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100 Jahre Tel Aviv

6. April 2009

"Das wird hier nichts", soll Winston Churchill im Qualm seiner Zigarre gegrummelt haben, als Palästina noch britisch verwaltet war und Architekten Tel Aviv planten. Heute feiert die Metropole ihren 100. Geburtstag.

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Religion spielt in Tel Aviv keine große Rolle, Foto: DW/ Rottscheidt
Religion spielt in Tel Aviv keine große RolleBild: DW/Rottscheidt

Bei Abulafia stehen die Kunden Schlange: In der Luft liegt der Geruch von frisch gebackenem Brot und Gewürzen, die Theke biegt sich unter der Last fein säuberlich gestapelter Sesamringe, Pitafladen und Honigkeksen. Im Herzen von Yafo, im Süden von Tel Aviv, ist der Bäcker schon eine Institution. Seit über 125 Jahren hat die arabische Familie Abulafia hier ihr Geschäft. Genüsslich beißt Yehudith Livnat in eine warme Teigtasche - schon als Kind kam hier her. Sie ist in den 1950-er Jahren in Yafo aufgewachsen.

"Das war ein Paradies für uns, barfuss sind wir nach der Schule zum Strand gelaufen und haben verstecken gespielt!“, erinnert sie sich an ihre Kindheit in der Stadt mit den hellen Steinen und den engen verwinkelten Gassen. Sauber war Yafo nie. Ein Sprichwort besagt, dass in Yafo die Ratten die Katzen verjagt hätten, erzählt Yehudith lachend.

Es wird eng

Yafo ist eine der ältesten Hafenstädte der Welt und war in den vergangenen 5000 Jahren stark umkämpft. Sie wurde beherrscht von Phöniziern, Griechen, Römern, von Kreuzfahrern und türkischen Kreuzfahrern. Der Prophet Jona wurde hier nach biblischer Überlieferung vom Wal verschluckt und sogar Napoleon soll hier gewesen sein. Und Ende des 19. Jahrhunderts setzte die erste "Alija“ ein: Rund 20.000 Juden aus Osteuropa kamen als Reaktion auf die Unterdrückung und die Verfolgung der Juden nach Israel; viele ließen sich in Yafo nieder, bis die Stadt irgendwann aus allen Nähten platze.

Und weil es immer voller wurde, zogen zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten jüdischen Familien aus, um vor den Toren Yafos ihre eigenen Siedlungen zu gründen: Außerhalb der arabischen Hafenstadt wollten sie ein jüdisches Viertel - eine Gartenstadt - errichten. Am 11. April 1909 trafen sich 66 Familien in den Sanddünen am Mittelmeer um den Grundstein dafür zu legen. Der Legende nach nummerierten sie eine Hand voll Muscheln entsprechend den Landparzellen, die sie gekauft hatten, und ließen dann das Los über die Verteilung entscheiden.

Yehudith Livnat ist in Yafo aufgewachsen, Foto: DW/ Rottscheidt
Yehudith Livnat ist in Yafo aufgewachsenBild: DW/Rottscheidt

Die größte Bauhaus-Siedlung der Welt

Die kleine Gartenstadt mit ihren mit Schindel gedeckten Häusern wuchs schnell unter dem Druck der Einwanderungswelle aus Europa, vor allem nach der Machtergreifung der Nazis in Deutschland 1933 Innerhalb weniger Jahre verdreifachte sich die Einwohnerzahl auf 150.000. Unter ihnen waren auch viele Menschen, die in Deutschland mit den Ideen der Bauhausschule in Kontakt gekommen waren. Architekten wie Zeev Rechter oder Richard Kauffmann ließen dort mit mehr als 4000 Gebäuden die größte Bauhaus-Siedlung der Welt entstehen.

Als Name wählten die neuen Städter "Tel Aviv“: Der Name der Stadt bedeutet übersetzt "Frühlingshügel“ und ist zugleich der hebräische Titel von Theodor Herzls Roman: "Alt-Neuland“. Dem Vater des Zionismus schwebte eine neue, jüdische Gesellschaftsordnung in Palästina vor. Tatsächlich wurde Tel Aviv auch die erste jüdische Stadt – doch heute spielt Religion eine untergeordnete Rolle, sagt der junge Tel Aviver Doron: "Die Stadt ist wie in einer Blase“, sagt er. "Hier geht es nicht um Religion und Politik. Wir leben im hier und jetzt: wir gehen zum Strand und feiern Partys. Hier wird gelebt!“

Stadt Tel Aviv in Israel
In Tel Aviv pulsiert das LebenBild: DW/Rottscheidt

Tel Aviv - eine Blase

Tel Aviv ist nicht wie der Rest des Landes, denn der Nahostkonflikt ist in Tel Aviv nicht präsent. Die Problematik in und um den Gazastreifen, der nur knapp 70 Kilometer weiter südlich liegt, scheint in Tel Aviv so weit weg zu sein. Dort bekommt man nichts mit vom täglichen Raketenbeschuss, den gesperrten Grenzen und der wirtschaftlichen Not, die ein normales Leben in Gaza unmöglich machen. Und abgesehen von einigen Angriffen der italienischen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg und den irakischen Skud-Raketen, die während des zweiten Golfkrieges in der Stadt einschlugen, war Tel Aviv immer eine kriegsfreie Zone.

Genauso ist es mit Jerusalem, der frommen Stadt, in der die Regierung ihren Sitz hat. Während dort am Freitagnachmittag alles in religiöser Andacht erstarrt, haben in Tel Aviv immer mehr Restaurants, Kinos und Kneipen auch am Shabbat geöffnet. Jerusalem sei mit Geschichte überladen, sagt Doron: "Du gräbst ein paar Meter und findest 5000 Jahre alte Geschichte. Da werden sich die Menschen auch noch die nächsten 10.000 Jahre drum streiten!“

In Tel Aviv feiern israelische und arabische Schwule derweil gemeinsame Paraden, ein chinesischer Händler bietet in seinem "Kingdom of Pork“ seine unkoscheren Waren an – auch am Shabbat. Einkaufszentren, Designerläden und angesagte Clubs sind die Pilgerstätten der Tel Aviver. Tel Aviv ist eine junge Stadt und so benimmt sie sich auch. Weniger als eine Autostunde ist Jerusalem entfernt – und doch scheint sie von Tel Aviv weiter weg als der Mond.

Autorin: Ina Rottscheidt

Redaktion: Diana Hodali