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Syrien: Opposition aus der Ferne

12. Dezember 2011

Seit Monaten befinden sich Tausende syrische Oppositionelle im Aufstand gegen Staatspräsident Bashar Al-Assad. Auch in Deutschland hoffen viele Syrer auf den Sturz des Regimes und unterstützen die Aufständischen.

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Etwa 30 syrische Regimegegner demonstrieren am Samstagabend (08.10.2011) vor der syrischen Botschaft in Berlin (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Aktham Abazid hat alle Hände voll zu tun. Aber wenn es um seine Heimat geht, nimmt er sich trotzdem Zeit. Die Situation in Syrien lässt dem 38 Jährigen keine Ruhe. Er unterstützt die Aufständischen, engagiert sich für die Opfer der Unruhen – und hofft inständig, dass das Regime von Präsident Assad bald der Revolution weichen muss.

Protest gegen den Präsidenten

"Ich war vom ersten Tag an dabei", erzählt Aktham Abazid. Dabei war er gar nicht in Syrien. Jedenfalls nicht in seiner Heimatstadt Daraa, wo im März 2011 der Aufstand gegen die syrische Führung begann. Sondern in Deutschland, in Berlin, wo der Protest gegen Präsident Assad und seine Verbündeten ein Echo findet. Seit Monaten verfolgt Aktham Abazid genau, was in Syrien passiert: Fast täglich töten Assads Soldaten syrische Demonstranten, die gegen das Regime protestieren. In den vergangenen Monaten sollen nach Angaben der Vereinten Nationen mehr als 4000 Männer, Frauen und Kinder ums Leben gekommen sein. Noch mehr wurden verletzt, eingesperrt und gefoltert.

"Die Hälfte meiner Cousins sitzt im Gefängnis", erzählt Aktham Abazid und klingt, als habe er sich an diesen Zustand längst gewöhnt. Seine Familie ist bekannt in Daraa. Seit Jahrzehnten schon gehört sie zur politischen Opposition. Die einen sind bekennende Muslimbrüder, die anderen Kommunisten. Egal, zu welchem politischen Lager sie sich zählen: Die gesamte Familie lehnt den syrischen Präsidenten ab. "Als Jugendlicher habe ich Marx, Lenin und Trotzki gelesen", erzählt Aktham Abazid. "Und in Daraa, nahe der Grenze, konnten wir jordanische und israelische Fernsehprogramme empfangen. Deshalb wusste ich immer, dass es etwas anderes gibt als die offizielle Version des Präsidenten."

Demonstrationen in Berlin

Aktham Abazid (Foto: DW)
Aktham AbazidBild: Anne Allmeling

Vor zwölf Jahren kam Aktham Abazid für ein Aufbaustudium nach Deutschland. Nach seinem Uni-Abschluss mochte der studierte Umweltplaner nicht mehr zurückkehren – zumindest nicht für immer. "Die politische Situation hat mich frustriert", erzählt Aktham Abazid. "Unter Bashar Al-Assad hat sich nichts bewegt. Und seine wirtschaftliche Liberalisierung hat gewirkt wie eine Volksverdummung: Die Leute konnten zwischen Pepsi und Coca Cola wählen und haben das für Freiheit gehalten."

Als die Proteste in den arabischen Ländern im Frühjahr auch auf Syrien überschwappten und die Menschen begannen, das System offen zu kritisieren, war Aktham Abazid sofort wie elektrisiert. Er meldete sich unter seinem richtigen Namen bei Facebook an, ging jeden Freitag in Berlin auf die Straße und demonstrierte gegen das syrische System: Anfangs noch vorsichtig, später offensiv mit selbst gestalteten Plakaten.

Medizinische Hilfe und finanzielle Unterstützung

Im Juli 2011 schloss er sich mit anderen Aktivisten zusammen und gründete den deutsch-syrischen Sozialverein LIEN, um Hilfe für die Opfer der Unruhen in Syrien zu organisieren. Keine leichte Aufgabe, denn die Not in Syrien ist groß. Täglich werden Demonstranten getötet, verletzt, verhaftet, vergewaltigt. Die medizinische Versorgung ist katastrophal. Viele Familien haben ihren Ernährer verloren und sind auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Das Regime lässt keine unabhängigen Beobachter ins Land, aber Aktham Abazid weiß von seiner Familie und seinen Bekannten in Daraa, dass es den Aufständischen – und nicht nur ihnen – an fast allem mangelt. Der Syrer und seine Kollegen von LIEN haben eine Website und ein Spendenkonto eingerichtet. Sie sprechen mit Unternehmern, Ärzten und Apothekern, sammeln Erste-Hilfe-Päckchen, Kleidung und Geldspenden, um wenigstens das Nötigste ins Land zu schaffen.

