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Südamerikas Fußballkrimi

Astrid Prange2. Juli 2015

Von solchen Exzessen können europäische Fußballfans nur träumen. Mit ihren Skandalen verdrängt die Copa América Santiagos politische Krise. Gastgeber Chile zieht erstmals ins Finale ein und zittert vor Argentinien.

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Fußball Chile feiert den Sieg im ersten Spiel der Copa América gegen Ecuador (Bild: REUTERS/David) Mercado
Bild: Reuters/D. Mercado

Man nehme: Obszöne Gesten, umstrittene Schiedsrichter, phantastische Spieler, korrupte Funktionäre und angeschlagene Politiker. So könnte das medienwirksame Erfolgsrezept der diesjährigen Copa América in Chile lauten.

Das älteste Nationenturnier der Welt verläuft alles andere als friedlich und weist viele Parallelen zur WM vor einem Jahr in Brasilien auf. Wie in Brasilien ist der Druck auf die Gastgeber enorm. Und wie in Brasilien wird auch das Turnier in Chile von Massenprotesten begleitet.

Doch am meisten beschäftigte das Publikum bisher die Fingerattacke des chilenischen Spielers Gonzalo Jara auf den Anus von Uruguays Stürmer Edinson Cavani im Viertelfinale. Zur allgemeinen Empörung wurde nicht Jara bestraft, sondern Cavani vom Platz geschickt.

Es war nicht der erste Ausraster Cavanis. 2013 berührte er bei einem Klassifikationsspiel für die WM in Brasilien die Genitalien des uruguayischen Stürmers Luis Suárez. Der wehrte sich mit einer Prügelattacke und wurde daraufhin vom Platz verwiesen.

Zeitungsbericht über die Attacke von Chiles Abwehrspieler Gonzalo Jara auf Uruguays Edinson Cavani (Foto: AP Photo/ Matilde Campodonico)
Die obszöne Attacke von Chiles Gonzalo Jara auf den Hintern von Edinson Cavani aus Uruguay sorgte für SchlagzeilenBild: picture-alliance/AP Photo/M. Campodonico

Fußballfunktionäre fehlen

Auch hier scheint sich die WM 2014 fortzusetzen. Dort biss Suárez am 24. Juni 2014 im letzten Vorrundenspiel gegen Italien seinen Gegenspieler Giorgio Chiellini abseits des Balls von hinten in die Schulter.

Doch während Suárez damals mit einer viermonatigen Sperre bestraft wurde, waren die Vertreter der südamerikanischen Fußball-Konföderation Conmebol bei der Copa América für Beschwerden nicht erreichbar. Sie glänzten bei dem Turnier mit Abwesenheit, schließlich hätte eine Reise nach Chile zu ihrer Verhaftung führen können.

So bekommen die Südamerikaner als erste die Auswirkungen des Fifa-Korruptionsskandals direkt zu spüren: Die Konten der Sponsoren und Geschäftspartner, an die Conmebol die Vermarktungsrechte verkauft hat, sind blockiert. Um Prämien zahlen zu können, muss der Verband eventuell an seine Reserven gehen.

Es scheint paradox: Ausgerechnet die turbulente Copa América verschafft dem politischen Establishment in Santiago eine Verschnaufpause. "Zurzeit beherrscht der Fußball die Schlagzeilen, danach geht die Schlacht weiter", erklärt Meinungsforscherin Marta Lagos vom Institut "Latinobarómetro". Die chilenische Gesellschaft durchlebe gerade eine ihrer schwersten Krisen seit dem Ende der Diktatur.

Druck von der Straße

In der Tat: Nachdem die erste Amtszeit (2010 bis 2014) von Chiles Präsidentin Michelle Bachelet sich auf das Krisenmanagement von Naturkatastrophen wie Erdbeben und Vulkanausbrüchen konzentrierte, sieht sich die sozialdemokratische Politikerin nun mit einem immensen Korruptionsskandal konfrontiert, in den auch ihr Sohn verwickelt zu sein scheint.

Chile Santiago Demonstration gegen Bildungsreform (Foto: EFE/ Sebastian Silva)
Massenprotest: In Chile gingen während der Copa América tausende von Lehrern und Studenten auf die Straße, um gegen die Bildungsreform der Regierung zu demonstrierenBild: picture-alliance/dpa/S. Silva

Zu den Ermittlungen über illegale Parteienfinanzierung kommen außerdem die Massenproteste unzufriedener Studenten für eine Bildungsreform. Sie fordern mehr Mitsprache bei der Änderung des kommerziell ausgerichteten chilenischen Bildungssystems, das noch aus der Ära von Diktator Augusto Pinochet stammt.

An diesem Samstag kommt es nun in Santiago zum Showdown zwischen Chile und Argentinien. Zum ersten Mal in der Geschichte haben "Die Roten" eine Chance, den Titel zu holen. Argentinien hingegen hofft, die Niederlage im WM-Finale gegen Deutschland ausgleichen zu können.

Bei der Begegnung geht es um mehr als einen sportlichen Wettkampf. Aus der Sicht der Fans gibt es noch ein paar politische Rechnungen zu begleichen. Argentinier wollen sich an Chile für seine Unterstützung Großbritanniens im Falklandkrieg 1978 rächen. Chile will das Trauma des ewigen Verlierers und die politische Krise im Land überwinden.

Die Argentinier geben sich siegessicher. "Wir haben schon gewonnen, denn alle Trainer der vier Mannschaften im Finale stammen aus Argentinien", zitiert die spanische Zeitung "El Pais" die Fans. Machen die argentinischen Coaches die Sache nun also unter sich aus?