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Taktische Gründe

Peter Philipp4. Februar 2004

Israels Ministerpräsident Scharon hat völlig unerwartet die Aufgabe fast aller jüdischer Siedlungen im Gaza-Streifen angekündigt. Ist dies der Beginn der "schmerzvollen Zugeständisse"? Ein Kommentar von Peter Philipp.

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Innerhalb von zwei Jahren sollen keine Juden mehr im Gazastreifen leben. Dies ist nicht ein Kriegsziel der islamistischen "Dschihad"- oder "Hamas"-Bewegungen, sondern die Ankündigung des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon. In einem Interview mit der liberalen Tageszeitung "Ha'aretz" legte dieser dar, was er unter den "unilateralen Maßnahmen" verstehe, die er im Dezember angekündigt hatte - für den Fall, dass die Palästinenser in den nächsten Monaten nicht zu neuen Verhandlungen über eine Friedensregelung bereit sein sollten.

Viele hatten - in Israel und anderswo - diese Ankündigung als Propaganda abgetan und sie reagieren auch jetzt skeptisch auf die angebliche Entschlossenheit Scharons, Gaza zu räumen. Solche Skepsis ist angebracht, denn Scharon galt bisher als Patron der Siedlungsbewegung: Er war es, der als Minister früherer Regierungen den Bau solcher Siedlungen besonders intensivierte, er war es, der den Siedlern immer wieder aufs Neue versicherte, dass ihre Anwesenheit in den palästinensischen Gebieten nicht in Frage stehe und dass sie im Gegenteil die Garantie dafür seien, dass "Eretz Israel" - das biblische "Land Israel" - für immer zum Staat Israel gehöre.

Der Gazastreifen war freilich immer schon eine Belastung für Israel: Auf engstem Gebiet sind dort über eine Million Palästinenser zusammengepfercht und mittendrin haben sich knapp 7.500 israelische Siedler niedergelassen - ein permanenter Grund für Probleme und Auseinandersetzungen. Frühere israelische Regierungen hatten deswegen bereits den Plan angestoßen "Gaza zuerst" zu räumen. Sie würden damit nur einen Klotz am Bein verlieren.

Deswegen fällt es schwer, jetzt eine völlige Kehrtwende Scharons anzunehmen. Und die Vermutung liegt nahe, dass die jüngste Erklärung des Ministerpräsidenten von taktischen Gründen motiviert ist und nicht von politischer Einsicht: So dürfte es Taktik sein, dass Scharon sich nur Wochen vor einem neuen Washington-Besuch konziliant und konzessionsbereit zeigen will: Erste - zustimmende - Reaktionen aus Washington scheinen ihm recht zu geben. Und es dürfte Taktik sein, dass die nun angestoßene Diskussion über Gaza in den Hintergrund drängt, was Scharon in letzter Zeit immer mehr beschäftigt und bedrängt hat: Eine ausgewachsene Korruptionsaffäre, in deren Mittelpunkt Scharon und dessen zwei Söhne stehen.

Schließlich ist es sicher auch Taktik, dass Scharon jene Teile der israelischen Bevölkerung durch einen Rückzug aus Gaza beruhigen will, die dem Premier immer offener vorwerfen, er habe nichts, aber auch gar nichts für mehr Ruhe und Sicherheit getan - außer vielleicht dem Bau der umstrittenen "Sicherheitsmauer", derentwegen Israel sich noch im Februar vor dem Internationalen Gerichtshof im Haag verantworten muss.

Wie so oft zuvor ist es angeraten abzuwarten, ob den Worten Scharons Taten folgen und welche dies sein werden. Viel hat er bereits angedeutet oder angekündigt, verwirklicht wurde aber meist nur, was er angedroht hatte. Ein Rückzug aus Gaza allerdings wäre keine Drohung, er wäre ein Fortschritt.