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Säkulare in Syrien von allen Seiten bedrängt

Andreas Gorzewski19. Dezember 2013

Nicht-religiöse Oppositionelle in Syrien geraten immer mehr unter Druck. Sie werden sowohl vom Regime als auch von Islamisten bekämpft. Trotzdem könnten ihre Ziele nach einem Sturz des Regimes noch eine Rolle spielen.

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Regimegegner demonstrieren mit Fahnen in Aleppo
Bild: AAMIR QURESHI/AFP/Getty Images

Syrien ohne das Assad-Regime, aber mit der einstigen religiösen Toleranz und gleichen Rechten für alle - das streben säkulare Oppositionspolitiker an. Doch ein Großteil der Rebellenbrigaden, die gegen Syriens Präsident Baschar al-Assad kämpft, hat andere Ziele. Sie wollen einen Scharia-Staat, und ihr Einfluss in der zersplitterten Opposition wächst. Dagegen verlieren säkulare Kräfte, zu denen viele nicht-religiös motivierte Christen und Muslime gehören, an Boden". Viele ihrer Anhänger wurden getötet, eingeschüchtert oder verschleppt. Dabei ist nicht immer klar, ob regimetreue Kämpfer oder islamistische Milizen hinter den Taten stecken. Das gilt auch für die Entführung der Menschenrechtlerin Rasan Seituneh am 10. Dezember 2013. Als "schweren Schlag gegen die Zivilgesellschaft" bezeichnete der ehemalige Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) die Verschleppung der Sacharow-Preisträgerin.

"Sie sind noch nicht verzweifelt, obwohl sie allen Grund dazu hätten", beschreibt Bente Scheller, Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut, die Stimmung der säkularen Kräfte. Nicht nur die syrische Regierung gehe gegen sie vor. "Als säkulare Opposition stehen sie auch im Visier der salafistischen Fraktionen", sagt die Nahost-Expertin im DW-Gespräch.

Als die Proteste gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad Anfang 2011 begannen, war der Ruf nach Freiheit zunächst nicht an eine Konfession gebunden. Doch nun beruft sich eine wachsende Zahl von Oppositionsgruppen für ihren Kampf auf den Islam. Dabei spielen Geldgeber aus den arabischen Golfstaaten eine Rolle. Sie unterstützen Gruppen, die sich islamisch geben. Aber auch das Regime trug anfangs dazu bei, in dem es gezielt religiöse Gefühle verletzte. So ließen Soldaten Alkoholflaschen in Moscheen zurück oder schmierten gotteslästerliche Parolen an die Wände, wie Scheller erklärt. Auch seien Inhaftierte nach vielen Berichten in den Folterzentren gezwungen worden zu erklären: "Sag nicht, es gibt keinen Gott außer Gott. Sag, es gibt keinen Gott außer Baschar."

Türkei Syrien Treffen syrischer Nationalrat in Istanbul
In den Reihen der Opposition finden sich viele syrische ChristenBild: Bulent Kilic/AFP/Getty Images

Säkulare bezeichnen sich als Patrioten oder Nationalisten

Je mehr der Islam in den Vordergrund drängt, desto stärker geraten nicht-religiöse Standpunkte unter Druck. Es sei einfach, Menschen gegen den Säkularismus einzunehmen, klagt der syrische Aktivist Hozan Ibrahim. Dafür reiche schon zu behaupten, dass Säkularismus gegen den Islam sei. "Das veranlasste die Säkularen dazu, sich andere Namen oder Titel zuzulegen wie liberal oder national oder patriotisch", erklärt Ibrahim. Er engagierte sich einst in den lokalen Koordinationskomitees des Widerstands und lebt heute in Deutschland.

Viele säkulare Regimegegner haben sich dem Bündnis Syrische Nationale Koalition (SNC) angeschlossen. Der Leiter des SNC-Rechtsausschusses, Hisham Marwah, verweist auf Christen wie Michel Kilo und Georges Sabra oder den Alawiten Monzer Makhous in den eigenen Reihen. Sie haben allein schon wegen ihrer Konfession keinen Grund, für einen islamisch definierten Staat zu kämpfen. Auch viele Muslime, darunter viele syrische Kurden, wollen keinen Staat auf der Grundlage der Scharia.

Treffen der Nationalen Koalition in Istanbul am 9.11.2013 (Foto: EPA)
Die Syrische Nationale Koalition berät bereits eine neue VerfassungBild: picture-alliance/dpa

Die SNC bekennt sich in Erklärungen zu einem pluralistischen und demokratischen Staat, in dem alle Syrer gleich seien. Allerdings scheint der Einfluss des SNC in Syrien zu schwinden. Islamistische Brigaden haben SNC-treue Verbände vielerorts verdrängt. Außerdem wollen auch viele SNC-Vertreter keinen säkularen Staat. In einer neuen Verfassung, über die SNC-Mitglieder diskutieren, ist Marwah zufolge ein "Rechtsstaat" angestrebt. Ganz religionsneutral soll der aber nicht sein. Das islamische Recht werde eine Rolle spielen, räumt Marwah ein. "Wir werden darauf achten, nicht gegen islamische Konzepte zu verstoßen, wenn wir die neue Verfassung schreiben", betont er. Wie viel Spielraum andere Religionen dann haben würden, ist kaum vorherzusagen.

Zerstörungen nach einem Luftangriff auf Aleppo am 15. Dez. 2013 (Foto: AP)
Die syrische Armee setzt ihre Luftangriffe auf Städte und Wohnviertel unter Kontrolle der Opposition fortBild: picture-alliance/AP Photo

Hoffnung auf künftigen Einfluss

Trotz der weit verbreiteten islamischen Grundstimmung unter den Oppositionskämpfern hat Aktivist Ibrahim noch Hoffnung auf ein säkular beeinflusstes Syrien. Dafür gebe es mehrere Gründe. Die Syrer seien zwar konservativ, aber gegen radikale Ideologien. Außerdem sind Ibrahim zufolge die einflussreichen Geschäftsleute gegen den Islamismus, weil dieser ihren Interessen schade. Schließlich spreche die Geschichte dagegen. "Syrien war immer ein säkularer Staat, sogar vor Assad. Wir haben das Erbe, ein säkularer Staat zu sein", betont er.

Auch Scheller zufolge sind die Weichen für Syriens Zukunft nach einem möglichen Sturz des Regimes noch nicht gestellt. Bei vielen Gruppen sei nicht erkennbar, ob sie tatsächlich einen islamischen Staat wollten. "Als militante Gruppe bekommt man natürlich deutlich leichter Geld und Waffen, wenn man sich eben sehr islamisch gibt", erklärt die Büroleiterin der Boell-Stiftung. Das könne echte Überzeugung oder auch Opportunismus sein. Darüber hinaus wachse auch der Widerstand in der Bevölkerung gegen die Bevormundung und die Gewalt durch salafistische Muslime. "Deswegen denke ich, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist."