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Syriens schwierige Zukunft

Kersten Knipp30. Juli 2012

Auch nach einem Sturz Assads wird die Gewalt in Syrien wohl nicht enden. Nach Ansicht der deutschen Politologin Margret Johannsen sind die Interessen im Land für eine rasche Befriedung zu verschieden.

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Ein Kämpfer der Freien Syrischen Armee in Aleppo, 29.7. 2012 (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Deutsche Welle: Frau Johannsen, noch ist offen, ob und wann die Regierung Assad abtritt. Aber angenommen, der Präsident stürzte oder gäbe seine Ämter ab: Wie sähen Sie dann die Chancen, dass die Waffen in Syrien schweigen würden?

Margret Johannsen: Die Möglichkeit, dass nach einem Zerfall des Assad-Regimes die Gewalt andauert, ist außerordentlich hoch. Das Land ist ethnisch und religiös fragmentiert. Ein Abdanken des Assad-Regimes würde diese Fragmentierung nicht beseitigen. Darum ist es auch sehr wahrscheinlich, dass es nach seiner Regierungszeit zu schwerwiegenden Auseinandersetzungen und Verteilungskämpfen kommt.

Margret Johannsen, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg *** eingestellt im Mai 2012
"Machtarrangements sind anspruchsvoll": Margret JohannsenBild: IFSH

Das hieße, der Konflikt verliefe hauptsächlich entlang ethnischer oder konfessioneller Linien. Immer wieder ist aber auch zu hören, es gehe im Wesentlichen um ökonomische Interessen. Wie beurteilen Sie die Bedeutung der konfessionellen Interessen einerseits und der wirtschaftlichen andererseits?

Ich würde den Konflikt durchaus auch sozial-ökonomisch interpretieren. Doch zugleich verläuft die Verteilung von Privilegien und Unterprivilegierung eben auch entlang konfessioneller Linien. Insofern würde ich das nicht trennen. Es wäre wünschenswert, wenn die Auseinandersetzung über Anteile am wirtschaftlichen Reichtum etwa nicht entlang dieser Linien verliefe. Aber das ist nicht der Fall.

Woher kommt diese Fragmentierung? Ist sie ein Produkt der Assad-Regierung oder hat sie weiter zurückreichende historische Gründe?

Das ist sehr schwer zu sagen. Einerseits hat die Fragmentierung dazu geführt, dass die Elite vorzugsweise aus bestimmten Konfessionen, allen voran der schiitischen, rekrutiert wurde. Eliten anderer Konfessionen hatten oft das Nachsehen. Wenn andererseits aber Gesellschaftsschichten von Assads Regierung profitiert haben, dann waren es die Eliten, und zwar oft unabhängig von ihrer konfessionellen Zugehörigkeit. Analytisch kann man zwischen konfessionellen und ökonomischen Motiven vielleicht unterscheiden - in der Praxis würde ich das aber zusammen sehen.

Wie schätzen Sie denn die Chancen ein, das Denken in konfessionellen Kategorien nach einem Sturz Assads zu überwinden?

Auch das Assad-Regime hat beansprucht, alle Syrer zu vertreten. Es ist ihm aber nicht gelungen, eine nationale Identität hervorzubringen. Ob das jetzt gelingt, ist keineswegs sicher. Ich befürchte, dass der Versuch, das Land nach dem Abgang des Assad-Regimes zu einen, auf große Schwierigkeiten stoßen wird.

Ein beschädigtes Plakat Baschar al-Assads in Aleppo, 24.7. 2012. (Foto: Reuters)
Autoritätsverlust auch im Kleinen: Baschar al-AssadBild: Reuters

Auch Syriens Nachbarn sind von dem Krieg direkt oder indirekt berührt. Ein Land, das sich in dem Konflikt besonders hervortut, ist Saudi Arabien. Wie sehen Sie dessen Rolle?

Saudi Arabien verfolgt mehrere Interessen. Dazu zählen auch religiöse Motive, besonders aus der sogenannten Zivilgesellschaft. Zu ihr zählen in Saudi Arabien auch sehr konservative Kreise, die alles andere als liberal sind. Doch es ist wohl weniger die Verbreitung von Wahabismus und Salafismus als die hegemoniale Konkurrenz zum Iran, die das Land antreibt, die "Freie Syrische Armee" zu unterstützen. Deshalb ist fraglich, ob Saudi Arabien und sein Partner Katar einverstanden wären, wenn nach dem Sturz des Assad-Regimes die Alawiten an einem Machtarrangement beteiligt würden. Auch dies lässt daran zweifeln, dass es in Syrien absehbar zu einem Ende der Gewalt kommt.