Ein großer Teil der Spenden kommt den syrischen Flüchtlingen in Jordanien und in der Türkei zugute. Aber Aktham Abazid und seine Mitstreiter sorgen auch dafür, dass ein Teil bei der syrischen Bevölkerung direkt ankommt. Dafür arbeitet LIEN mit gemeinnützigen Organisationen in Jordanien zusammen und mit Helfern, die sich in der Grenzregion zu Syrien gut auskennen. Sie wüssten, wann ein Transport die besten Chancen habe, ungehindert durch die Kontrolle zu gelangen oder wie sie umgangen werden können, erzählt Aktham Abazid. Schließlich hätten viele von ihnen selber Freunde und Familie jenseits der Grenze.

Engagement gegen das Regime

Um seine Mutter und seine Schwester, die in Daraa leben, macht sich Aktham Abazid inzwischen große Sorgen. Er hat Fotos gesehen, die entstanden sind, nachdem Daraa zwei Wochen lang von der Außenwelt abgeriegelt war. Syrische Soldaten hatten die Stadt der Aufständischen besetzt. "Unser Haus sieht aus wie ein Sieb", erzählt Aktham Abazid. "Überall Einschusslöcher." Dass er sich nicht vor Ort um seine Mutter und seine Schwester kümmern kann, belastet ihn sehr. Am liebsten wäre er nach Daraa zurückgekehrt, als die Unruhen begannen. Aber seine Mutter hielt ihn davon ab.

Hozan Ibrahim (Foto: DW)
Hozan IbrahimBild: Anne Allmeling

Auch Hozan Ibrahim sorgt sich um seine Eltern und Geschwister. Der 29 Jahre alte Kurde kam vor einem halben Jahr als politischer Flüchtling nach Deutschland. Ein Teil seiner Familie lebt noch in Syrien. Er weiß, dass seine Eltern und Geschwister gefährdet sind – auch wegen seines Engagements gegen das syrische Regime. Hozan Ibrahim ist schon seit zehn Jahren politisch aktiv. Wegen seiner Teilnahme an einer Demonstration war er als 19-Jähriger ein Jahr in einem syrischen Gefängnis in Isolationshaft. Aber darüber will er gar nicht sprechen. Auch nicht über die Sorge um seine Familie. "Viele andere Familien sind leider genauso gefährdet", sagt er.

Bürokratische Hürden

Wenn Hozan Ibrahim von seiner Arbeit für die syrische Opposition erzählt, wirkt er nachdenklich, fast ein wenig schüchtern. Er spricht Kurdisch, Arabisch, Englisch und ganz passabel Deutsch, aber um zu erklären, warum er Mitglied des im August gegründeten Syrischen Nationalrates (SNR) geworden ist, spricht er lieber Englisch – und entschuldigt sich gleich dafür. Natürlich hofft Hozan Ibrahim auf Unterstützung aus Deutschland. Vor kurzem traf er den deutschen Außenminister Guido Westerwelle, um ihm die Ziele des SNR persönlich zu erläutern. Etwa 120 Vertreter syrischer Oppositionsgruppen haben sich vereint, um die syrische Bevölkerung politisch zu vertreten. Doch bevor die Organisation Spenden sammeln und wirklich aktiv werden darf, muss sie in Deutschland – wie auch in vielen anderen Ländern – anerkannt sein. Daran arbeiten Hozan Ibrahim und seine Kollegen zurzeit mit aller Kraft.

Etwa 40 Prozent der SNR-Mitglieder leben in Syrien und agieren verdeckt, die Mehrheit befindet sich im Exil. Hozan Ibrahim ist eines von etwa zehn SNR-Mitgliedern in Deutschland. Als unabhängiger politischer Aktivist gehört er außerdem zu den knapp 30 Mitgliedern des Generalsekretariats. Damit hat er einen offiziellen Posten. Solange der SNR noch nicht offiziell anerkannt ist, hat die Organisation in Deutschland auch kein Budget, keine Spendenkonten, keine Adresse, und Hozan Ibrahim ist auf die private Unterstützung von Freunden und Bekannten angewiesen. Die Kosten für sein Engagement gehen weit über das hinaus, was er sich als politischer Flüchtling in Deutschland leisten kann. Hozan Ibrahim weiß, dass die Zeit drängt, für ihn als Aktivist, vor allem aber für die syrische Bevölkerung. Dennoch wirkt er gefasst und geduldig. "Ein friedlicher Übergang wird in Syrien alles andere als einfach", sagt er. Trotzdem will er alles dafür tun – von Deutschland aus.

Autorin: Anne Allmeling
Redaktion: Daniel Scheschkewitz / Rolf Breuch