann, welche Möglichkeiten es für ihn gibt. Der junge Mann ist nämlich Jurist und kann seine Abschlüsse in Deutschland nicht gebrauchen. Nach einem Gespräch über die Interessen und die Fähigkeiten des jungen Mannes rät ihm Badr schließlich, über eine kaufmännische Ausbildung nachzudenken und das auch im Bewerbungsgespräch so deutlich zu machen.

Deutschland Bewerbertag Deutsche Telekom in Bonn
Badr - der Physiker aus dem Irak ist inzwischen Praktikant bei der Deutschen Telekom.Bild: D. Kaufmann

Majed aus Syrien hat ihr erstes Gespräch bereits hinter sich und lächelt etwas unsicher, aber durchaus zuversichtlich. Als ich sie frage, wie es denn so gelaufen sei, sagt sie, sie habe ein gutes Gefühl, aber es sei ja noch früh - mal sehen. In ihrer Heimat hat sie als Sekretärin gearbeitet und sie hofft, hier eine entsprechende Ausbildung machen zu können. Sie antwortet auf englisch - aber deutsch lerne sie bereits.

Mein Eindruck ist, dass sie das mit der Sprache wohl hinbekommen wird. Außerdem erzählt mir Katja Werz hinterher, dass es zur Unternehmenspolitik gehört, immer dann englisch zu sprechen, wenn ein Mitarbeiter einem Gespräch auf deutsch nicht folgen könne.

Fantasie ist gefragt

Während in den Büros um uns herum das "Speed-Dating" seinen Lauf nimmt, stellt mir Barbara Costanzo, die Projektleiterin von "Telekom hilft", drei junge Männer vor, die schon ein Praktikum in der Bonner Firma absolvieren. Auch sie sind ein Beispiel dafür, wie flexibel die Flüchtlinge sein müssen - und wohl auch sind. Ein junger Mann aus Syrien antwortet auf die Frage, was er in seiner Heimat gemacht habe, er habe "Tourismus" studiert. Sein Praktikum macht er nun in der Kommunikationsabteilung.

Das sei typisch, sagt Barbara Costanzo. Und das sei auch das Problem, wenn die jungen Leute auf der Suche nach einer Arbeit oder einem Ausbildungsplatz den normalen Weg gehen: Die Arbeitsagenturen versuchten immer noch, einen Menschen in dem Beruf oder wenigstens in der Branche unterzubringen, in dem er oder sie schon tätig gewesen ist. Beim Bewerbertag der Telekom dagegen könne man viel flexibler und auch fantasievoller auf den Bewerber und seine Fähigkeiten eingehen.

Wer mit Touristen umzugehen gelernt habe, so Barbara Costanzo, sei wahrscheinlich ein kommunikativer Mensch, der könne vielleicht auch in einer anderen Branche gut mit Menschen umgehen. Die Zusammenarbeit mit den Arbeitsagenturen, sagt die Projektleiterin auf Nachfrage, sei schon gut - aber bei einem Bewerbertag gehe es eben deutlich weniger bürokratisch zu.

Deutschland Bewerbertag Deutsche Telekom in Bonn
Gespräche und wertvolle Tipps, aber auch Ruhe und Entspannung bei Kaffee und Gebäck am Info-PointBild: D. Kaufmann

Mundpropaganda und soziale Medien

Die jungen Menschen ihrerseits sind auch nicht auf Empfehlung des "Arbeitsamtes" hier. Einige haben von Freunden erfahren, dass es den Bewerbertag gibt, andere haben davon über die sozialen Medien erfahren. "Bei Facebook" - das höre ich mehr als einmal. Majed aus Syrien hat ihr Ehemann von der Telekom-Initiative erzählt, in die sie jetzt große Hoffnung setzt.

Für Majed gilt, was bei allen Bewerbern zu spüren ist: Schüchtern ist sie nicht. Ruhig und zurückhaltend, aber durchaus selbstbewusst wirken die Aspiranten, während sie auf ihr Gespräch warten. Dabei sind sie allerdings mit ihrem Gesprächspartner allein - das findet hinter geschlossenen Türen statt.

Insofern sind diese jungen Menschen vielleicht nicht typisch für einen Flüchtling - wenn es den Flüchtling überhaupt geben sollte. Aber das hat auch System: Der Bewerbertag spricht Menschen an, die von sich aus initiativ werden und eine offene Herangehensweise haben. Und das ist andererseits offenbar auch das, was die Telekom von ihren Bewerbern erwartet.

Mehr als ein heißer Tropfen?

Ob das Telekom-Projekt nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, lässt sich nicht sagen. Tausende Flüchtlinge lassen sich so wahrscheinlich nicht integrieren. Mit Zahlen ist man bei der Deutschen Telekom in dieser Hinsicht zurückhaltend. Barbara Costanzo weist darauf hin, dass das Projekt erst ein Jahr läuft. Daher könne sie meine Frage nicht beantworten, wer es von einem Praktikum zu einem Ausbildungsvertrag schafft oder später vielleicht einen Arbeitsvertrag bekommt.

Zu Beginn des Projektes gab es, erinnert sich Birgit Klesper, ungefähr genau so viele Bewerber wie es Plätze für Praktikanten gab. Das habe sich geändert, jetzt kämen schon deutlich mehr. Etwas präziser ist Projektleiterin Costanzo: "Wir haben 115 Praktika vergeben in diesem Jahr. Wir haben 340 Flüchtlinge in diesem Jahr gehabt und das ist so eines der größten Projekte in Deutschland."

Wenn auch die anderen Firmen in der Initiative "Wir zusammen" Projekte durchführen, wie die Telekom mit ihrem "Bewerbertag", kämen allerdings schon mehrere "Tropfen auf dem heißen Stein" zusammen.