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Türkei und EU - passt das?

10. März 2005

Wir wagen es! Die Staats-und Regierungschefs der EU wollen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnehmen. Wie denken die EU-Bürger über den Beitritt der Türkei? Eine Umfrage unter Journalisten von Vilnius bis Nikosia.

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Ja zum Beitritt? Nicht alle Länder sind uneingeschränkt dafürBild: dpa

In Deutschland, wo rund 2,5 Millionen Türken leben, wird das Thema heiß diskutiert. Anders in Litauen. Marius Laurinavičius, Journalist bei der litauischen Tageszeitung Lietuvos Rytas, erklärt warum: "Ich glaube, die Deutschen haben einfach Angst vor einem EU-Beitritt der Türkei", sagt , "und ich kann das verstehen. Schließlich gibt es in Deutschland schon jetzt eine Menge Probleme mit der Integration der türkischen Minderheit. Und ein Türkei-Beitritt würde für Deutschland eine neue Einwanderungswelle bedeuten."

In Litauen, wo die Zustimmung zur Aufnahme der Beitrittsverhandlungen zwar schon vor dem EU-Gipfel als sicher galt, habe aber nie eine Diskussion darüber stattgefunden: "Wir haben unsere eigenen Probleme, mehr mit Moskau als mit Ankara."

Einwanderung: Bedrohung oder Chance?

Für Iva Shankova von der bulgarischen Presseagentur BTA ist die Angst der Deutschen vor Einwanderung ebenfalls eines der größten Hindernisse in der Türkeifrage. Und ein ernst zu nehmendes Problem: Schon jetzt - Bulgarien wird erst voraussichtlich 2007 Vollmitglied der EU - kommen viele türkische Einwanderer mit bulgarischen Wurzeln zurück und versuchen, einen bulgarischen Pass zu bekommen. "Der Westen und die EU locken enorm." Auch deswegen würde es Bulgarien sehr begrüßen, kein Grenzland zu werden, sondern mit der Türkei ein EU-Mitgliedsland als Nachbarstaat zu haben.

Auch der ungarische Journalist Andras Löke von der Wochenzeitung HVG sieht den Beitritt unter einem ökonomischen Aspekt: "Selbst die früher so multikulturell eingestellte Linke in Deutschland ist weniger enthusiastisch geworden, weil viele SPD-Wähler Angst vor billigen Arbeitskräften und Outsourcing haben". Ungarn dagegen - als wichtiges Transitland zwischen dem Nahen Osten und Westeuropa - erhoffe sich von einem Türkei-Beitritt wirtschaftlichen Aufschwung.

Spanien sagt sí - eine Frage der Solidarität

Spanien hingegen ginge es genau umgekehrt. "Wir haben in den letzten Jahren viel finanzielle Hilfe von der Union bekommen", sagt Francisco Herranz, Auslandschef von el mundo. "Je mehr ärmere Länder der EU beitreten, umso weniger bekommt jeder von der Torte ab. Das werden die Spanier in ihren Geldbeutel merken!" Nur werde darüber aktuell meist bloß in den großen Zeitungen diskutiert. Nicht auf der Straße: "Hier sind alle ziemlich integrationsfreudig", so Herranz.

"Verhandlungen noch zu früh"

Die Integrationsproblematik im eigenen Land dürfe nicht als Beweis dafür angeführt werden, dass eine Integration der Türkei im Allgemeinen problematisch sei, sagt Eppo Jansen, ehemaliger Pressechef der niederländischen Vertretung des Europa-Parlaments. Wie in Deutschland gebe es auch in den Niederlanden eine lebendige Diskussion über eine Mitgliedschaft der Türkei. Zwar überwiege die Zustimmung - auch "weil wir es versprochen haben". Aber es gebe auch Skepsis. "Obwohl ich grundsätzlich für einen Türkeibeitritt bin, hätte ich persönlich mit der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen etwas länger gewartet", sagt Eppo Jansen.

Zentrale Frage: Menschenrechte

Auch George Stylianou von der südzyprischen Zeitung Phileleftheros hätte gewartet: Er hätte sich mehr Zugeständnisse der Türkei gegenüber Zypern gewünscht. Der nördliche türkische Teil erkennt den Südzypern als Staat bisher nicht an.

Wie für die anderen EU-Staaten sei es für Zypern fundamental, dass die Türkei die Menschenrechte respektiere, das Rechtssystem reformiere und Minderheiten anerkenne. "Die Türkei war und ist unberechenbar und aggressiv zu ihren Nachbarländern gewesen", sagt Stylianou, "ich und viele Zyprioten haben große Hoffnung, dass eine Annäherung der Türkei an die Union diese Situation verbessert und die Türkei demokratischer wird."

Anne Herrberg

Die Autorin studiert am Institut für Journalistik der Universität Dortmund. Dort hat die Lehrredaktion Online ein multimediales, mehrsprachiges Special zu den Beziehungen von Türkei und EU ins Netz gestellt.