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Taktieren und verzögern

Filip Slavkovic5. Oktober 2006

Sechs Jahre nach der friedlichen Revolution steht Serbien vor großen Herausforderungen. Ende des Monats wird über eine neue Verfassung abgestimmt, Anfang 2007 könnte Serbien 15 Prozent seines Territoriums verlieren.

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Der serbische Präsident Boris Tadic spricht hinter einem Stehpult
Der serbische Präsident Boris Tadic im ParlamentBild: AP

Da Serbien vor Neuwahlen stehe, so Martti Ahtisaari am Dienstagabend (3.10.) in Helsinki, werde er dem Weltsicherheitsrat seinen Vorschlag zum Status des Kosovo wahrscheinlich erst Anfang nächsten Jahres übergeben. Ahtisaari ist der Chefunterhändler für den Status des Kosovo, der unter UNO-Verwaltung stehenden serbischen Provinz, dessen albanische Bevölkerung nach Unabhängigkeit strebt. Der ehemalige finnische Präsident hatte vorher angedeutet, im November einen Vorschlag über eine vorerst von der EU kontrollierte Selbstständigkeit abgeben zu wollen.

Rückenwind für Ultra-Nationalisten

Serbien wollte diese Entscheidung zumindest verschieben. Nicht nur, dass sich Belgrad einer endgültigen Abspaltung der als Wiege Serbiens betrachteten Provinz widersetzt. Auch in den westlichen Hauptstädten befürchtet man, ein Verlust des Territoriums würde der schon starken ultra-nationalistischen Opposition in Serbien neuen Rückenwind geben.

Die konservativ-liberale Regierung in Belgrad erarbeitete deshalb im Eilverfahren eine neue, schon seit Jahren fällige Verfassung. Deren Hauptpunkt: Kosovo ist Teil Serbiens. Nun muss das Volk am 28. und 29. Oktober über den im Parlament einstimmig angenommenen Text abstimmen. "Mit allen Kräften möchte ich für die Volksabstimmung werben, damit die Verfassung angenommen wird", erklärte Finanzminister Mladjan Dinkic. "Danach aber gibt es keine Verzögerungen mehr, es wird sofort Wahlen geben. Mein Eindruck ist, dass es volle Übereinstimmung über das Wahldatum gibt."

Verschiedene Interessen

Gewählt werden soll am 17. Dezember. Dinkics Partei G17Plus ist nämlich am Sonntag aus der Koalition ausgetreten, nachdem die Abgeordneten am Samstagabend den Verfassungsentwurf angenommen hatten. Der Austritt aus der Minderheitsregierung war erforderlich geworden, weil die Wähler der als pro-europäisch auftretenden Partei G17Plus davon verschreckt wurden, dass ihre Partei im Parlament durch nationalistische Sozialisten unterstützt wurde. Dinkic hat es jetzt also eilig.

Die größte Regierungspartei DSS möchte aber vor den Neuwahlen erst einmal die Verfassung durch das Referendum angenommen und im Parlament feierlich verabschiedet wissen. Danach sollen weitere Basisgesetze angenommen werden. "Es ist nur logisch, dass man nach den drei Phasen Wahlen hat, mit denen die ganze Sache abgerundet wird. Wir haben aber an keinen Absprachen zu Wahlterminen teilgenommen", erklärte der Sprecher der konservativen DSS, Andreja Mladenovic.

Stabile Regierung erwartet

Die linksliberalen Demokraten (DS), die den Präsidenten Serbiens Boris Tadic stellen, sind eigentlich in der Opposition. An der Verfassung haben sie aber mitgearbeitet. Und an Wahlen hat die DS wegen der guten Umfragewerte sowieso das größte Interesse, wie Partei-Vize Dusan Petrovic betonte. "Es ist sehr realistisch, dass sowohl die Präsidentschafts- als auch die Parlamentswahlen bis Ende des Jahres stattfinden."

Das demokratische Lager in Belgrad, das vor genau sechs Jahren, am 5. Oktober 2000, den inzwischen verstorbenen Machthaber Slobodan Milosevic stürzte, rechnet damit, nach der Wahl eine stabile Koalition bilden zu können. Dadurch sollte ein Rechtsruck der Gesellschaft nach der erwarteten Unabhängigkeit des Kosovo abgefedert, womöglich aber auch die Verhandlungsposition Serbiens verbessert werden.

Boykott-Aufrufe und Kritik

Vorher muss allerdings die Verfassung vom Volk angenommen werden. Die kleineren bürgerlichen Oppositionsparteien und Nichtregierungsorganisationen rufen schon zum Boykott auf: Denn der Text wurde bis zum Wochenende geheim gehalten, außerdem ist er auf die Kosovo-Frage zugeschnitten. Weitere Kritikpunkte: In der Nordprovinz Vojvodina gebe es zu wenig Autonomie, außerdem habe an dem Entwurf die rechtsradikale SRS mitgewirkt.

Die SRS - nun die größte Oppositionspartei - hatte vor acht Jahren als Regierungspartner die Entscheidung Milosevics mitgetragen, im Kosovo auf den bewaffneten albanischen Aufstand mit Gewalt gegen Zivilisten zu reagieren. Wegen deren Mitarbeit an der Verfassung könnten die zahlreichen Minderheiten in Serbien dem Referendum fernbleiben. Sollte der Boykott-Aufruf der Bürgerlichen noch Erfolg haben, könnte die notwendige absolute Mehrheit der Wahlberechtigten unerreicht bleiben.

Der Belgrader Verfassungsrechtler Stevan Lilic warnt deshalb: "Dadurch wird eine tiefe Verfassungskrise, eine Krise der Institutionen, eine Regierungskrise ausgelöst. Wie danach zu verfahren ist, ist juristisch nicht geregelt." Sollte das Referendum scheitern, würden sich die Stabilität Serbiens und die serbische Position bei den Kosovo-Verhandlungen, die der eigentliche Grund für die ganze Aktion rund um die neue Verfassung war, weiter verschlechtern.