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Politik

Geflohen, getauft, anerkannt?

22. Dezember 2016

Sie fliehen vor Teherans Geheimpolizei und konvertieren zum Christentum. In Deutschland lassen sich tausende Flüchtlinge aus dem Iran taufen. Doch was die Kirchen freut, löst bei den Ausländerbehörden Skepsis aus.

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Deutschland Berlin Kerzen mit Namen Taufe Flüchtlinge aus Iran
Bild: Imago/epd

Die Krypta ist voller Stimmengewirr. Ehrenamtliche Gemeindehelfer schenken heißen Tee aus. Auf dem steinernen Fußboden stehen Kisten mit Arbeitsbüchern über christliche Glaubenslehre in Arabisch und Farsi. Die Lehrbücher sollen die rund 30 Flüchtlinge auf ihre Taufe vorbereiten.

Plötzlich kehrt eine angespannte Stille ein. Der evangelische Gemeindepfarrer, der weder seinen Namen noch den Ort seiner Kirchengemeinde veröffentlicht wissen möchte, weil er wegen seines Beistandes für Flüchtlinge bedroht wird, hat schlechte Nachrichten.

"Wir haben die ersten Abschiebungen in den Iran, hier aus unserer Gruppe", sagt er, und im Raum herrscht nun absolutes Schweigen. Dann folgt sein Ratschlag: "Erzählt dem Richter von eurem Glauben und verteilt christliche Schriften auf dem Weihnachtsmarkt. Sonst sagt der Richter, privat beten könnt Ihr auch im Iran."

Erst Muslim, dann Christ

Geflüchtet, getauft, anerkannt? Als sich im Herbst 2015 die Grenzen nach Europa öffneten, kamen nicht nur Kriegsflüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak über die Balkanroute nach Deutschland. Im Treck der Schutzsuchenden befanden sich auch viele Iraner, die vor dem Regime der Mullahs flohen.

Deutschland Berlin Taufe Flüchtlinge aus Iran
Zeigt sich öffentlich: Vorreiter Pfarrer Gottfried Martens von der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in Berlin-Steglitz tauft iranische Flüchtlinge. Zu der Gemeinde gehören mittlerweile über 400 Konvertiten Bild: Imago/epd

25.655 Menschen aus der Islamischen Republik stellten laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zwischen Januar und November 2016 einen Asylantrag in Deutschland. Die Schutzquote liegt bei 50 Prozent. Zum Vergleich: Zwischen Januar und November 2015 lag die Zahl der Antragsteller bei gerade einmal 4.454 Menschen.

Einer von ihnen ist der 31-jährige Elia. Dem Sportlehrer aus Teheran gelang mit Hilfe eines Schleppers die Einreise nach Deutschland, er schlug sich über die Balkanroute bis nach Deutschland durch. Hier konvertierte er zum Christentum und ließ sich in einer evangelischen Gemeinde in Nordrhein-Westfalen taufen.

Im August hatte er nach acht Monaten Wartezeit seine erste Anhörung im BAMF. "Ich war froh, endlich frei sprechen zu können", erzählt er. "Ich habe dem Anhörer gesagt, dass mich jemand aus dem Lehrer-Kollegium bei der Geheimpolizei verraten und behauptet hatte, ich würde christliche Hausgottesdienste besuchen."

Angst vor Spitzeln

Der BAMF-Beamte schien von den Schilderungen des Sportlehrers zunächst nicht sonderlich beeindruckt. Er riet ihm, in eine andere Stadt im Iran umzuziehen, was dieser mit Kopfschütteln quittierte. "Die Geheimpolizei im Iran ist schlimmer als der KGB in der ehemaligen Sowjetunion, sie finden Dich überall", sagt Elia. Aus Angst vor Spitzeln meidet er sogar hierzulande den Kontakt zu Iranern.