Sie haben es angedeutet: Eine wesentliche Rolle im Syrienkonflikt spielt auch Iran. Bislang tut der Westen sich schwer, das Land in die internationalen Verhandlungen über und mit Syrien einzubeziehen. Was halten Sie von dieser zögerlichen Haltung?

Iran hat ja zum Beispiel auch in Afghanistan aus eigenem Stabilitätsinteresse heraus eine durchaus positive Rolle zum Beispiel bei der Bekämpfung des Drogenhandels gespielt. Man sollte nicht vergessen, dass in Teheran auch Pragmatiker sitzen, und dass dort nicht die gesamte Politik ideologiegeleitet ist. Wenn Iran nicht so sehr verteufelt würde, wäre es möglich, diese pragmatischen Kräfte und Interessen auch zu funktionalisieren für eine Lösung in Syrien.

Wenn wir einen Blick auf Syriens andere Nachbarn werfen: Wie schätzen Sie deren Interessen denn ein? Im Zusammenhang mit den syrischen Chemiewaffen wurden auch Spekulationen über die Rolle der Hisbollah laut. Sie könnte, so die Sorge, in den Besitz dieser Waffen kommen und dann womöglich gegen Israel einsetzen wollen. Wie sehen Sie diese Sorge?

Ich halte das für eher unwahrscheinlich. Die Hisbollah ist zwar ein Erzfeind Israels. Aber zuallererst ist sie daran interessiert, ihre Rolle im Libanon zu erhalten und zu konsolidieren. Die Organisation ist gegenwärtig nicht auf einem Weg der Aggression gegenüber Israel. Ihr geht es vor allem darum, ihre privilegierte Rolle als einzige bewaffnete substaatliche Organisation zu bewahren. Auch will Hisbollah ihre gegenwärtige bedeutende Rolle in der libanesischen Politik nicht gefährden. Insofern würde ich die Hisbollah nun in den gegenwärtigen Szenarien nicht unbedingt als einen weiteren destabilisierenden Akteur betrachten.

Wie sehen Sie denn die Auswirkungen der syrischen Revolution auf Israel? Immerhin hält das Land seit 1967 die Golan-Höhen besetzt. Wie werten Sie diesen Umstand für die Zukunft der israelisch-syrischen Beziehungen?

Israel wird keine positive Rolle in der Region spielen können, solange es als Besatzungsstaat gilt. Ein Entgegenkommen bei der Frage des Golan wäre darum sehr begrüßenswert. Andererseits ist die Rückgabe der Golan-Höhen in der israelischen Bevölkerung extrem unpopulär. Darum ist es fraglich, ob die jetzige Regierung dazu bereit wäre. Dies gilt umso mehr, als der Golan ja auch für die israelische Wasserversorgung von erheblicher Bedeutung ist. Darum wartet Israel derzeit eher ab. Die jetzige Lage in Bezug auf die Golan-Höhen ist für Israel recht komfortabel; bei einer Lösung des Golan-Problems hätte Israel zunächst einmal territoriale Konzessionen zu machen. Dass Israel dazu nicht bereit ist, schafft ihm in Syrien natürlich nicht gerade Freunde. Falls Israel zugunsten der Revolutionäre in den Konflikt eingriffe, könnte dies einen kontraproduktiven Effekt haben, denn das könnte die syrische Opposition delegitimieren. Insofern ist ein Abwarten auf israelischer Seite klug. Zugleich wäre ein Entgegenkommen in der Frage der Golan-Höhen im Sinne Israels langfristiger Sicherheitsinteressen.

Um noch einmal auf die Syrer selbst zurückzukommen: Was wäre denn auf nationaler Ebene die beste Voraussetzung für eine möglichst friedliche Übergangszeit nach einem Sturz Assads.

Es wäre wünschenswert, wenn sich eine Lösung in Form eines Machtteilungsarrangements finden ließe. Doch ein solches Machtarrangement ist anspruchsvoll. Es verlangt etwa, das Bedürfnis nach Rache und Vergeltung für erlittenes Unrecht erst einmal beiseite zu stellen. Aber es gibt ja Beispiele dafür, dass das gelingen kann. Ich bin nicht sonderlich optimistisch, dass das schnell gehen könnte. Aber eigentlich gibt es auch keine vernünftige Alternative dazu. Wenn man die jetzige syrische Opposition hierbei von außen unterstützen kann, sollte man das tun.

Beerdigung eines erschossenen Deserteurs. 25, 7. 2012. (Foto: Reuters)
Flucht in die Trauer: Beerdigung eines erschossenen Deserteurs.Bild: Reuters

Margret Johannsen ist Politikwissenschaftlerin am "Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg“. Sie ist Mitherausgeberin des jährlich erscheinenden "Friedensgutachtens" der Institute für Friedens- und Konfliktforschung in der Bundesrepublik.