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Einflussreiche Kurden

Anne Allmeling15. August 2012

Im syrischen Bürgerkrieg verliert das Regime Assad an Boden. Dagegen gewinnen vor allem die Kurden an Einfluss. Ihre Vertreter können sich zwar nicht einigen. Aber die Nachbarländer sind bereits alarmiert.

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Syrische Kurden (Foto: AP)
Bild: AP

Lange war es verhältnismäßig ruhig geblieben in den kurdischen Gebieten in Syrien. Während die Menschen im Süden und Westen des Landes auf die Straße gingen, um gegen Präsident Baschar al-Assad zu demonstrieren, war von Protest im Nordosten des Landes nur wenig zu spüren - also dort, wo vor allem die Kurden leben. Zwar schlossen sich junge Kurden bald dem Aufstand gegen das Regime an. Doch viele Menschen warteten erst einmal ab.

Als ethnische Minderheit wollten die Kurden nicht zwischen die Fronten geraten. Jahre lang hatte das Regime die Kurden diskriminiert und ihre Existenz in Syrien geleugnet. Als Assad immer stärker unter Druck geriet, bot er ihnen die syrische Staatsbürgerschaft an und hoffte auf ihre Neutralität. Und tatsächlich scheint sich ein großer Teil der syrischen Kurden nicht gegen Assad zu stellen. Denn seine Regierung toleriert, dass sie im Nordosten Syriens inzwischen fast autonom sind.

Größtes Volk ohne eigenen Staat

Das alarmiert die benachbarte Türkei. Denn dort kämpft die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) seit bald drei Jahrzehnten für einen eigenen Staat oder zumindest für Autonomie - mit blutigen Angriffen und Bombenanschlägen. Die Kurden gelten als das größte Volk ohne eigenen Staat. Von den insgesamt etwa 30 Millionen Kurden leben die meisten in der Türkei (etwa 13 - 16 Millionen), im Iran (etwa 6 -8 Millionen), im Irak (etwa 6 Millionen) und in Syrien (etwa 1,5 - 2 Millionen). Weitere Kurden siedeln vor allem in Armenien und Aserbaidschan.

Immer wieder liefern sich die Türkei und die PKK Kämpfe (Foto: DPA)
Immer wieder liefern sich die Türkei und die PKK KämpfeBild: picture alliance / dpa

Der blutige Konflikt zwischen der PKK und der Türkei hat bereits mehr als 40.000 Menschenleben gekostet. Zwar hat die PKK nach der Verhaftung ihres Führers Abdullah Öcalan 1999 an Bedeutung verloren. Auch die Lage der Kurden in der Türkei hat sich mittlerweile verbessert - unter anderem wegen der Pläne der Regierung in Ankara, der EU beizutreten. Doch Hoffnungen der Kurden auf mehr Autonomie haben sich dadurch nicht erfüllt.

Vorbild Nordirak

Für viele türkische Kurden ist deshalb die Entwicklung im Nordirak ein Vorbild. Dort siedeln mehrheitlich Kurden. Unter dem Schutz der USA hatte sich nach 1991 eine eigene kurdische Verwaltung gebildet. Nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 gelang es den Kurden, sich weitgehende Autonomie im Nordirak zu sichern. Politische Stabilität und Einnahmen aus der Erdölproduktion haben dafür gesorgt, dass sich das Gebiet zu einer prosperierenden Region entwickelt. Sie verfügt auch über ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung unter Präsident Masud Barzani.

Masud Barzani, Präsident der irakischen Region Kurdistan (Foto: AP)
Masud Barzani ist Präsident der irakischen Region KurdistanBild: dapd

Auch in Syrien wird seit einigen Wochen ein Teil der Städte nahe der türkischen Grenze von den Kurden kontrolliert. Die syrische Armee hat dieses Gebiet zum Teil geräumt oder sich in ihre Kasernen zurückgezogen. Jetzt gibt dort vor allem die Demokratische Unionspartei (PYD) den Ton an, die als syrischer Ableger der PKK gilt.

