1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Türkei schreckt Investoren ab

Rolf Wenkel
18. April 2017

Nach dem knappen Sieg von Präsident Erdogan beim Referendum hat sich der Aktienmarkt in der Türkei am Dienstag stabil gehalten. Aus Sicht von Investoren gibt es nun mehr Klarheit. Dennoch bleiben Anleger weg.

https://p.dw.com/p/2bBQG
Belgien Türkei-Referendum | Erdogan-Anhänger feiern in Brüssel
Anhänger des türkischen Präsidenten feiern den Ausgang des Referendums - hier in BrüsselBild: picture alliance/abaca/D. Aydemir

Die türkische Lira legte am Montag zunächst etwas zu, zeigte sich dann aber wieder schwächer. Die Landeswährung hatte in den vergangenen Monaten wegen der politischen Krise und Terroranschlägen im Land kräftig an Wert etwa gegenüber dem Euro verloren. Am Dienstagmorgen stand der türkische Börsenindex bei 90.618,22 Punkten um 0,04 Prozent tiefer als am Vortag. 

Finanzminister Naci Agbal kündigte am Dienstag gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters an, sowohl die Inflation als auch die Arbeitslosigkeit sollten nun gesenkt werden. Das Wachstum solle dabei nicht vom Staatssektor ausgehen, sondern von der Privatwirtschaft. Die Regierung werde zudem keine Steuermaßnahmen beschließen, die die Inflation weiter nach oben treiben könnten. Die Teuerungsrate liegt derzeit auf dem höchsten Stand seit 2008.

Ursache für den Preisanstieg ist die chronische Schwäche der Lira. Anleger haben aus Sorge über den politischen Kurs das Vertrauen in die Währung verloren. Die Lira wertete binnen eines Jahres um rund 30 Prozent zum Dollar ab.

Nein zu Erdogan  Istanbul
Während des Wahlkampfs: Plakat der Anhänger des "Nein" - "Hayir"Bild: Reuters/H.Aldemir

Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes spielte in der Debatte über die umstrittene Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems eine wichtige Rolle. Präsident Recep Tayyip Erdogan verdankt seinen Erfolg zu großen Teilen dem starken Wachstum der türkischen Wirtschaft in den vergangenen Jahren, doch gab es zuletzt vermehrt negative Nachrichten aus der Wirtschaft.

Das türkische Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im vergangenen Jahr nach amtlichen Angaben gegenüber dem Vorjahr um 2,9 Prozent gestiegen. Das Wachstum blieb damit deutlich unter den Zahlen von 2015, als noch eine sechs vor dem Komma stand. Grund dafür war unter anderem ein Einbruch in der Tourismus-Industrie wegen des Putschversuchs vom Sommer 2016 und wegen mehrerer Anschläge durch militante Kurden und Islamisten. Der Tourismus-Sektor ist für die Türkei eine wichtige Einnahmequelle und trägt rund fünf Prozent zum türkischen BIP bei. Im vergangenen Jahr brachen die Einnahmen in diesem Sektor um fast 30 Prozent ein.

Statistikamt revidiert Berechnungen

Analysten hatten allerdings - angesichts der politischen Verwerfungen und wirtschaftlicher Probleme - ein noch geringeres Wachstum erwartet. Als konjunkturstützend erwies sich jedoch der private Konsum, den die Regierung seit dem gescheiterten Putschversuch massiv fördert. Hinzu kommt, dass das türkische Statistikamt seine Berechnungen so revidiert hat, dass die neuesten Wachstumszahlen günstiger ausfallen. Die Investitionen blieben dagegen weiterhin schwach; die Exporte waren rückläufig.

Vor allem der private Verbrauch stieg im 4. Quartal mit 5,7 Prozent kräftig. Das Wachstum ist jedoch auch auf die nachträglichen Korrekturen des türkischen Statistikamtes zurückzuführen: Die ursprünglich ausgewiesene Zunahme des BIP im 2. Quartal 2016 wurde von 4,5 auf 5,3 Prozent angehoben; der Rückgang im 3. Quartal wurde von 1,8 auf 1,3 Prozent revidiert.

Im Jahr 2017 dürfte sich das Wirtschaftswachstum ähnlich wie im Vorjahr entwickeln. Allerdings gehen die Prognosen der türkischen Regierung und internationaler Organisationen auseinander. Während die Europäische Kommission, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank eine Zunahme zwischen zweieinhalb und drei Prozent erwarten, rechnen Regierungsvertreter mit einem Anstieg des BIP von vier bis viereinhalb Prozent.

