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Religiöse Jugendbewegung

Das Interview führte Angela Göpfert19. November 2006

Die ökumenische Brüdergemeinschaft Communauté de Taizé übt eine große Faszination auf junge Menschen aus. Zu Tausenden strömen sie zu den Jugendtreffen. Bruder Alois, Prior und Nachfolger von Frère Roger, erklärt warum.

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Der Deutsche Alois Löser alias Bruder Alois
Der Deutsche Alois Löser leitet die Taizé-Gemeinde seit dem Tod von Frère RogerBild: picture-alliance/dpa

DW-WORLD.DE: Am 19. November 2006 veranstaltet die Taizé-Gemeinde im Berliner Dom eine "Nacht der Lichter". Was erwartet dort die 2000 Jugendlichen aus Deutschland und Polen?

Bruder Alois: Für uns Brüder ist es ganz wichtig, dass wir nicht nur Jugendtreffen in Taizé veranstalten. Es genügt nicht, hier im Burgund etwas Schönes zu gestalten. Die Frage ist vielmehr: Wie kann das, was wir hier machen, auch in den Alltag der Jugendlichen, der Kirche und Gesellschaft hineinwirken? Wie können wir Wege der Versöhnung dort wagen, wo wir leben? Wir Brüder wollen die Jugendlichen auf dieser Suche begleiten. Deshalb ist es wichtig, dass wir auch selbst aufbrechen und zu einem einfachen Gebet mit ihnen zusammenkommen.

Was finden die Jugendlichen in Taizé, was ihnen die protestantische oder katholische Kirche nicht bieten kann?

Der Gründer der Taizé-Gemeinde, Frère Roger
Der Gründer der Taizé-Gemeinde, Frère Roger, fiel einem Attentat zum OpferBild: AP

Ich glaube, die Kirche zuhause kann ihnen das durchaus auch bieten. Nur ist es einfacher, Kirche in einem anderen Kontext kennen zu lernen als im Alltag. Zum Beispiel spielt die Internationalität hier in Taizé eine große Rolle. Es ist spannend, plötzlich zu spüren, dass wir aus verschiedenen Ländern - ja Kontinenten - zusammenkommen und dass uns etwas verbindet. Auch dass wir hier alle Jugendlichen für eine Woche aufnehmen, dass es drei Mal am Tag das Gebet in der Kirche gibt mit der langen Zeit der Stille, mit den Wiederholgesängen, spricht viele Jugendlichen an.

Wie sehr prägen denn wiederum die Jugendlichen das Leben in der Gemeinde?

Ganz stark, denn dass so viele junge Leute jetzt schon über Jahrzehnte hierher kommen, das hält uns wach. Das stellt uns ständig vor die Frage: Wie können junge Menschen heute Zugang zum Glauben finden? Jeden Abend bleiben wir Brüder in der Kirche, um allen in einem persönlichen Gespräch zuzuhören. Dabei geht es nicht um ein großes Treffen, sondern um die persönliche Begegnung. Und da geben wir nicht nur, sondern wir empfangen auch sehr viel.

Am 20. November haben Sie eine solche persönliche Begegnung, ein Vier-Augen-Gespräch, mit Horst Köhler. Was hat denn der Prior der Taizé-Gemeinde mit dem deutschen Bundespräsidenten zu bereden?

Wir waren sehr überrascht, als letztes Jahr der Bundespräsident zur Beerdigung von Frère Roger gekommen war. Das war eine große Freude für uns, und ich konnte auch ganz kurz mit ihm reden. Wir sagten damals beide, dass es schön wäre, dieses Gespräch fortzusetzen. Denn es kommen sehr viele junge Menschen aus Deutschland zu uns, sodass sich natürlich auch Menschen, die in Deutschland Verantwortung tragen, fragen: Warum brechen die Jugendlichen nach Taizé auf? Und wie können wir sie ermutigen, Verantwortung in der Gesellschaft wahrzunehmen? Ich glaube, da haben wir viele gemeinsame Fragen. Ich freue mich auf diesen Austausch.

Horst Köhler ist Protestant. Von dieser Seite hört man häufiger den Vorwurf, die Taizé-Gemeinde werde immer katholischer: Täglich feiern Sie mit ihren Brüdern Eucharistie. Und mit Ihnen ist nun auch ein Katholik Oberhaupt der Gemeinde geworden.

Die verschiedenen historischen Traditionen der Kirchen haben bei uns einen wichtigen Platz. Dass wir drei Mal am Tag in der Kirche auf das Wort Gottes hören, dass es jeden Tag eine Bibelauslegung gibt, dass jeder einzelne Christ in seiner Gewissensentscheidung ernst genommen wird: All das sind protestantische Anliegen. Wir nehmen Elemente und wichtige Anliegen aus den verschiedenen Traditionen auf - übrigens auch aus der orthodoxen Tradition, denn es kommen sehr viele orthodoxe Jugendliche hierher, aus Rumänien, Russland und anderen Ländern.