Unklare Positionierung

Welche Ziele die PYD genau verfolgt, sei allerdings unklar, sagt Sonor Cagaptay, Türkei-Experte des Washington Institute. Erst kürzlich habe sich die PYD verpflichtet, nicht mehr gegen die Türkei zu kämpfen. "Ob sich die PYD tatsächlich von der PKK losgesagt hat, werden wir erst sehen, wenn das Assad-Regime fällt", sagt Cagaptay. "Dann wird sich zeigen, ob die PYD auch weiterhin die Türkei verschont – oder zu ihrem Ursprung zurückkehrt." Auch das Verhältnis der PYD zum Assad-Regime sei nicht eindeutig, sagt der kurdische Islamwissenschaftler Kamiran Hudsch. "Zu Beginn der Revolution wurden die Mitglieder dieser Partei 'Schabiha der Kurden' genannt", sagt er in Anspielung Assad-treue Schabiha-Milizen in Syrien. "Ob sie dem Regime tatsächlich treu sind oder nicht, ist aber unklar."

Ein PKK-Mitglied in der türkischen Bergregion nahe Irak (Foto: AP)
Ein PKK-Mitglied in der türkischen Bergregion nahe IrakBild: YAHYA AHMED/AP/dapd

Manche Beobachter vermuten, dass die PYD und das Assad-Regime gemeinsame Sache machen. "Es gibt die Vermutung, dass die PYD mit dem Assad-Regime zusammenarbeitet", sagt Kamiran Hudsch. Zumindest scheinen beide Seiten von der aktuellen Lage zu profitieren. Die PYD kann ihren Einfluss in den syrischen Kurdengebieten und deren Grenzen hinweg ausweiten, und der Norden Syriens gilt wieder als Rückzugsgebiet für türkische PKK-Kämpfer.

Angst vor Ausweitung der Kämpfe

Der Präsident der irakischen Region Kurdistan, Masud Barzani, drängt die syrischen Kurden zur Zusammenarbeit mit dem oppositionellen Syrischen Nationalrat (SNC). Dem SNC sind auch die Rebellen der Freien Syrischen Armee formal unterstellt. Gleichzeitig hält Barzani aber Kontakt zur Regierung Assad in Damaskus. Bislang beteiligten sich kurdische Verbände nicht aktiv am Kampf gegen die Assad-Truppen. Viele befürchten, dass sich die Kämpfe sonst auch auf die Kurdengebiete ausweiten würde.

Türkische Soldaten patroullieren nahe der irakischen Grenze (Foto: AP)
Türkische Soldaten patroullieren nahe der irakischen GrenzeBild: AP

Dass das Assad-Regime die Kurden gewähren lässt, verärgert wiederum die Türkei. "Der Aufstand der syrischen Bevölkerung hat den Kurden ermöglicht, das zu fordern, was die irakischen Kurden bereits haben", sagt Sonor Cagaptay vom Washington Institute. "Und das wird dazu führen, dass türkische und iranische Kurden sagen, dass sie als nächste dran seien."

Der Traum vom Nationalstaat

Manche Stimmen in der Türkei befürchten sogar, dass die türkischen Kurden mit denen in Syrien, Irak und Iran ein eigenes, unabhängiges Kurdistan errichten wollen. Tatsächlich scheint es so, als befänden sich die Kurden zurzeit in der stärksten Position ihrer Geschichte. Doch sie haben eine lange Tradition innerer Konflikte. Davon zeugt zum Beispiel der Jahre lange Kampf zwischen den beiden irakischen Kurdenführern Dschalal Talabani und Masud Barzani, die erst mit dem Blick auf einen Sturz Saddam Husseins ein stabiles Bündnis zusammenbrachten. Viele Beobachter halten den Traum von einem eigenen Nationalstaat deshalb für unrealistisch. Eins zumindest ist klar: Bestrebungen, einen eigenen kurdischen Staat zu gründen, würde die Türkei, Syrien, den Irak und den Iran gegen die Kurden einen.

Das Dorf Hawraman in den kurdischen Gebieten Irans (Foto: MEHR)
Das Dorf Hawraman in den kurdischen Gebieten IransBild: MEHR