Inflation erreicht Rekorde

Die Inflation ist auf den höchsten Stand seit mehr als acht Jahren gestiegen. Die Verbraucherpreise stiegen im März im Vergleich zum Vorjahresmonat um 11,29 Prozent. Das war der höchste Stand seit Oktober 2008.

Seit dem Putschversuch vom Sommer des vergangenen Jahres bemüht sich die türkische Regierung, die zunehmend lahmende Konjunktur mit zahlreichen neuen Gesetzen zu stützen. "So wurde die Investitionsförderung für strategisch wichtige Projekte großzügig ausgeweitet", berichtet Necip C. Bagoglu, Korrespondent der Außenhandelsagentur "Germany Trade & Invest" aus Istanbul. "Ein neu gegründeter staatlicher Vermögensfonds soll bei der Finanzierung großer Infrastrukturvorhaben helfen. Mit einem weiteren Gesetz werden Firmen, die Schulden bei staatlichen Einrichtungen haben, entlastet."

Türkei Großer Basar in Istanbul Geschäfte
im Großen Basar von IstanbulBild: Getty Images/C. McGrath

Der private Konsum wird mit Hilfe öffentlicher Zinssubventionen und verbesserten Zahlungsbedingungen angekurbelt. Insbesondere Wohnungskäufe werden vom Staat verstärkt gefördert, was sich auch in der Entwicklung der Bauwirtschaft niederschlägt. Im Jahr 2016 wuchs der Sektor mit über sieben Prozent überdurchschnittlich stark.

Direktinvestitionen eingebrochen

Ein Wirtschaftswachstum von knapp drei Prozent reicht aber nicht aus, um die Arbeitslosenquote von elf Prozent zu reduzieren und die ehrgeizigen Entwicklungsziele bis 2023 zu erreichen. Nach wie vor strebt die türkische Regierung bis 2023 eine Wirtschaftsleistung von 2000 Milliarden Dollar und ein Exportvolumen von 500 Milliarden Dollar an. Dafür müsste die türkische Wirtschaftallerdings jährlich zwischen sieben und acht Prozent wachsen - angesichts der anhaltenden Strukturschwäche im verarbeitenden Gewerbe und der hohen Importabhängigkeit der Industrie und des Energiesektors ein unrealistisches Szenario.

Die ausländischen Direktinvestitionen sind im vergangenen Jahr  um 31 Prozent auf rund zwölf Milliarden US-Dollar regelrecht eingebrochen. Um das Wirtschaftswachstum zu finanzieren, ist die Türkei in hohem Maße auf Kapitalimporte angewiesen. Für mehr Direktinvestitionen bedarf es jedoch politischer Stabilität und verlässlicher Rahmenbedingungen. Im Rechtswesen und in der öffentlichen Verwaltung besteht immenser Reformbedarf. Die Rechtstaatlichkeit leidet teilweise unter erratischen, nicht nachvollziehbaren Entscheidungen staatlicher Stellen. Das Vertrauen in die Justiz ist erschüttert.

Lira stark abgewertet

Das Verhältnis zur Europäischen Union ist extrem angespannt, die Lage in den südlichen Nachbarländern desolat. Nicht viel besser sieht es im Südosten der Türkei aus, wo die Sicherheitskräfte hart gegen kurdische Separatisten durchgreifen. Die Terroranschläge der vergangenen Monate haben zudem das Sicherheitsrisiko im gesamten Land erhöht. Hinzu kommt nun das Verfassungsreferendum, das Investoren im In- und Ausland sowie Konsumenten zusätzlich verunsichert.

Vor allem die starke Abwertung der Türkischen Lira dürfte sich negativ auf die Konjunktur auswirken. Eine schwache Landeswährung verteuert die Importe und führt zu Kaufkraftverlusten bei den inländischen Konsumenten. Gleichzeitig erhöht sie die Verbindlichkeiten der einheimischen Firmen, die Kredite in Fremdwährung aufgenommen haben. Ende November 2016 hat die türkische Notenbank erstmals seit 2014 den Leitzins deutlich angehoben. Doch das reichte nicht - im Januar legte die Notebank noch einmal nach und erhöhte den zentralen Zinssatz, zu dem sie den Banken Geld zur Verfügung stellt, um 0,75 Prozentpunkte auf 9,25 Prozent. Diese geldpolitische Maßnahme dürfte ebenfalls negative Auswirkungen auf die Konjunktur haben.