Ein Unterschied zur katholischen Kirche offenbarte sich nach dem Tod des jeweiligen Oberhirten: Als Papst Johannes Paul II. starb, herrschte nahezu Hysterie. Dagegen blieb die Taizé-Gemeinde nach dem gewaltsamen Tod von Frère Roger ruhig, geradezu gelassen.

Die Taizé-Gemeinde beim Gebet
Die Taizé-Gemeinde beim GebetBild: AP

Gelassen ist vielleicht nicht ganz das treffende Wort. Aber Frère Roger hat uns auf einen Weg des Vertrauens geführt. In seinem hohen Alter hat er das, was er mit seinem Leben sagen wollte, in immer weniger Worten zusammengefasst: "Vertrauen wagen", "Liebe" und "Sage es durch dein Leben". Diese ganz einfache Botschaft ist für unsere Communauté lebenswichtig geworden. Und wir haben sofort nach seinem Tod gespürt, dass wir das weiterleben können. Diese Botschaft des lebendigen Evangeliums hat uns geholfen, seinen Weg weiterzugehen.

Trotzdem: War der Selbstfindungsprozess nach dem Tod von Frère Roger für Sie und die Communauté nicht auch sehr schwer?

Dieser Prozess geht natürlich immer noch weiter. Denn Frère Roger hatte das ganze Leben hier auf eine einzigartige Weise geprägt: durch seine Art, seine Initiativen, seinen Ideenreichtum, seinen Wagemut. Es braucht sicher noch Jahre um zu sehen, wie unsere Communauté diesen Weg weitergehen wird. Aber wir gehen ihn - Schritt für Schritt. Wir sind sehr dankbar über die Jugendtreffen im vergangenen Sommer, vor allem auch weil wir spüren, dass die vielen jungen Menschen Frère Roger wirklich verstanden haben. Denn die Jugendtreffen sind so weitergegangen wie vorher. Die Menschen haben also verstanden, dass Frère Roger nicht auf sich gezeigt hat, sondern auf die lebendige Gegenwart Gottes. Wir sind sehr dankbar, dass es sich jetzt bewahrheitet, dass nicht Frère Roger der Mittelpunkt war, sondern - ich kann es nicht anders sagen - wirklich der lebendige Gott. Und das ist doch schon ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Frère Roger hatte die konfessionellen Gräben zwischen Katholiken, Protestanten und Orthodoxen überschritten. Doch heutzutage scheint die Aussöhnung zwischen Christen und Muslimen das weitaus drängendere Problem zu sein. Nimmt sich Taizé dieses Problems an?

Ich habe gerade vor einem Monat unsere Brüder besucht, die seit 30 Jahren in Bangladesh leben, also in einem Land mit nur wenigen Christen und vielen Muslimen. Dort haben die Brüder in diesen vielen Jahren einen Dialog im Leben begonnen. Ganz konkret haben sie zum Bespiel Initiativen mit behinderten Kindern ins Leben gerufen. Dabei haben sie sich mit Gläubigen anderer Religionen zusammengetan und gemerkt: Wenn wir uns den großen Problemen unserer Gesellschaft zuwenden, dann finden wir auch Wege der Verständigung. Ein Bruder sagte: Die Ärmsten bringen uns zusammen. Ich frage mich, ob das nicht auch ein möglicher Weg für Europa wäre: Dass wir noch stärker aufeinander zu gehen und überlegen, welche konkrete Zusammenarbeit möglich ist.

Bruder Alois, Sie sind vor mittlerweile 33 Jahren der Taizé-Gemeinde beigetreten. Was waren damals Ihre Beweggründe? Und was hält Sie heute noch bei Ihren Brüdern?

Als Jugendlicher war es damals einfach faszinierend, diese internationale Gemeinschaft und ein Gebet zu erleben, bei dem mich das Wort Gottes ganz direkt angesprochen, wirklich ins Herz getroffen hat. Denn Gebet und Offenheit für die Probleme der Welt schließen sich nicht aus. Im Gegenteil: Das Gebet ist schon ein erster Schritt hin zur Offenheit. Das habe ich als ganz junger Jugendlicher hier sehr schnell gespürt, und das ist auch heute noch das, was mich hier trägt.

Bruder Alois wurde 1954 als Alois Löser in Stuttgart geboren. Der Katholik, der in jungen Jahren als Besucher nach Taizé kam, gehört seit 33 Jahren der ökumenischen Gemeinschaft des Protestanten Frère Roger an. Bereits 1998 bestimmte ihn der Taizé-Gründer zu seinem Nachfolger. Als am 16. August 2005 ein tödliches Attentat auf Frère Roger verübt wurde, übernahm Bruder Alois am darauf folgenden Tag die Aufgaben des Priors. Neben seinem ausgeprägten Interesse für Musik und Liturgie widmet er einen großen Teil seiner Zeit den Jugendlichen, denen er zuhört und die er persönlich begleitet.