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Politik

Tallinn: Cyber-Abwehr im Fokus der EU

Barbara Wesel
7. September 2017

Die EU-Verteidigungsminister lassen sich in Tallinn von der NATO über Cyber-Angriffe aufklären. Sie sind besorgt über russische Großmanöver, äußern sich aber auch optimistisch zum Stand der EU-Verteidigungsunion.

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Estland Treffen der EU-Verteidigungs- und Außenminister in Tallinn
v.l.: Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit NATO-Generelasekretär Jens Stoltenberg und ihren Amtskollegen Andreja Katic (Slovenien) und José Alberto Azeredo Lopes (Portugal)Bild: Getty Images/AFP/R. Pajula

Einmütig verurteilen die EU-Verteidigungsminister auf die jüngsten Atomtests in Nordkorea. Angesichts der "ständig wachsenden Provokationen", sei es richtig, eine Verschärfung der Sanktionen zu diskutieren, sagte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen in der estnischen Hauptstadt Tallinn, wo sie mit ihren EU-Kollegen zusammentrifft. Gleichzeitig aber will sie, wie ihre europäischen Kollegen, weiter diplomatische Versuche unternehmen, um den Abrüstungsprozess auf der koreanischen Halbinsel wieder in Gang zu bringen. Sie sieht die Europäer dabei sogar als mögliche Unterhändler - ähnlich wie bei den Atomverhandlungen mit dem Iran.

EU-Verteidigungs-Union zu Weihnachten

Fortschritte sieht von der Leyen bei der neuen EU-Verteidigungsunion: "Ich bin zuversichtlich, dass wir (sie) noch in diesem Jahr auf den Weg bringen werden", sagt die Bundesministerin und nennt den Prozess "historisch". 

Noch nie habe sich die EU innerhalb eines Jahres so weit bewegt, aber angesichts der krisenhaften Weltlage hätten viele Länder ihre früheren Bedenken aufgegeben.

Cyberangriff aus Moskau erwartet

In Projektgruppen würden inzwischen mehr als 30 Vorschläge für konkrete Kooperationen verhandelt. Mehr als zwanzig Länder wollten sich an der "verstärkten Zusammenarbeit" beteiligen, die seit dem Lissabon-Vertrag für Gruppen von EU-Ländern offen ist. Mit dabei sind unter anderem auch die meisten Mitglieder in Osteuropa.

Gestritten wird jetzt noch über die Eindeutigkeit der Verpflichtungen, was den Einsatz von Personal und Geld angeht. Aber die Ministerin ist optimistisch, dass schon auf dem Gipfeltreffen im Dezember der Beschluss gefasst wird, der die Verteidigungszusammenarbeit auf den Weg bringt. Nach Jahrzehnten der Widerstände und Bedenken sei das für die Europäer ein Quantensprung.

Die hybride Bedrohung aus dem Netz

Ebenfalls angetan war von der Leyen von einem Multiple-Choice-Test, den sie und ihre EU-Kollegen auf Tablet-Computern absolvierten: "Das war eine ausgesprochen spannende Übung", sagte sie nach zwei Stunden fragen und antworten. Sie habe ihr gezeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit in der EU und mit der NATO sei.

Estland Treffen der EU-Verteidigungs- und Außenminister in Tallinn
Von der Leyen hofft auf Zusagen zur Verteidigungsunion noch in diesem JahrBild: Getty Images/AFP/R. Pajula

Kommunikation werde sehr anspruchsvoll, wenn man sich gegenseitig über einen schweren Cyberangriff auf kritische Infrastrukturen der Europäischen Union informieren müsse, gleichzeitig aber keine Ängste schüren wolle.

Cybrid 2017 hieß diese Übung, die einen Hacker-Angriff auf eine EU-Mission, ähnlich dem Sophia-Einsatz im Mittelmeer, simulierte. Gleichzeitig werden im Planspiel die beteiligten Länder mit einem Strom von Fake-News überflutet, die für Angst und Verwirrung sorgen.

"Eine Cyberattacke ist einfach neu und anders", sagt von der Leyen, "der Gegner ist schwer zu identifizieren, der Angriff ist leise, unsichtbar und wird erst dann spürbar, wenn er seine volle Wirkung entfaltet." Bedrohung und Eskalation kämen schleichend.

Auch die neue französische Verteidigungsministerin Florence Parly spricht von einer globalen Bedrohung, auf die die Europäer sich vorbereiten müssten. Der Schlüssel liege hier in der Kooperation mit der NATO, die sich seit der Annexion der Krim mit hybriden Bedrohungen befasst und inzwischen ein Cyber-Zentrum in Helsinki betreibt.

Technisch vorbereitet wurde die Übung von den estnischen Gastgebern, die stolz sind auf ihre digitalen Fähigkeiten. "Cyber-Bedrohungen machen nicht an Grenzen halt und kennen keine Trennungen von Organisationen", betone Verteidigungsminister Jüri Luik, "wir brauchen ein gemeinsames Verständnis der Bedrohungen, um vorbereitet zu sein."

Scharfe Kritik an russischen Manövern

Als klare Drohgebärde wird bei EU und NATO gemeinsam die russisch-weißrussische Militär-Übung Sapad 2017 betrachtet. Sie soll in der nächsten Woche im Grenzgebiet zu den baltischen Staaten abgehalten werden. Die Rede ist von einem Mega-Manöver mit rund 100.000 Soldaten.

Russland Sapad Militärübung bei Grodno in Weißrussland 2013
Russland und Weißrussland sollen ein riesiges Manüver planen. Hier eine Militärübung der beiden Staaten 2013Bild: picture alliance / dpa

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg  kritisiert den Umfang und die Ausrichtung sowie die Tatsache, dass Russland nur drei Beobachter zugelassen habe. Es sei ein Bruch internationaler Verpflichtungen nach dem Wiener Abkommen, wonach "Überflugrechte und eine Unterrichtung über die Manöverpläne" gewährt werden müssten. Stoltenberg erneuerte seine Kritik bei seinem Besuch der NATO-Basis im estnischen Tapa, wo seit dem Frühjahr Soldaten aus mehreren Mitgliedsländern die Militärpräsenz verstärken.

Russland wiederum leugnet die Pflicht zur Transparenz und den massiven Truppenaufmarsch. Es gehe lediglich um Übungen mit bis zu  13.000 Soldaten, was unterhalb der entsprechenden Schwelle läge. Stoltenberg aber betonte erneut, wie wichtig Transparenz und Vorhersehbarkeit in einer spannungsgeladenen Situation seien, um die Gefahr von " Missverständnissen und Vorfällen" zu vermeiden.

Estlands Premier Jüri Ratas äußerte sich sehr besorgt über den Umfang des Manövers und den Mangel an Transparenz. Auch Ursula von der Leyen kritisiert die geplante Truppenmassierung: "Ich glaube, es ist unbestritten, dass wir hier eine Fähigkeits- und Machtdemonstration der Russen sehen." Befürchtet wird, dass Russland nach Ende des Manövers Waffen nahe den Grenzen zu den baltischen Staaten in Position lassen könnte, um so das Bedrohungspotential gegenüber der NATO zu erhöhen.