Mit dem Islam und seiner Heimat Iran ist Elia "fertig". "Die Regierung in Teheran propagiert immer, der Islam sei die beste Religion der Welt. Aber der Islam gibt Sündern keine Chance für Wiedergutmachung, auf Sünde, und dazu gehört auch die Abkehr vom Islam. Darauf steht die Todesstrafe!", sagt er. Im Christentum hingegen existiere Vergebung.

Deutschland BAMF-Außenstelle in Bingen am Rhein
Anhörung: Beim Gespräch wird geprüft, ob der Glaubenswechsel des Asylbewerbers in seiner Heimat zu einer lebensbedrohlichen Verfolgung führen könnte Bild: picture-alliance/dpa/F. von Erichsen

Geflüchtet und getauft, und dann? Die steigende Anzahl von Asylbewerbern aus dem Iran, die in Deutschland zum Christentum konvertieren, löst zwar bei den Kirchen hierzulande Freude aus. Beim BAMF und den Ausländerbehörden hingegen überwiegt die Skepsis.

"Bei einer Konversion geht es im Wesentlichen darum, dass der Antragsteller glaubhaft machen muss, dass er seine neue Religion bei der Rückkehr in sein Heimatland ausüben wird und ihm deswegen dort eine asylrelevante Verfolgung droht", erläutert das BAMF auf Anfrage der DW. "Der Entscheider muss beurteilen, ob der Glaubenswechsel des Antragstellers aus asyltaktischen Gründen oder echter Überzeugung erfolgt ist."

 "Überzeugen Sie mich!"

Je nach Bundesland können diese Beurteilungen allerdings sehr unterschiedlich ausfallen. So werden nach Angaben des Bonner Asylrechtsexperten Jens Dieckmann in Rheinland-Pfalz zum Beispiel keine Glaubensinhalte abgefragt, in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen hingegen müssten Flüchtlinge Fragen zum Wesen des Christentums beantworten. 

"In Nordrhein-Westfalen ist ein Richter beim Verwaltungsgericht einmal auf einen Asylbewerber zugegangen und hat ihm ins Gesicht gesagt: Ich finde Religion total langweilig, es interessiert mich überhaupt nicht. Jetzt überzeugen Sie mich mal vom Christentum!", erinnert sich der Anwalt. Der Flüchtling sei regelrecht geschockt gewesen.

Bei anderen Anhörungsverfahren würde von den Flüchtlingen verlangt, das Glaubensbekenntnis vorzutragen, das Vaterunser zu beten, oder es werde Wissen aus der Bibel abgefragt. Zum Fragenkatalog gehöre unter anderem, wie der verlorene Sohn aus dem Neuen Testament heißt, was Esau von Jakob unterscheidet, und wann Martin Luther geboren wurde.

Magdi Allam, Journalist, wurde von Papst Benedikt XVI getauft
Prominenter Konvertit: Magdi Allam wurde am 22. März 2008 von Papst Benedikt im Vatikan getauft. Der Journalist ägyptischer Herkunft gehört zu den prominentesten Islam-Kritikern Italiens Bild: AP

Kirchen protestieren

Die Glaubensprüfungen bei Berufungsverfahren vor Verwaltungsgerichten oder bei Ausländerbehörden beschäftigen mittlerweile auch die evangelische Kirche. Auf der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 20. bis 24. November in Bad Reichenhall gab es Kritik an der aktuellen Prüfpraxis.

"Es ist unbestritten, dass Verwaltungsgerichte und BAMF beurteilen müssen, ob der Asylbewerber bei einer Rückkehr in sein Heimatland bei der Ausübung seines Glaubens einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wäre", heißt es in einer Ansprache von Oberkirchenrat  Michael Martin, die der DW vorliegt. "Kritisch zu sehen sind jedoch aus kirchlicher Sicht Fragen, die Kenntnisse über die neue Religion abprüfen."

Der konvertierte Sportlehrer Elia will auf keinen Fall in den Iran zurück. "Ich bin nicht wegen der Arbeit hergekommen, ich hatte in Teheran ein gutes Gehalt ", sagt er und fügt hinzu: "Wenn mein Asylantrag abgelehnt wird, kein Problem, dann versuche ich es noch einmal."