Tauschen gegen die Krise
8. Juni 2009
In brauner Fellmütze, einem Wildledermantel mit Fellkragen und Schneestiefel schaut Ex-Oligarch German Sterligow im Stall nach seinen Tieren. 2004 war Sterligow noch Multimillionär und wollte Wladimir Putin als Präsident ablösen - doch die Wahlkommission strich ihn von der Kandidatenliste. Da er nicht nur eigenes, sondern auch fremdes Geld in den Vorwahlkampf gesteckt hatte, war er pleite.
Das Luxusleben auf der Moskauer Millionärsmeile Rubljowka war vorbei. „Ich verlor meine Arbeit, meine Büros, mein Haus – alles außer meiner geliebten Familie“, sagt Sterligow. Mit dieser habe er dann von vorne angefangen – mit dem Bau eines Holzhauses im Wald. „Ich bin froh darüber, dass ich dieses Leben kennen gelernt habe - als freier Mensch, der an der frischen Luft arbeitet, nicht als Sklave der Stadt.“
Seit dem Bankrott wollen die Sterligows so ursprünglich leben wie möglich. Ihr Haus hat zwar Strom und fließend Wasser, aber es ist spartanisch mit selbst gezimmerten Holzmöbeln eingerichtet und liegt weit außerhalb. Die vier Söhne werden zu Hause unterrichtet, ihre Freizeit verbringen sie im Werkraum oder in der Landwirtschaft. Fernseher und Computer gibt es nicht.
Mit einer Idee durch die Krise
Doch seit Beginn der Finanzkrise hat das ruhige Waldleben für German Sterligow ein Ende: Nun fährt er täglich nach Moskau, um dort gegen die Krise zu kämpfen. „Um nichts in der Welt wäre ich nach Moskau zurückgekehrt. Aber ich habe Angst davor, dass meine Kinder Opfer eines Atomkriegs werden. Denn dazu könnte es kommen, wenn einige Regierungen auf der Welt internationale Konflikte provozieren, um die Bevölkerung von den Folgen der Wirtschaftkrise im eigenen Land abzulenken“, erklärt er.
Deshalb hat Sterligow Anfang 2009 ein internationales Waren-Tauschnetzwerk für Firmen gegründet. Das Hauptquartier des so genannten Antikrisenzentrums befindet sich im Finanz-Viertel Moskau City. Wer Liquiditätsprobleme hat, kann seine Ware durch das Antikrisenzentrum registrieren lassen und sich dann im Internet Angebote potenzieller Tauschpartner ansehen. Kredite und teure Zwischenhändler sollen so umgangen werden – das ist die Idee Sterligows.
Banken werden überflüssig
Das gefällt auch dem Unternehmer Waleriy Klimow, der gerade von einem Mitarbeiter des Antikrisenzentrums beraten wurde. „Diese Möglichkeit, mit der Krise umzugehen, hat mich überzeugt“, sagt er. Klimow möchte Baugeräte im Wert von 20.000 Euro gegen Baumaterial tauschen. „Ich probiere es einfach mal aus.“ Eine andere Möglichkeit bleibt ihm auch kaum, denn ihm geht das Geld aus. Kredite könnten ihn zwar vor der Pleite retten, aber die sind momentan nur mit hohen Zinsen zu bekommen – wenn überhaupt.
Sterligow will ein weltweites Netz regionaler Tauschzentren aufbauen, damit auch internationale Firmen mittauschen können. Langfristig will er sie den jeweiligen Regierungen übergeben. „Wenn Regierungen weltweit unser System übernehmen und ihre finanziellen und politischen Möglichkeiten hineinstecken, wird das Antikrisensystem seine Wirkung erst richtig entfalten. Dann wird Handel weltweit fast ohne Banken und Kreditgeber möglich. Und auch die Leute, die bisher auf dem Rücken anderer Geld verdient haben, müssen arbeiten“, erklärt er.
Wenn die Krise mit seiner Hilfe gelöst ist, möchte Sterligow so schnell wie möglich in den Wald zurückkehren. Und er hofft, dass durch die Krise mehr Menschen seinem Beispiel folgen und zum ursprünglichen Leben zurückfinden.
Autor: Mareike Aden
Redaktion: Richard Fuchs / Julia Kuckelkorn